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Was fehlt

Dem Bundespräsidenten Roman Herzog nicht viel zum Buddhisten. Bei einem Festessen der baden-württembergischen Landesregierung zu Ehren von Ernst Jüngers 100. Geburtstag zeigte Herzog am Mittwoch im oberschwäbischen Saulgau Talent zum mystischen Weisheitslehrer und verblüffte mit munteren Paradoxa. „Ich will heute das Staunen über ein Leben zum Ausdruck bringen, das auf der einen Seite so verwirrend vielschichtig ist und auf der anderen Seite doch auch von einer unbeirrbaren Konsequenz Zeugnis ablegt. Wer die Fehlbarkeit menschlichen Denkens und Handelns kennt, und Ernst Jünger kennt sie, weiß, daß ein konsequenter Weg ein gerader nicht sein kann.“ (So, wie ein aufrechter Gang ohne gekrümmten Buckel undenkbar ist? Ach, ewig möchte man solch präsidiales Mantra hin- und herwälzen!)

Der Jubilar neigte in seiner Dankesrede hingegen mehr zum Hinduistischen hin. Er bedankte sich generös bei seinen Freunden und Feinden: „Beide gehören zum Karma, ohne sie kein Profil.“ Außerdem offenbarte Jünger sich als leidenschaftlicher Leser. Er sei hingegen oft „von der Realität enttäuscht worden, so auch durch die Kriege“.

Zunächst jedoch hatte es scheinen wollen, als sollten dem Jubilar die Gäste fehlen. Die Ankunft der prominenten Gratulanten in Wilflingen hatte sich wegen heftigen Schneetreibens und schlechter Witterungsverhältnisse um etwa 20 Minuten verzögert. Als sie dann per Hubschrauber angekommen waren, wurden Herzog und Bundeskanzler Kohl von der Dorfkapelle Wilflingen auf ihrem konsequenten und geraden Weg zum Jüngerschen Wohnhaus von den Klängen des Marsches „Preußens Gloria“ begleitet.

Den Feierlichkeiten fehlte zwar François Mitterrand, diesem wiederum aber keineswegs ein mächtiges Aufgebot an Gegensatzpaaren, um Jünger dazwischen einzuklemmen: Aufklärung und Romantik, Geist und Materie, Traum und Vernunft, Fortschritt und Reaktion, Irrationalität und Glauben an den Geist und dergleichen mehr finden sich in dem von der FAZ veröffentlichten Jubeltext, der den Vorteil hat, mit wenigen Handgriffen zu jeder anderen Gelegenheit wiederverwendet zu werden.

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