: „Was spiele ich für einen Mist“
■ Ein schon frühzeitig verzweifelter Boris Becker verlor mit 4:6, 6:7, 4:6 das Finale von Wimbledon gegen den weitgehend fehlerfrei spielenden 22jährigen Elmshorner Michael Stich
Wimbledon (dpa/taz) — Das endgültige Unheil für Boris Becker zeichnete sich schon zu Beginn des dritten Satzes ab. Gerade hatte der 22jährige Elmshorner Michael Stich den Tie-break des zweiten Satzes gewonnen, nachdem er bereits den ersten Durchgang mit 6:4 für sich entschieden hatte. Sein ein Jahr älterer Gegner bot inzwischen ein wahres Bild des Jammers und man mußte fürchten, daß er gleich den Schläger fallenlassen und einfach nach Hause gehen würde. „Nicht zu glauben, wie schlecht ich spiele“, lamentierte der frischgebackene Weltranglistenerste, obwohl er gerade 30:0 bei Aufschlag Stich führte und zu diesem Zeitpunkt insgesamt genausoviele Punkte gemacht hatte wie Stich. Als Becker dann den nächsten Ball verschlug, brach er erst recht in wildes Gezeter aus: „Ich mag nicht mehr, ich mag nicht mehr.“
Natürlich gelang ihm das Break gegen seinen wie aufgezogen spielenden Kontrahenten unter diesen Umständen nicht, und so beschränkte er sich lieber darauf, den vergebenen Gelegenheiten des letzten Satzes nachzutrauern. „3:1 habe ich geführt, 3:1“, erinnerte er sich an seinen letzten großen Augenblick dieses Matches und vergaß dabei, sich auf das zu konzentrieren, was vor ihm lag.
Das Drama in drei Akten begann vor 13.000 Zuschauern auf dem Centre Court um 15.11 Uhr mit dem ersten Aufschlag von Becker. Im Glutofen von Wimbledon gelang dem eiskalten Stich bei nahezu 40 Grad bereits im ersten Spiel ein Break. Das war schon ein Signal. Zwar schaffte Becker zum 3:3 das Rebreak. Doch als er seinen Aufschlag postwendend zum 3:4 abgab, ließ sich Stich den ersten Satz nicht mehr nehmen. Nach 43 Minuten verwandelte er den zweiten Satzball mit einem Servicewinner.
Im zweiten Akt nahm der Final- Neuling immer mehr die Rolle des Routiniers ein, während Becker den Anfänger spielte. Als Stich Beckers Break zum 3:1 sofort mit dem Rebreak zum 3:2 beantwortete, geriet der dreimalige Wimbledon- Champion erstmals außer sich. „Ich spiele einen Mist zusammen. Ich schlage auf heute, das kann nicht wahr sein.“ Als Stich nach 58 Minuten mit einem As die Satzverlängerung mit 7:4 für sich entschied, biß Becker voller Verzweiflung in sein Handtuch. Fast in jedem Aufschlagspiel des letzten Durchgangs hatte er dann mächtige Probleme. Stich returnierte mit nicht nachlassender Präzision und nützte ungerührt jede Möglichkeit, die sich ihm bot. Becker dagegen besaß nicht den Hauch einer Break-Chance, am Schluß verschlug er leichte Bälle so kläglich, daß keiner mehr an eines seiner legendären Comebacks glaubte. Beim Stande von 5:4 hatte Stich seinen ersten Matchball und er nutzte ihn so konsequent, wie er das gesamte Match bestritten hatte. Ein glasharter Return landete unerreichbar für Becker auf den spärlichen Rasenresten, die der Centre Court von Wimbledon noch zu bieten hatte.
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