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■ Warum Milošević gegen die Opposition nicht siegen kannGötterdämmerung in Belgrad

Seit Heiligabend dürfte auch Milošević klar sein, daß sein Ende eingeläutet worden ist. Seine endgültige Niederlage ist nur eine Frage der Zeit. Und das nicht nur, weil den 50.000 regimetreuen fünfmal soviele oppositionelle Demonstranten gegenüberstanden. Nach dem Ende des Krieges in Bosnien steht die Demokratisierung Jugoslawiens und seine Öffnung nach Europa auf der Tagesordnung. Die kommunistische Herrschaft hat schlicht abgewirtschaftet, auch in Serbien. Aber Milošević verhält sich wie ein angeschlagener Boxer, der nichts mehr zu verlieren hat. Das macht die Situation so gefährlich.

Sein Konzept, eine Art Bürgerkrieg der ländlich- proletarischen Bevölkerung gegen die städtische Intelligenz vom Zaume zu brechen, ist zwar nicht aufgegangen. Aber Armee und Miliz stehen noch zu seiner Verfügung. Das angedrohte Demonstrationsverbot könnte der Auftakt zur nächsten Schlacht sein. Die „bolschewistische Sekte“, wie Vuk Drašković die Regierung nannte, könnte in einer Art Todeskampf wild um sich schlägen. Denn Miloševićs Spielraum ist eng. Einige Hardliner seiner Partei für Wahlfälschungen abzustrafen, der Opposition die gewonnenen Bürgermeistersitze zu übergeben und dann in den Wahlkampf für die serbischen Wahlen zu ziehen – das geht nicht mehr. Dafür ist seine Herrschaft zu sehr auf Klientel und Patronage aufgebaut. Wenn er jetzt einen Teil seiner Getreuen opfert, wird der andere Teil den Glauben an die Allmacht der sozialistischen Führung verlieren und die Gefolgschaft aufkündigen. Und wenn erst ein Stück aus der Herrschaftspyramide herausgebrochen ist, dann droht der gesamte Staatsapparat zusammenzubrechen.

Auch die Opposition weiß, daß es nicht mehr nur um die Kommunalwahlen geht. Sondern um die Macht. Solange aber Militär und Polizei getreu zu Milošević stehen, hat die Opposition de facto keine Möglichkeit, die Macht des Präsidenten auszuhebeln.

Gerade deshalb erwartet „Zajedno“ Unterstützung aus dem Westen. Denn wenn der Westen Milošević nicht zur Einhaltung minimaler demokratischer Spielregeln zwingt, droht in Belgrad ein Blutbad. Das wäre für Jugoslawien ein Fiasko. Auf Jahre hinaus wäre das Land als Pariastaat unter den Völkern Europas isoliert, der Lebensstandard würde ins Bodenlose sinken, die Region für nationalistische Abenteuer anfällig werden. Wenn Europa Jugoslawien jetzt fallenläßt, wird es einen sehr teuren Preis dafür bezahlen müssen. Und bis jetzt hat man von Europas Politikern nur Worthülsen gehört. Georg Baltissen

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