Was wird aus der Unimedizin?

Die Expertenkommission hat die Fusion der beiden medizinischen Fakultäten und ihrer Klinika vorgeschlagen. Was steht der Stadt jetzt bevor? Die taz gibt Antwort auf 14 oft gestellte Fragen

von SABINE AM ORDE

Warum bleibt das Universitätsklinikum Benjamin Franklin (UKBF) in Steglitz jetzt doch?

Die Expertenkommission hat festgestellt, dass die vom rot-roten Senat festgelegte Einsparsumme von 98 Millionen Euro auch zu erbringen ist, ohne das Universitätsklinikum Benjamin Franklin (UKBF) und die Medizinische Fakultät der Freien Universität (FU) zu schließen. Beiden stellte sie ein gutes Zeugnis für Forschung und Lehre sowie für Kooperationen zum Beispiel mit biotechnologischen Forschungseinrichtungen aus. Die Schließung des UKBF sei schädlich für den Wissenschaftsstandort Berlin, so die Meinung der Kommission. Langfristig, so ihre Empfehlung, soll sich deshalb die Hochschulmedizin an den Standorten der Charité in Mitte und des UKBF in Steglitz konzentrieren. Die Gründe: Die Tradition und Geschichte der beiden Einrichtungen und ihre gute campusartige Vernetzung von theoretischer und praktischer Medizin. Am Rudolf-Virchow-Klinikum (RVK) der Charité im Wedding dagegen, dem dritten Standort, stehe die Krankenversorgung im Vordergrund und nicht die Forschung.

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Bedeutet das das Aus für die Unimedizin am Rudolf-Virchow-Klinikum der Charité?

Das ist offen. Das Erreichen der Einsparsumme, sagt die Kommission, sei nicht vom Aus für das RVK abhängig. Die Experten empfehlen zwar langfristig – und ohne Terminangabe – die Konzentration auf die anderen beiden Standorte. Sie betonen aber auch, dass die Klinik derzeit für die Hochschulmedizin notwendig sei. Bei den konkreten Empfehlungen zur Umstrukturierung bekommt das RVK sogar weitere Einrichtungen dazu: So sollen die Kinder-Klinik am UKBF und die Gynäkologie in Mitte dichtmachen und das Mutter-Kind-Zentrum am RVK gestärkt werden. Dieses wie die Transplantationsmedizin sollen, so der Kommissionsvorsitzende Winfried Benz, sowieso erhalten bleiben.

Was beim Verlust des Hochschulstatus aus dem RVK werden würde, ist unklar: Weil der städtische Klinikkonzern Vivantes kaum in der Lage ist, das Haus zu übernehmen, wurde bereits eine Privatisierung ins Spiel gebracht. Das Gutachten lässt hier viel Spielraum für Interpretationen. Die der Charité-Leitung: Alles bleibt beim Alten.

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Im RVK sind in den 80er- und 90er-Jahren 750 Millionen Euro verbaut worden, die Hälfte davon kam vom Bund. Muss das Land die Mittel zurückzahlen?

Das hängt davon ab, zu welchem Zeitpunkt das RVK den Hochschulstatus verlieren würde. Generell gilt, dass bei Hochschulbauten der Bund die Hälfte der Kosten übernimmt und diese zurückgezahlt werden müssen, wenn die Gebäude nicht mehr zu Universitätszwecken genutzt werden. Allerdings nicht auf alle Ewigkeit. In der Wissenschaftsverwaltung geht man davon aus, dass diese Investionen nach höchstens 30 Jahren „abgewohnt“ sind. Denn dann, so ist die Regel, ist bei Krankenhausbauten eine Sanierung fällig.

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Warum eine Fusion?

Mit zwei Fakultäten und zwei voneinander unabhängigen Uniklinika ist die vorgegebene Einsparsumme nicht zu erreichen – außer man nimmt gravierende Qualitätseinbußen in Kauf. Bei der Schließung einer der Einrichtungen besteht die Gefahr, dass deren Reputation, Leistungen und Kooperationen verloren gehen. Bei einer Fusion kann man diese halten und dennoch Doppelangebote abbauen: Zum einen, weil man sie – wie etwa bei den Leitungskräften – schlicht nicht mehr braucht. Zum anderen, weil beide Häuser ihre Pfründe nicht mehr sichern können. Das hat bislang viele Reformen blockiert.

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Wenn alle drei Standorte bis auf weiteres erhalten bleiben, bleibt dann alles beim Alten?

Nein, die Kommission hat ganz konkrete Vorschläge gemacht, wie umstrukturiert werden soll. Der erste Schritt ist „die unmittelbare Einsetzung von interimistischen Leitungs- und Aufsichtsgremien für Klinikum und Fakultät“, die den jetzigen Führungsriegen vor die Nase gesetzt werden. Sie sollen „Weisungsbefugnis im Zusammenhang mit der Umsetzung der Neustrukturierung des Klinikums sowie Vetorecht bei Berufungen auf klinische Lehrstühle“ haben.

Ab 2004 soll mit der Umsetzung der Fusion begonnen werden. Dann wird es manche Einrichtungen weiterhin an beiden Unis geben, andere werden verschmolzen. Die dritte Variante: die so genannte Standbein-Spielbein-Lösung, bei der es zwei Einrichtungen gibt, eine aber größer ist und klar den Hut auf hat. Die Kommission hat sich unter anderem daran orientiert, wann wo welche Chefärzte altersbedingt ausscheiden. An der Charité sind das 37 Prozent der C3- und C4-Professuren bis zum Jahr 2010, in Steglitz ist es sogar die Hälfte.

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Welche Konsequenzen hat die neue Struktur für das Personal?

In den Universitäten geht man davon aus, dass von den derzeit 14.000 Stellen bis zum Jahr 2010 2.500 abgebaut werden müssen. Dies soll vor allem über die natürliche Fluktuation und Anreize wie Abfindungen geschehen. „In acht Jahren kann man das ohne betriebsbedingte Kündigungen schaffen“, sagt der Verwaltungsdirektor des UKBF, Peter Zschernack.

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Und was bedeutet sie für die Studierenden?

Die werden künftig wohl etwas mehr durch die Stadt reisen müssen, um zu ihren Veranstaltungen zu kommen – weil es einfach nicht mehr alles an beiden Standorten geben wird. An der Anzahl der Studienplätze in der Humanmedizin ändert sich nichts. Sie wurden bereits auf 600 reduziert, und dabei soll es auch bleiben. Praktisch aber nehmen jährlich bis zu 900 Anfänger ihr Studium auf, weil manche sich einklagen. Bei der Zahnmedizin sollen die Studienplätze von derzeit 160 auf künftig 80 reduziert werden. Die Zahnklinik der Charité wird geschlossen, alles bündelt sich an der FU.

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Und für die Patienten?

Die Kommission hat sich vor allem auf Forschung und Lehre konzentriert, die Krankenversorgung hat sie nur gestreift. Klar aber ist, dass es in Berlin künftig weniger Betten in der Hochschulmedizin geben soll: Sie sollen bis 2010 um ein knappes Drittel auf 2.200 reduziert werden. Dies geht auf die mittel- und langfristige Schließung einzelner Abteilungen zurück, aber auch auf die Einführung eines neuen Abrechnungssystems für die Krankenhäuser. Mit den neuen Fallpauschalen, sagen Experten, werden sich die Liegezeiten in den Kliniken bis zu 30 Prozent verkürzen. Bislang hat Berlin im Vergleich zu anderen deutschen Großstädten überdurchschnittlich viele der teuren Universitätsbetten. Hier werden auch Patienten versorgt, die eine solche Maximalversorgung gar nicht brauchen.

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Ist damit endlich die Sparwut der Politik in Sachen Hochschulmedizin befriedigt?

Das ist zu hoffen, schließlich werden mit den Einsparungen von jährlich 98 Millionen Euro die Landeszuschüsse für Forschung und Lehre um rund 35 Prozent gekürzt. Das übertrifft, heißt es im Gutachten, „in seiner absoluten Höhe und seinem prozentualen Anteil alles, was bisher der Hochschulmedizin auferlegt wurde“.

Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) scheint das eingesehen zu haben: „Uns ist klar, dass nicht mehr gespart werden kann“, sagte er bei der Präsentation. Auch Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD), sonst immer für einen neuen Kürzungsvorschlag zu haben, scheint zufrieden zu sein. Nur einige SPD-Finanzer mäkeln: Dass die vorgeschriebenen Einsparungen nicht 2006, sondern erst 2010 zusammenkommen, sei „ein Problem“, sagt die haushaltspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Iris Spranger. Demnach sei, heißt es in der SPD, das Thema UKBF noch nicht vom Tisch.

Die Universitäten ihrerseits wollen nun langfristige Planungssicherheit und fordern für die neuen Hoschulverträge, die 2006 fällig werden, eine Laufzeit von acht bis zehn Jahren.

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Welche baulichen Investitionen stehen an?

Bei der viel zitierten Einsparsumme von jährlich 98 Millionen Euro geht es um die Landeszuschüsse für Wissenschaft und Forschung, nicht um bauliche Investitionen. Anders als beim RVK steht sowohl beim UKBF als auch bei der Charité in Mitte noch einiges an.

UKBF-Verwaltungsdirektor Zschernack geht davon aus, dass seine Klinik in den kommenden Jahren noch 100 Millionen Euro braucht, sein Kollege von der Charité spricht von 150 Millionen. Damit ist auch die Sanierung des Bettenhochhauses in Mitte abgedeckt, die schon zur Hälfte durchgeführt ist. Dieses wird nach Ansicht der Kommission von der Charité auch künftig dringend gebraucht. Damit erteilen die Experten allen anderen Bestrebungen – sei es Einzug der Bundeswehr, Privatisierung oder Abriss – eine klare Absage. Bei diesen Summen sind noch nicht jene baulichen Veränderungen berücksichtigt, die durch die neue Struktur nötig werden. Dadurch werden aber auch Immobilien und angemietete Räume frei, die abgestoßen werden können.

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Was passiert als nächstes?

Der Wissenschaftsrat wird die Expertise jetzt noch einmal begutachten und im Januar ein Votum abgehen, zeitgleich wird auch in Politik und Wissenschaftsverwaltung geprüft und ein neues Unimedizingesetz erarbeitet. Nach dem Willen der Kommission soll umgehend eine neue Leitung eingesetzt werden, die dann die Umstrukturierung in Angriff nehmen soll. Die Umsetzung soll 2004 beginnen.

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Bleibt es bei der allgemeinen Zustimmung und Unterstützung für das Gutachten?

Ganz bestimmt nicht, denn dazu haben in der Hochschulmedizin zu viele zu vieles zu verlieren. Erste Absetzerscheinungen vom allgemeinen Lobgesang lassen sich schon beobachten.

So äußert der Ärztliche Direktor der Charité, Manfred Dietel, bereits Zweifel, ob so wirklich die erforderlichen 98 Millionen Euro eingespart werden können. Auch die neuen Leistungsstrukturen sind seiner Ansicht nach nicht ausgereift. Und Umzüge wie der der Charité-Herzchirugie an das UKBF? Fraglich, meint Dietel, schließlich seien dort erhebliche bauliche Investitionen von Nöten. Dass die Charité-Führungsriege der Ansicht ist, als größere Einrichtung stehe ihr auch ein größerer Anteil an den künftigen Leitungsgremien zu, hatte sie bereits am Dienstag betont. Der Personalrat des RVK hat unterdessen angekündigt, mit allen Mitteln gegen die Abstufung seiner Klinik mobil zu machen.

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Gibt es Erfahrungen mit einer solchen Fusion?

Nein, das Vorhaben der Expertenkommission ist bislang einzigartig in der Bundesrepublik. Es könnte „Modellcharakter“ haben, sagt Gutachter Benz. HU-Dekan Joachim Dudenhausen nennt es zögerlich „Experiment“.

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Ist das Gutachten bindend?

Nein, rechtlich nicht. Aber der rot-rote Senat hat sich festgelegt, die Expertise in ihren Grundzügen umzusetzen. Alles andere würde zum Skandal – und der Senat als Wissenschaftskiller und nicht handlungsfähig dastehen.