■ Was gegen die serbische Aggression im Kosovo zu tun ist: Bosnien darf sich nicht wiederholen
Die Bilder erinnern an den bosnischen und kroatischen Krieg. Zehntausende von Menschen fliehen, lassen aus Angst alles stehen und liegen, um sich vor herannahenden serbischen Truppen in Sicherheit zu bringen. Nur geht es diesmal um den Kosovo.
An Warnungen hat es nicht gefehlt. Doch weder die Experten der internationalen Organisationen noch die Außenminister und ihre Apparate haben sie ernst genommen. Wie schon in Bosnien verstellt eine Mischung aus Ignoranz, Gutgläubigkeit, Karrieredenken und falscher Analyse den Blick. So wurde Milošević wieder einmal unterschätzt.
Auch an Informationen hat es nicht gefehlt. Für die militärischen Apparate der Nato muß klar gewesen sein, was mit dem Aufbau der Stellungen der jugoslawischen Armee beabsichtigt ist: die Vertreibung eines großen Teils der kosovo-albanischen Bevölkerung. Diese Absicht war keineswegs geheim. Wer die Debatten der serbischen Nationalisten verfolgte, wußte, worum es geht. Vojislav Šešelj forderte unverblümt die Vertreibung aller Albaner aus dem Kosovo, in Belgrad diskutiert man seit langem über die Teilung des Kosovo, zudem herrscht in Serbien ein antialbanischer Rassismus. All das wußte man. Doch nicht einmal die Angst vor einer neuen Flüchtlingswelle hat zu einer klaren politischen Haltung der internationalen Gemeinschaft geführt.
Tragisch zudem, daß der friedliche Widerstand der Kosovo-Albaner von niemandem honoriert wurde. Auch von der pazifistischen Fraktion, die stets auf präventive Diplomatie, passiven Widerstand und Wirtschaftssanktionen vertraut, war wenig zu hören.
Genug der Klage. Nun muß gerettet werden, was zu retten ist. Die kosovo-albanische Führung unter Präsident Ibrahim Rugova wünscht seit langem eine Internationalisierung des Konflikts: Ausländische Hilfsorganisationen, Diplomaten und UN-Beobachter sollten in das Land kommen. Dies soll durch einen militärischen Aufbau der Nato in den Nachbarländern flankiert werden, um potentiell in der Lage zu sein, auch militärisch einzugreifen. Doch Rugovas Forderungen stoßen immer noch auf taube Ohren.
Bosnien, so die US-Außenminsterin Albright, soll sich nicht wiederholen können. Doch genau das droht nun zu geschehen. Wenn Albright ihr Statement ernst meint, müßte sie jetzt konkrete Vorschläge machen. Doch die US-Diplomatie setzt noch immer auf Verhandlungen um jeden Preis. Anstatt klar gegen die militärische Aktion der jugoslawischen Armee aufzutreten, wurde ein Verhandlungsprozeß erzwungen, der die Aufmerksamkeit von der wirklichen Entwicklung ablenkt. Der Ruf von Außenminister Klaus Kinkel, man möge doch alle Investitionen in Serbien stoppen, verrät blanke Hilflosigkeit. Milošević hat sich niemals um die „ökonomische Vernunft“ geschert, wenn es darum ging, „nationale Ziele“ zu erreichen.
Auch jene internationale Instanz, die sich bisher mit dem Kosovo befaßte, die aus den USA, Rußland, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien bestehende Kontaktgruppe, hat versagt. Angesichts der gegenläufigen Interessen – so unterstützen Rußland, manchmal auch Italien und Frankreich Serbien – ist dieses Gremium untauglich, ein klares Signal an Milošević zu senden.
Um aus dieser Blockade herauszukommen, müßten die USA und die EU ein neues, handlungsfähiges Gremium schaffen, das konkrete Maßnahmen beschließt. Dazu gehört, sofort die militärische Präsenz der Nato in Albanien und in Makedonien zu erhöhen. Der Vorschlag von Verteidigungsminister Rühe, eine Flugverbotszone über Kosovo durchzusetzen – dies ist angesichts der in Italien stationierten Nato-Streitkräfte möglich –, wäre ein unmißverständliches Zeichen an die richtige Adresse. Der Kosovo darf nicht weiter als eine „innere Angelegenheit“ Restjugoslawiens betrachtet werden. Der Kosovo ist ein internationales Problem. Nur wenn sich diese Einsicht durchsetzt, können die Aktion der jugoslawischen Armee und die Vertreibung Hunderttausender noch gestoppt werden. Erich Rathfelder
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