Warum wir zocken: Gott und Sklave sein

Was ist der Reiz des Computerspiels? Es ist der Ausbruch aus der Verwertung des Menschen als Humankapital und der Eintritt in eine höhere Form der Transzendenz.

Gott sein, Sklave sein, Kampfmaschine sein: Szene aus Crysis 2. Bild: EA

Das Geheimnis eines guten Spiels ist es, seinen Körper zu verlassen. Denn Reisen, Abheben, in See stechen wollen wir und der Körper hält uns fest, wie ein tonnenschwerer Anker aus Stahl, unser Geist kauert auf dem Boden eines zyklopischen Hangars aus Beton und kann nicht fliegen, solange sich das Tor nicht öffnet. Hinaus, hinaus wollen wir, hinein, hinein in das Erlebnis jemand anderes zu sein. Spielen wir ein Rollenspiel oder einen Ego-Shooter so verbindet sich unser Sein mit dem der Figur auf dem Bildschirm bis wir eins werden. Spielen wir ein Strategiespiel, wo wir Armeen bewegen und ganze Reiche zerschmettern so schwebt unser Geist wie Gott über dem Wasser und lässt die Mächtigen verzweifeln.

Es mag bei jedem unterschiedlich lange dauern, aber es gibt eine Zeit, in der sich entscheidet, ob wir mit einem Spiel wirklich glücklichwerden. Wir nehmen Kontakt auf mit seiner Essenz, dem Kern seines Wesens – seinem Humor, seinen Charakteren, seiner Ästhetik und seiner Sicht auf unsere Welt. Ist das uns dargebotene Mittelalter die Blümchensexversion oder gibt es Dreck, Zynismus und Mordbrennerei?

Darf ich Mann und Frau sein? Sind homosexuelle Beziehungen erlaubt? Die Barriere zwischen uns und dem Spiel zu überwinden, kann dem Versuch gleichen, unser Selbst durch ein Schlüsselloch in verheißungsvolles Wunderland zu pressen, wir spüren das zuweilen so sehr wie der Versuch diesen einen letzten Klimmzug noch zu machen, aber auf der anderen Seite wartet das Versprechen des Aufgehens in der anderen Welt.

Natürlich gilt das für allem für Spiele, die eine Geschichte haben, die uns das Eintauchen ermöglicht, die eine gewisse Zeit mit uns verbringen wollen. Andere machen Spaß, fordern unsere kindlichen Triebe heraus oder verlangen uns im Zeitalter der Bewegungssteuerungen beim Fechten, Tanzen oder Tennis spielen sportliche Betätigungen ab. Menschen einer bestimmten Sorte haben sich darüber beklagt, dass zu viel geflohen werde aus dieser Welt in andere. Wo doch unsere Körper, unser Geist hier gebraucht würden und trainiert werden müssten – "für die Arbeit" schreien die Rechten, "für die Revolution" krakeelen die Linken, "für etwas Sinnvolles" dröhnen die Unentschiedenen. Spielen ist das Ausbrechen unseres Körpers aus seiner Verwertbarkeit. Spiele, die sich dessen schämen, sind die Kapitulation vor dem Vorwurf des Eskapismus. Und darum zu verachten.

Vor ein Spiel kann man sich nicht hängen wie vor einen Fernseher. Es ist das Gegenteil von Abschalten und fordert immer die aktive Teilnahme, denn nichts passiert, wenn wir es nicht anstoßen. Wir machen unseren eigenen Film, auch wenn in den immer ausgefeilteren Welten der Gegenwart die Nichtspielercharaktere immer perfektere Eigenleben simulieren. Auf diese Illusion wollen wir uns einlassen, dennoch treiben wir allein die Welt an. Das zieht uns immer tiefer hinein und lässt uns unsere Körper vergessen, zugleich aber zehrt es an unserer Kondition und wirft uns auf die Grenzen unseres Körpers zurück.

Spielen ist die Balance auf einem Seil, Arbeit und Herzensjubel in einem. Manche versuchen der Erschöpfung mit Hilfsmitteln zu begegnen, einige nehmen die Wachhaltedroge Speed, andere greifen zum konventionellen Kaffee. Einige schwören darauf, dass gerade der bewusst erlebte Schlafentzug eine so stabile Verbindung mit dem Spiel schafft, dass diese auch die Standby-Phasen übersteht. Glücklicherweise müssen wir in den meisten Spielen heute nicht mehr essen, um am Leben zu bleiben. Das erinnert nur an den eigenen Hunger.

Irgendwann sind die Augen zwei Kieselsteine, die irgendwo dort kreisend schleifen, wo einmal ein Gesicht war. Nicht Wirbel- sondern Feuersäule sollte es heißen. Gewaltsam werden wir gezwungen, uns zu materialisieren, aber gleichzeitig halten wir die Verbindung. Obwohl wir in unseren Körper zurückkehren, bleibt ein Teil von uns im Spiel und während wir schlafen, gehen wir bekannte Pfade und solche, die es noch hätte geben können. Mit Speed fällt diese Phase natürlich aus.

Mein Gott, was will diese Frau bloß noch alles, ich möchte doch nur sehen, wie das so ist mit der zu vögeln. Echt ne toughe Lady und dann diese Beine, aber egal, wer nicht will , der hat schon. Klar, dafür steht der Typ auf mich. Hier fehlt den Männerkörpern dieses unbehauen Grobe und vor allem das Körperliche insgesamt und in diesem schwarzen Anzug sieht er eigentlich ziemlich cool aus, ganz zu schweigen von den sarkastischen Sprüchen ... Desynchronisation, Desynchronisation .... kann eben doch nicht aus meiner Haut. Mhm, stehen mir die Klamotten? Ganz elegant eigentlich, aber soll das ein Kragen sein ...

Wurde schon erwähnt, dass Spielen nicht nur körperliche Anstrengung, sondern auch körperlicher Abgleich und Test ist? Nun, ist es. Die Entwickler vermögen es uns Körper zu erschaffen und zu umgeben, die es in der realen Welt nicht geben kann. Erinnern wir uns an die Debatte, ob Lara Croft mit ihren Brüsten überhaupt lebensfähig sei. Wer sich sorgt, ob Pornografie unser Bild von dem was schön ist an Sex und Körper verändert, der kann das beim Spiel erst recht fragen. Schließlich sind wir da mittendrin, statt nur davor.

Um im irdischen Leben wieder zurecht zu kommen, müssen wir unseren Körper wieder daran gewöhnen. Wenn wir das Spiel bewältigt haben, dann fließt unser Geist durch das Schlüsseloch langsam wieder in den Körper zurück und wir werden nach einer gewissen Zeit wieder ganzheitlich. Schwieriger wird es, wenn wir das Spiel nur unterbrechen, um unseren Pflichten nachzukommen. Da kollidiert unsere körperliche und geistige Spiel-Konditionierung mit der realen Welt. Darum an dieser Stelle drei Merksätze:

1. Und sie dreht sich doch: Ja, diese Welt bewegt sich ohne uns. Wirmögen für eine Weile das Gefühl nicht loswerden, wir würden wie von einem Kraftfeld umgeben in der Mitte allen Seins stehen und irgendwer schöbe das Geschehen wie papierne Kulissen an uns vorbei. Das ist falsch. Hier passieren die Dinge einfach und wir sind nicht Gott. Nein, zaubern klappt nicht. Ja, wir sind tot, wenn wir von einem Berg springen.

2. Irren ist menschlich: Ob wir uns nun beim Bäcker entscheiden müssen, welches Brötchen wir nehmen oder ob wir uns auf eine Affäre einlassen. Wir können nicht speichern. Ja, das Optionsmenü taucht in unserem Kopf auf, ja wir haben auch schon die Save-Taste gedrückt aber hey, in dieser Realität gibt es für so etwas keinen Speicherplatz.

3. PorNo: Mag sein, dass uns, je nach sexueller Vorliebe, Männer und Frauen hier so unecht vorkommen, unsere Augen fühlen einfach, dass sie aus Plastik oder Styropor gemacht sind. Das liegt an den Glanz- und Perfektionierungseffekten des Spiels. Niemand sieht im realen Leben so aus. Gewöhnen wir uns daran, oder wir werden unser weiteres Leben als Otaku führen und mit Lara-Bettwäsche schlafen. Und übrigens: Die Anmachsprüche aus den Spielen funktionieren meist auch nicht.

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