Was der Westen von China lernen kann: Mehr Planwirtschaft – warum nicht?
Die chinesische Regierung nutzt pragmatisch und wirkungsvoll die Instrumente eines starken Staates. Für den Klimaschutz erweist sich das als Vorteil.
Mitten im an Nachrichten armen Sommer 2010 titelt die chinesische Tageszeitung Shanghai Daily: »Die Partei macht sich bereit für den Entwurf des nächsten Fünfjahresplans«.
Der einzige Neuigkeitswert dieses Artikels scheint zu sein, dass sich ab Oktober die zuständigen Delegierten der Kommunistischen Partei Chinas zu ersten Beratungen zusammensetzen werden.
Was wie eine Nullnachricht wirkt, hat es durchaus in sich. Und in China ist das bekannt. Alle fünf Jahre ab Oktober treten die Parteiführer in irgendwelchen Nebenräumen im riesigen Gebäude des Nationalen Volkskongresses zusammen und erörtern die Lage der Nation. Sie bestimmen damit nichts weniger als den Kurs für das gesamte chinesische Volk. Diese »Grüntee-Gespräche«, die im Frühherbst beginnen und bis zum offiziellen Volkskongress im Frühjahr andauern, gelten als richtungsweisend für weit über fünf Jahre hinaus.
AUSZUG aus: Lee, Felix: "Die Gewinner der Krise. Was der Westen von China lernen kann", Rotbuch-Verlag, 2011, broschiert, 192 Seiten. ISBN 978-3-86789-127-1. 12,95 Euro.
Deswegen wird in sämtlichen Amtsstuben, jedem Soziologieinstitut und allen Firmenzentralen auch nur die kleinste Regung aus diesen Hinterzimmern mit großem Interesse verfolgt. Die Ankündigung der Gespräche läutet den Anfang der Vorbereitungen für den Fünfjahresplan ein. Deshalb elektrisierte die Meldung der Shanghai Daily.
Selbst Marktgläubige loben die Planungssicherheit
Die USA haben sich selbst und die weltweite Finanzwirtschaft in eine schwere Krise gestürzt. Die Europäer bekommen ihre Schuldenkrisen nicht in Griff. China hingegen hat der Weltwirtschaftskrise getrotzt, türmt keine Berge von Schulden auf, sondern erwirtschaftet gigantische Überschüsse.
Selbst zutiefst marktgläubige Spitzenmanager der Industrieländer attestieren der Volksrepublik gute Noten und schwärmen, dass sie nur im Reich der Mitte jährlich mit zweistelligen Wachstumsraten rechnen könnten. Auf China sei selbst dann Verlass, wenn die freien Märkte von einer Krise in die nächste schlittern. Chinas Wirtschaft erweise sich als verblüffend stabil. Sie loben die Planungssicherheit.(...)
Markt- und Planwirtschaft – ein Widerspruch? Nicht für die Chinesen. (...)
Die nächsten fünf Jahre gelten dem Klimaschutz
Kopenhagen im Dezember 2009. Es ist der letzte Tag der UN-Klimakonferenz. Auf Gipfeltreffen dieser Art kommt es sehr häufig nicht zu dem erwünschten Ergebnis. Aber in der Regel haben die Verhandlungsführer zumindest einen Kompromiss parat, den die Regierungschefs dann mit blumigen Worten der Öffentlichkeit verkaufen können. Dieses Mal ist es jedoch anders. Mit verärgerter Miene rennen die Delegierten aus dem Saal, einige mit Tränen in den Augen. Die Enttäuschung ist allen Beteiligten im Gesicht abzulesen. China hat Kopenhagen zum Scheitern gebracht.
Zwei Wochen lang haben Regierungsdelegationen, Umweltminister, zum Schluss auch die Staatschefs höchstpersönlich um ein Ergebnis gerungen. Am Ende war es die chinesische Führung, die die Verhandlungen zum Platzen brachte. China zeigte sich nicht bereit, sich auf verbindliche Zahlen bei der Verringerung des Kohlendioxid-Ausstoßes zu einigen. Daraufhin ließen sich auch die US-Amerikaner auf keine konkreten Zahlen mehr ein. Die Staatschefs flogen mit leeren Händen zurück in ihre Heimatländer. Seitdem gilt China als der »Killer von Kopenhagen«.
50 Milliarden Euro in den Klimaschutz
Doch so ganz hat Kopenhagen die Chinesen nicht kalt gelassen. Wie aus dem zwölften Fünfjahresplan zu entnehmen ist, will Chinas Führung jährlich rund 50 Milliarden Euro in den Klimaschutz investieren. Diese Summe übertrifft die Versprechen, die die USA diesbezüglich gegeben haben, und könnte vielleicht sogar über die eigentlich für Kopenhagen vorgesehenen Ziele hinausgehen. Die Klimakonferenz war also nicht umsonst.
Umweltpolitisch hat der zwölfte Fünfjahresplan es ohnehin in sich. So sieht er vor, bis 2020 den Ausstoß von Treibhausgasen für jeden erwirtschafteten Yuan gegenüber 2005 um 45 Prozent zu senken. Je nach Berechnung kann es sein, dass das Land die in Kopenhagen geforderten Ziele auf seine Weise erreichen könnte. China möchte dies vor allem über eine Steigerung regenerativer Energien schaffen, sich aber nicht auf absolute Zahlen einlassen, wie es die Industrieländer verlangen.
Zwar sieht das chinesische Konzept leider auch den Bau von Atomkraftwerken vor. Zugleich soll aber der Anteil an Windkraft von 6 auf 15 Gigawatt steigen, an Solarenergie von derzeit weniger als 1 auf 20 Gigawatt. Wesentlich ist vor allem, dass der Anteil der Kohlekraftwerke an der Stromerzeugung in zehn Jahren von 74 auf 61 Prozent schrumpfen soll.
Die bedeutendste Passage im Fünfjahresplan dürfte die Zusage sein, dass die chinesische Regierung beabsichtigt, bis 2016 jährlich bis zu umgerechnet 300 Milliarden Dollar in Umwelttechnologien zu investieren. Zu diesen Branchen gehört neben den bereits erwähnten erneuerbaren Energiequellen auch die ökologische Landwirtschaft. Auch die Wärmedämmung von Häusern will die Regierung verbessern und wendet daher Milliarden für neue Dämmstoffe auf. Noch nie zuvor hat eine Nation so viel Geld für einen vergleichbaren Zweck aufgebracht.
Marktführer im Solarbereich
Diese Summen werden in der Umweltindustrie nicht ohne Wirkung bleiben. Schon jetzt hat es China mit Hilfe enormer Staatsgelder geschafft, im Solarbereich die Marktführerschaft an sich zu reißen. Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass Deutschland in der Solarproduktion führend war. Nun geht die chinesische Führung bei der Herstellung von Windkraftanlagen ähnlich wie hierzulande vor.
Ein Paradebeispiel dafür, wie sich chinesische Neulinge im Bereich Zukunftstechnologie innerhalb kurzer Zeit dank des Staates weltweit an die Spitze vorarbeiten, ist die Firma Goldwind. 2002 kaufte das Unternehmen seine erste Lizenz und startete in der Provinz Xinjiang im äußersten Nordwesten Chinas mit dem Bau von ersten Windkraftanlagen. Der Staat unterstützte das Vorhaben finanziell vor allem bei der Forschung. Im Jahr 2009 verkaufte Goldwind eigenen Angaben zufolge 2000 Anlagen, 2010 waren es bereits 4450. Inzwischen betreibt das Unternehmen insgesamt acht Fabriken und gehört zu den größten Windradbauern weltweit. Es ist davon auszugehen, dass der Staat weiteren Branchen in der Umweltindustrie ähnlich unter die Arme greifen wird.
Die Staatshilfen haben längst auch das Interesse internationaler Investoren geweckt. Laut einer Studie der Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg investierten ausländische Banken und Versicherungsgesellschaften allein 2010 rund 40 Milliarden Dollar in chinesische Ökokraftwerke und Biotreibstoffanlagen. Dies war erstmals mehr, als sie in die bisherigen grünen Leitmärkte USA und Europa angelegt haben.
Der Westen unterschätzt China in Sachen Umweltbewusstsein
Diese Maßnahmen zeigen, dass der Westen China in Sachen Klimaschutz unterschätzt. Kaum ein Land ist so geplagt von Überschwemmungen, Tropenstürmen, Trockenheit und anderen Umweltkatastrophen wie China. Natürlich hat die chinesische Regierung dieses Problem erkannt. Und im eigenen Land setzt sie sehr viel in Bewegung, um dagegen anzugehen. Nur möchte sie sich nicht darauf einlassen, dass China als sich noch entwickelndes Land dieselben Vorgaben gemacht werden wie dem Westen.
Die chinesische Führung argumentiert, dass der Pro-Kopf-Ausstoß an CO2 in den Industrieländern viel höher läge. Deswegen sei prozentual gesehen im Westen ein wesentlich größeres Einsparpotenzial vorhanden. China, das von anderen Entwicklungs- und Schwellenländern in Bezug auf den Klimaschutz bereits zum Wortführer erkoren wurde, sieht es zudem nicht ein, in gleichem Maße für die Schäden büßen zu müssen, die bisher vor allem die Industrieländer angerichtet haben.
Wahrscheinlich wäre Chinas Verhandlungsdelegation auf der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen den Europäern und den USA auch mehr entgegengekommen, wenn der Westen sich im Transfer von technischem Wissen aufgeschlossener gezeigt hätte. Nun wollen die Chinesen das Wissen mit viel Aufwand selbst erschließen. Die finanziellen Ressourcen stellt die Führung mit dem zwölften Fünfjahresplan zur Verfügung.
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