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Was von der Ampel übrigbleibtKünstliche Intelligenz und Gewaltschutz im Abseits

Nach dem Scheitern der Ampel-Koalition liegen auch zahlreiche digitalpolitische Vorhaben auf Eis. Eine Auswahl – und was Ex­per­t:in­nen hoffen.

Sie wollte die Vorratsdatenspeicherung: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) Foto: Joerg Carstensen/dpa

Berlin taz | Vom Gesetz zum Schutz vor digitaler Gewalt bis zur Reform des Hackerparagrafen – die Ampel-Regierung hatte noch einiges an digital- und verbraucherschutzpolitischen Vorhaben auf der Liste. Vorhaben, die nun voraussichtlich erst einmal nicht mehr realisiert werden. Dazu zählen auch einige Umsetzungen von EU-Gesetzen in deutsches Recht.

Eine davon ist die europäische Verordnung zu künstlicher Intelligenz, der AI Act. Im August ist das EU-Gesetz in Kraft getreten, doch einiges müssen die Mitgliedstaaten noch selbst regeln. Zum Beispiel müssen sie eine nationale Behörde benennen oder einrichten, die die Umsetzung der Verordnung kontrolliert. In Deutschland soll das die Bundesnetzagentur werden.

Doch die braucht auch entsprechende Mittel und Stellen – und dafür bräuchte es den nächsten Haushaltsplan, der sich nun deutlich verzögern wird. Auch weitere Bundesbehörden sollen in die Aufsicht mit eingebunden werden, zum Beispiel die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (Bafin) und das Kraftfahrt-Bundesamt. Auch hier wird es neue Stellen, zumindest aber Umstrukturierungen und Fortbildungen in Sachen KI geben müssen – und dafür Finanzmittel. „Nun haben wir endlich dieses große europäische Gesetz, aber in Deutschland wird es erst mal nicht umgesetzt werden“, kritisiert Jürgen Bering von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF).

Vorratsdatenspeicherung ungelöst

Eigentlich hätte in dieser Legislaturperiode auch ein jahrelanges Streitthema zwischen den Parteien abgeräumt werden können und sollen: die Vorratsdatenspeicherung. Die Ampel-Koalition hatte sich nach langem Gezerre auf eine datenschutzfreundlichere Variante geeinigt: den Quick Freeze.

Statt die Telefon- und Internetverbindungsdaten sämtlicher Bür­ge­r:in­nen anlasslos zu erfassen, sollen beim Quick Freeze im konkreten Verdachtsfall in Bezug auf bestimmte schwere Straftaten wie sexuelle Gewalt an Kindern und auf richterliche Anordnung hin die ohnehin noch vorhandenen Verbindungsdaten gespeichert, also quasi eingefroren, werden. Der entsprechende Gesetzentwurf ist derzeit in der Verbändeanhörung.

„Quick-Freeze dürfte angesichts der eh schon skeptischen Haltung von Faeser und dem Law-and-Order-Flügel der SPD vermutlich nicht mehr kommen“, sagt Tom Jennissen vom Verein Digitale Gesellschaft. „Stattdessen dürfte uns eine weitere Episode mit der ewig untoten Vorratsdatenspeicherung bevorstehen.“ In einer schwarz-roten Koalition werde die SPD den Überwachungsinteressen der Union dabei kaum etwas entgegensetzen.

Schutz vor digitaler Gewalt verschoben

Das Justizministerium hatte bereits vor anderthalb Jahren Eckpunkte für ein Gesetz zum Schutz vor digitaler Gewalt vorgelegt. Betroffene digitaler Gewalt, von denen zum Beispiel Nacktfotos oder persönliche Informationen im Internet veröffentlicht worden sind, sollten es damit einfacher haben, die Daten aus dem Netz zu tilgen. „Es ist dringend an der Zeit, dass der Gesetzgeber hier tätig wird“, sagt Bürgerrechtsexperte Bering. Zwar seien viele der Taten bereits strafbar. Aber die Daten aus dem Internet zu entfernen sei meist schwierig bis unmöglich.

Ebenfalls auf der Kippe steht die Reform des sogenannten Hackerparagrafen. Wenn Si­cher­heits­for­sche­r:in­nen unabgesprochen in fremde Computersysteme eindringen, um Sicherheitslücken zu finden und diese mitzuteilen, dann sollen sie künftig eindeutig legal handeln. Momentan bewegen sie sich in einem Graubereich. Jennissen hofft hier, dass der Gesetzentwurf noch eingebracht wird.

„Eine Entkriminalisierung von Sicherheitsforschung ist weniger kontrovers und im Übrigen durch den Cyber Resilience Act auch europarechtlich vermutlich geboten, jedenfalls naheliegend.“ Er vermutet, dass eine unionsgeführte Bundesregierung hier weniger Ambitionen habe.

Transparenzgesetz bleibt liegen

Darüber hinaus müssen unter anderem weitere Vorhaben warten: ein Gesetz zur Stärkung der Cybersicherheit, das auf eine EU-Richtlinie zurückgeht und schon im Oktober hätte verabschiedet sein sollen. Dazu kommen Gesetze, die die Digitalisierung der Verwaltung vorantreiben sollten, Gesetze zur Beschleunigung des Netzausbaus und das Transparenzgesetz. Das sollte Behörden dazu verpflichten, Informationen selbst zu veröffentlichen. Momentan müssen Bür­ge­r:in­nen eine Veröffentlichung aufwendig über entsprechende Anträge einfordern.

„Viele wichtige Themen sind liegen geblieben“, kritisiert Jutta Gurkmann, Geschäftsbereichsleiterin Verbraucherpolitik im Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). „In einer immer unübersichtlicheren Welt erwarten Ver­brau­che­r:in­nen Lösungen von der Politik.“ Für Konsument:in­nen sei auch die fehlende Einigung bei der Reform der Altersvorsorge oder der weiterhin fehlende Schutz vor Kostenfallen problematisch.

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