: Was ist Autonomie?
■ In den Nahost-Gesprächen vertreten Israelis und Palästinenser unvereinbare Konzepte
Was ist Autonomie? In den Nahost-Gesprächen vertreten Israelis und Palästinenser unvereinbare Konzepte
Gleich zu Beginn der vierten bilateralen Nahost-Gesprächsrunde in Washington ist mit dem Thema „Autonomie für die Palästinenser in den besetzten Gebieten“ zum ersten Mal ein Thema angeschnitten worden, das den eigentlichen Kern des Konfliktes berührt. Die palästinensische Delegation hat einen Plan dazu vorgelegt. Die israelische Delegation hat ihn zurückgewiesen, ohne einen eigenen zu präsentieren. Sie hat sich aber bereit erklärt, „Einzelfragen der lokalen palästinensischen Selbstverwaltung“ zu diskutieren.
Die israelische Zurückhaltung nur mit dem Wahlkampf in Israel zu erklären, wäre zu kurz gegriffen. Denn jede Regierung, die in Zukunft mit den Palästinensern über diese Frage verhandelt, wird vor einer innenpolitischen Zerreißprobe stehen. Dabei geht es aber bislang nicht um einen allmählichen Rückzug aus den besetzten Gebieten. Diese Position vertreten vorläufig nur einige kleinere Parteien und Gruppen — mit der Perspektive einer Zweistaatenlösung. Viele Israelis sind sich nach wie vor in einem Punkt einig: Israels Anspruch auf die besetzten Gebiete ist letztlich legitim. Polarisierter denn je ist jedoch die Diskussion über die Frage, wie und in welchem Umfang man diesen Anspruch geltend machen kann.
Eine kleine Minderheit fordert seit langem die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung. Sie lehnt jede Form von „Autonomie“ ab. Mitglieder der Regierung und Teile der Opposition denken hingegen über die Bildung palästinensischer Enklaven nach, während die „Besiedlung“ der besetzten Gebiete mit der Perspektive einer partiellen Annektion fortgesetzt werden soll. Andere stellen sich eine Integration der Palästinenser in einen mindestens um die Westbank vergrößerten israelischen Staat vor.
Die israelischen Konzeptionen von „Autonomie“ sind vor allem durch die Ambition bestimmt, den Palästinensern einen Status zu geben, der Israels Anspruch auf die Gebiete nicht gefährdet. Die Entstehung einer wie auch immer limitierten palästinensischen Souveränität soll ausgeschlossen werden. Die Palästinenser hingegen hoffen, durch eine „Autonomie“-Regelung eben diese Keimform eines eigenen Staates zu schaffen.
Wenn Israelis und Palästinenser von „Autonomie“ sprechen, dann meinen sie also nicht nur nicht das gleiche. Die Konzepte, die von den beiden Delegationen vertreten werden, schließen einander aus. Was die Palästinenser damit verbinden, wollen die großen israelischen Parteien damit verhindern. Bis wenigstens die Vorform einer Zweistaatenlösung die Unterstützung einer israelischen Mehrheit findet, wird noch viel Zeit vergehen. Derweil schaffen die Siedler womöglich Fakten, die eine solche Regelung unmöglich machen. Nina Corsten
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