Warenkunde: Wie funktioniert Céline Dion?

Nach vier Jahren in Las Vegas hat Céline Dion ein neues Album veröffentlicht: "Taking Chances" ist eisig produzierter Perfektionspop. Und die Sängerin selbst?

"Nebelkrähe für Sekretärinnen" oder "Storch auf LSD" - die Dion hat viele Titel. Bild: sony/bmg

Das wird ja gern mal zum Thema Las Vegas fantasiert. Eine Spielhölle, überhaupt ein Vorhof zu einem Dasein jenseits guter Sitten. Mord & Totschlag, Puffs, Drogen, Suff, Frank Sinatra, Sammy Davis Jr., Dean Martin, Verderbtheit - und jede Menge Entertainer, die dort im Spätherbst ihrer Laufbahnen eine Art letzte Raststätte bekommen. Las Vegas - das gilt als altes Flittchen unter den Siedlungen Nordamerikas, da aufzutreten muss doch ein Abgesang schlechthin sein.

Geboren: 30. März 1968 in der Nähe von Montreal, Kanada Muttersprache: Französisch Familienstand: verheiratet mit René Angélil, ein Kind (René-Charles) Wohnort: Florida, Las Vegas, Montreal Politik: abstinent, aber Hillary Clinton zu- wie George W. Bush abgewandt Musikgenre: Pop

Eventuelle ästhetisch-alternative Ambitionen: keine Meriten: 1988 Sieg beim Eurovision Song Contest für die Schweiz mit "Ne partez pas sans moi" Karrierevolumen: Dollarmillionärin im mitteldreistelligen Bereich Auszeichnungen: in Hülle und Fülle - vor allem für ihren Song zum "Titanic"-Film: "My Heart Will Go On" Beste Songs: "Pour que tu maimes encore", "Think Twice", "Love Can Move Mountains", "First Time I Ever Saw Your Face", "Right Next To The Right One"

Liberace etwa, Engelbert Humperdinck, jedenfalls keine Figuren von popästhetischem Belang. Und dann vor fünf Jahren die Frankokanadierin Céline Dion. Die Nachricht kam ja nicht unerwartet. Was hätte nach ihrem Monsterhit "My Heart Will Go On" noch kommen sollen? Eben - Last Exit Las Vegas.

Sie erhielt dort einen Vierjahreskontrakt. Im Dezember hört sie nach eigenem Bekunden auf, ihr folgen ins Amphitheater einer Hotelanlage Cher und Bette Midler - notgedrungen. Wäre es nach den Managern ihres Programms gegangen, hätte die Dion noch sehr lange weitermachen können. Aber sie mochte nicht. Sie habe sich beweisen wollen, dass sie vier Jahre an einem Ostorchrt aushält, Nachmittag für Nachmittag, Abend für Abend, fünf Tage die Woche, der Urlaub immer begrenzt. Und sie hat es getan. Keine Vorstellung, die einer körperlichen Unpässlichkeit wegen ausfallen musste, keine Publikumsenttäuschung, Vorhang für Vorhang Applaus, zufriedene Menschen. Die Dion sagt, an einem Ort zu bleiben, sei auch wichtig für ihr Kind gewesen - diese ewige Tingelei hätten die Kleinen doch schnell satt.

Schon diese Passage könnte Respekt abnötigen, weil sie die Geschichte einer Poparbeiterin erzählt, welche möglicherweise in puncto verhuschter Grazie, der Aura von moderner Damenhaftigkeit oder moderner Szenegängerin nicht die erste Adresse ihres Geschäfts ist, da sind ihr doch immer noch Barbra Streisand, Mariah Carey oder Madonna überlegen. Céline Dion aber war nie eine andere als eine Frau, die über das gewisse Etwas verfügt, welches sie zum Popstar der Neuzeit schlechthin macht. Sie hat Stimme, eine, die über fünf Oktaven verfügen kann, ein Organ, das ihr, Spross einer vielköpfigen Familie aus dem ärmeren Teil Québecs, ein mehr als auskömmliches Leben beschert.

In Nordamerika wäre all das schon Kompliment genug, etwa versehen mit den Worten: Mensch, Mädchen, klasse gemacht. Oder: Super - 25 Jahre im Showbizz, das macht dir so schnell keine nach. In Europa gereicht ihr das alles irgendwie zum Nachteil. Man attestiert ihr, eine "Hausfrau mit Mordstalent" zu sein, eine "Nebelkrähe für Sekretärinnen", die "Doris Day" des singenden Seichtgewerbes, eine Mutter, die "abends ein bisschen singen" gehe, welcher es "nur an Persönlichkeit" fehle, denn "vielleicht" sei Céline Dion "zu perfekt", denn "bieder würde man sie nennen, wäre sie kein Weltstar", einfach ein "Storch unter LSD". Jetzt kündigt sie ihre neue CD, fünf Jahre nach der letzten Veröffentlichung neuen Materials, an, sie habe mal Rockiges singen wollen. Schwer genug für sie, überhaupt Stoff dieser Sorte präsentiert zu bekommen, "die schicken mir ja sonst immer nur Balladen". Und man rümpft wieder die Nasen. Rock? Dion? Nichts als Anmaßung von einer, die in ihren Liedern alles Gewicht auf technische Perfektion legt, nicht auf so etwas wie persönliche Färbung, auf ein Timbre, das eine gewisse Verbundenheit mit dem raueren Genre zeigt.

Seit Mitte Oktober wird sogar schon für ihre Tournee im kommenden Jahr plakatiert, Halt macht sie dann nur in Stadien - wo sonst? Seltsam sieht sie scheinbar aus. Das Bild zeigt sie als fast dürre Enddreißigern, die man, schlecht gelaunt, als viel zu dunkel geschminkt wahrnehmen kann, die Frisur auf Big Hair toupiert; die Augen könnten auf eine leider nur gewisse, nicht ernst zu nehmende Verruchtheit schließen lassen. Aber wie sollte das auch gehen? Eine Sängerin, die alles hat, was man als Berufstätige so erreichen kann, kann nicht ernsthaft die drogenverzickte Wiedergängerin einer Janis Joplin geben - man nähme sie ihr ohnehin nicht ab. Was sie aber, mit erfahrenen Liedschreibern wie David A. Stewart (Ex-Eurythmics), Linda Perry (Pink-Nährerin) oder Anders Bagge aus Schweden im Rückraum, beglaubigt, ist die Historisierung dieser Sorte Unterhaltungsmusik, des Rocks, der sich auf seine Wildheit imagemäßig viel zu lange viel zu viel eingebildet hat.

Die Dion gibt also nun auf den Plakaten die beste Rocksängerin, die es zeitgenössisch geben könnte. Um den Hals trägt sie eine grobe Stahlkette, die nackte Rückenpartie auf dem Cover ihrer CD mit dem Titel "Taking Chances" weist sie als fleißige Gewichtstemmerin aus - eine Businessfrau, die in einem Konzern vier Jahre auf der Zahlrolle stand und nun wieder als Selbstständige unterwegs sein will. Und das wiederum ist so modern, wie es eben nur gehen kann. Die Dion, so gesehen, ist die Inkarnation dessen, was die nonfeministische Frauenbewegung als wichtigste Ikone im Pop geboren hat. Eine ohne all die Flausen im Kopf, welche Authentizität für wichtig halten, welche echte biografische Katastrophen unbedingt besingen wollen - nein, Céline Dion hat keine üble Biografie zu überliefern. Einzig, dass sie noch 1988, als sie den Eurovision Song Contest gewann, wie ein wirr gekämmtes Aschenputtel im Kommunionskleid aussah, mag ihre Suche nach einem guten Lebensweg als hinterlassene Spur bewahrheiten. Aber sonst? Alles nur Aufstieg einer offenkundig wenig depressiv gestrickten Person; nichts, was ihr wirklich im Wege stand, selbst jene Kritiker, die sich früh an ihren Allüren - sie liebt Schuhe über alles, tausende soll sie ihr eigen nennen, außerdem findet sie Trickfilme toll, überhaupt das Leben als solches - störten. Sogar ihre absolut glucksend vor Glück absolvierte Ehrung als Teil des Walk of Fame in Hollywood fanden manche enervierend frei von schrillen Charakterzügen.

Nur ihre - körperlich kenntlich durch ihre schmale Statur - Neigung zu einer gewissen Magersucht deutet verhaltene, wenn auch strikt gebändigte Leidenschaft an. Die "Stahlbaronin", als die man sie ihrer klaren Stimme wegen zieh, die mit ihrer kumpeligen Überherzlichkeit auf der Bühne wie im persönlichen Kontakt irgendwie kontaktlos wirken, leistete sich allerdings jüngst einen Ausraster, den man ihr nicht zugetraut hatte. Da war sie zu Larry King in dessen Talkshow per Übertragung aus Las Vegas eingeladen, zugeschaltet schließlich live die halbe Nation. Man erwartete von ihr karitativ kostbare Worte, etwa über das Leid von Kindern in der Welt und dass man es durch Spenden lindern müsse. Und plötzlich brach sie wütend, in mimisch entgleisendem Zorn, in Tränen aus, verfiel in eine kaum inszenierte Tirade wider die Versager in der Krise um das überschwemmte New Orleans. Was denn das für ein Land sei, das sein Militär überall hin schicke - aber unfähig, es auch zu den Notstandsgebieten im Süden der USA zu entsenden, um dessen Menschen vor dem Elend nach dem Hurricane "Katrina" zu bewahren.

Manche sagten später, keine habe die konservativen Schnösel, die Ignoranten der Bush-Regierung in Washington besser treffen können. Aber sei sie nun politisch? Die Dion ist nicht bescheuert, schließlich ist ihr Produkt, das sie verkörpert, kein Agitprop für eine Seite des politischen Spektrums. Sie sagte nur: "Ich politisch? Ich fand nur absurd, weshalb wir in zwei Sekunden Menschen umbringen können - aber Tage brauchen, um mit Hubschraubern Menschen zu retten."

Nein, sie passt nicht in ein politisches Raster, das Europäer so lieben - als so eine Art tönende Gutmenschin mit Las-Vegas-Faktor plus Walt-Disney-Künstlichkeitsflair. Aber sie war auch nicht dagegen, dass das Hillary-Clinton-Team ihren Song "You & I" zur Hymne der Präsidentschaftskandidatur ausgesucht hat. Und das passt andererseits makellos auf die Haut der Dion: Wie die Clinton schätzt sie ein Leben ohne Alkohol, Koks und Nikotin, hält auf die Werte der Familie, schätzt das neue Selbstbewusstsein von Frauen als ein Lebenselixier und findet ein Leben, das nach dem Credo "Lebe schnell, stirb früh" am gelungensten scheint, scheußlich. "Ich lebe so gern. Für mein Kind. Für meinen Mann. Für meine Fans. Und für mich sowieso. Was soll daran falsch sein?"

Céline Dion kann darauf bauen, dass ihre Stadien im nächsten Jahr auch in Deutschland ausverkauft sein werden. Ihre CD "Taking Chances", ausschnitthaft neulich bei "Wetten, dass?" zu hören, ist ein gutes Geschenk für alle, die eisig-perfekt produzierten Pop für keine Schande halten. Es hört sich gut an, fein ausgesteuert, die Stimme ohne jeden Tadel. Ihr hat Las Vegas nur gut getan.

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