Warum Jack Wolfskin gar nicht geht: Runter mit der Tatze!
Abmahnungen hin oder her: Warum das Jack-Wolfskin-Logo auf unseren Kulturbeuteln nichts zu suchen hat – und Firmenchef Hell Derrida lesen sollte.
Manchmal läuft uns nachts ein städtischer Fuchs über die verstaubte Motorhaube und hinterlässt seine Spuren. Tiere halten sich nicht an Regeln, können aber urheberrechtlich auch nicht abgemahnt werden. Anders als einige Hobby-Designer, die ihre Produkte über das Internet vertreiben. Einer kreativen Eingebung folgend, hatten sie den Abdruck einer Tatze auf ihren Filz-Portemonees und Stickmustern hinterlassen. Diese aber ist seit 1982 urheberrechtlich geschützt – und wer das Markenrecht von Jack Wolfskin verletzt, der kriegt eins mit der wuchtigen Pranke von – nach eigenen Angaben – "Deutschlands größtem Outdoor-Ausstatter".
Es wird in diesem Zusammenhang immer von einer Tatze gesprochen. Dabei geht es doch eher um einen Abdruck, eine Marke, oder vielleicht sogar um eine Spur. Und die Spur, wenn sie wirklich im strengen, das heißt freudschen, Sinne eine Spur sein will, muss gelesen werden können. Sie muss interpretiert werden können und auf einen Urheber verweisen. Da der von der Firma Jack Wolfskin „gemittelte“ Kunde – das erfährt man in einem Interview mit Firmenchef Hell – über ein "ansprechendes Bildungsniveau" verfügt, ist er glücklicherweise in der Lage, die Spur der Tatze eindeutig ihrem Urheber zuzuordnen. Tatze = Jack Wolfskin. So muss das gelesen werden und nicht anders.
Der Globetrotter Manfred Hell, Chef der Firma Jack Wolfskin, kennt vermutlich das mulmige Gefühl beim Anblick des Abdrucks einer Bärentatze auf einem Trekkingpfad in Kanada oder Sibirien. Der Bär ist zwar nicht mehr hier, aber er war es und ist vielleicht noch in der Nähe. So ähnlich lässt sich die Spur der Wolfskin-Tatze beschreiben. Die Spur stellt sich nach Jacques Derrida nämlich als "fortbestehende Präsenz eines Restes" dar. Ein kleiner Rest von Leuten ist es denn auch, die immer noch Kleidungsstücke mit Tatzen darauf gut finden.
Komisch eigentlich, dass es überhaupt einmal so viele waren, wenn man das Jack-Wolfskin-Image genauer betrachtet. Wer einem Bergführer gegenüber einmal eine neunmalkluge Bemerkung gemacht hat und sich ein herablassendes "Du mit deinem Jack Wolfskin!" zur Antwort geben lassen musste, weiß, wovon die Rede ist. Im alpinen Gelände wird der Abdruck der Tatze zuallererst mal mit Deutschen assoziiert. Dann mit Anfängern und zuletzt mit einem unangenehm dummdreisten Auftreten. Leute, die Baumwoll-T-Shirts von Jack Wolfskin tragen, haben auf auch Höhen über 3000 Metern keine Handschuhe dabei, dafür aber mit Sicherheit ihren Kulturbeutel mit Tatze drauf in der Hütte vergessen. Kaufhäuser und Outdoor-Erlebniskauflandschaften wie Globetrotter beherbergen noch immer ihre Jack Wolfskin Shop-im-Shops. In den Geschäften dagegen, wo die wirklich coolen Outdoor-Jungs und Outdoor-Mädchen einkaufen findet wir keine Spur von der Tatze. Warum eigentlich nicht?
Die Antwort darauf hat Hell schnell gefunden. Er ist nämlich einer der seine Produkte selbst bis an ihre Grenzen testet. Die Grenzen liegen auf der Hand: Eine Modemarke sei Jack Wolfskin überhaupt nicht. "Modische Produkte können andere Hersteller ganz klar besser", gibt Hell zu. Das ist uns auch schon aufgefallen. Zum Beispiel der Hersteller mit dem Schneeleopardenlogo, der sehr schöne Sachen näht und gleichzeitig auch noch den "Snow Leopard Trust" unterstützt, während Hell sein neues Logistikzentrum mitten in ein Vogelschutzgebiet hinein baut. In Interview mit Welt Online prahlt er damit, dass er jedes Jahr containerweise Piratenware aus Asien sicher stelle – im Interview mit dem Stern träumt er davon, einen Piratensender zu gründen. Ein zwiespältiger Freibeuter ist das also.
Im Selbstversuch setzt Hell sich immerhin der rauen Wirklichkeit aus und muss am eigenen Leibe erfahren, dass ein Altlinker in einer Jack-Wolfskin-Jacke aussieht wie ein Alt-Linker in einer Jack-Wolfskin-Jacke. Wie ein typischer Jack-Wolfskin-Kunde also. "Bei uns steht die Funktionalität im Vordergrund," erklärt Hell Welt Online. Trotzdem, finden wir – und „trotzdem“, findet auch Hell selbst – "gibt es keinen Grund, warum im Jahre 2008 Outdoor-Bekleidung scheiße aussehen sollte." Genau, dafür gibt es auch 2009 noch keinen Grund.
Und darum gibt keinen Grund mehr für diese Tatze, diese Spur. Runter damit von Kleidung, Handtüchern und Kulturbeuteln. Zum Wesen einer Spur gehört nämlich nicht nur, dass sie lesbar sein muss – in diesem Fall als eingetragenes Markenzeichen von Jack Wolfskin – sondern auch, dass sie, laut stichhaltiger Theorieüberlegungen seitens der Franzosen, auslöschbar ist. Wir könnten die Tatze ganz einfach weg lassen und haben auch noch den Segen eines so klugen Altlinken wie Jacques Derrida.
Vielleicht wird es Hell am Ende doch noch Angst und Bange, wenn er sich die komplexe Struktur der Spur vor Augen führt. Das kann ja er alles nachlesen, bei Freud, Bloch oder Derrida. Vielleicht geht ihm dann auf, dass die Tatze als Logo nicht nur aus ästhetischen Erwägungen äußerst fragwürdig ist. Die Spur der Tatze, das muss man ihr, frei nach Derrida, wohl attestieren, ist die Selbstauslöschung, die Auslöschung ihrer eigenen Präsenz. Sie wird durch Drohung oder die Angst ihres unwiderruflichen Verschwindens, des Verschwinden ihres Verschwindens, konstituiert. Spätestens wenn Hell auf einer seiner Reisen vom natürlichen Urheber des Tatzenabdrucks abgewatscht wird, löst sich diese Drohung ein.
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