Walfang in Norwegen: Begehrtes Fleisch
Der umstrittene Walfang Norwegens schien am Ende. Doch Fischereilobby und Corona haben das Interesse am Fleisch der Meeressäuger wiederbelebt.
Deren an der Marktnachfrage orientierter Bedarf ist seit Jahren stetig gesunken. 2019 hatten sich nur noch 10 Boote am Walfang beteiligt – in den 1980er Jahren waren es regelmäßig rund 100 gewesen. Inzwischen wird die Fangquote nur noch zu einem Drittel ausgenutzt. 2005 waren es noch 80 Prozent gewesen.
Wal- und Umweltschutzorganisationen konnten hoffen, dass der umstrittene Fang Norwegens – neben Island und Japan dem einzigen Land, das trotz des internationalen Walfangmoratoriums von 1986 noch kommerziellen Walfang betreibt – sich bald von ganz alleine erledigen würde. Auch die Fischer selbst warnten angesichts niedriger Preise im Inland und geschrumpfter Exportmöglichkeiten nach Japan vor dem endgültigen Ende für Norwegens Walfang.
Oslo gab dem Druck der Fischereilobby nach und wurde aktiv. Für die Saison 2020 strich man mehrere Tierschutz- und Ordnungsvorschriften: Für den normalen Fischfang nicht mehr zugelassene Boote durften in Gebrauch genommen werden, die Fangquoten waren gratis, und es war – anders als früher – keine andere Walfangerfahrung mehr erforderlich, außer dass ein einzelnes Besatzungsmitglied einmal in den vergangenen sechs Jahren an einem Fang teilgenommen haben musste.
Kleine Trendwende
Wegen Corona entfielen schließlich auch noch die vorher obligatorischen Schießprüfungen für die Harpunierer. Die waren eingeführt worden, um etwas gegen den durch schlechte Treffer der Schützen verursachten langen Todeskampf der Tiere zu tun.
Zusammen mit einer Marketingkampagne sorgte all das für eine kleine Trendwende. Die Fischhändler meldeten eine gesteigerte Nachfrage, die Fischer konnten das Fleisch von 503 Zwergwalen absetzen.
Einen „Corona-Effekt“ vermutet Øyvind Andre Haram, Chef der Vermarktungsgesellschaft „Norsk Hval“. Wegen der geschlossenen Grenzen seien die NorwegerInnen gezwungen gewesen, im eigenen Land Urlaub zu machen, und hätten auf den Speisekarten der Restaurants und in den Kühltheken der Supermärkte wieder vermehrt Walfleischgerichte entdeckt. „Der Bedarf konnte nicht gedeckt werden.“
Allerdings habe man auch die Qualitätsanforderungen kräftig erhöht. In den vorangegangenen Jahren sei sehr viel minderwertiges Walfleisch auf den Markt gekommen und habe dessen Ruf zerstört. Was man jetzt anbiete, „hat mit den alten Tagen nichts mehr zu tun“, sagt Haram. Entsprechend optimistisch blickt die Branche auf dieses Jahr. Er „hoffe und glaube, dass sich der aufsteigende Trend bei der Nachfrage nach Walfleisch fortsetzt“, äußerte Fischereiminister Odd Emil Ingebrigtsen und charakterisierte den Zwergwalfang des Landes als „nachhaltige Nutzung unserer Meeresressourcen“.
Wale bleiben in Gefahr
Die Tier- und Artenschutzorganisation Pro Wildlife hingegen kritisiert, dass Norwegen als „eines der reichsten Länder der Welt wahrlich nicht auf Walfang angewiesen“ sei und damit weiterhin das vor 35 Jahren in Kraft getretene Walfangmoratorium ignoriere. Dieses Verbot kommerziellen Walfangs hat mittlerweile erfreuliche Effekte gezeitigt. Der weltweite Bestand an Buckel-, Grönland- und Blauwalen wächst, nachdem diese nahezu gänzlich ausgerottet worden waren. Es gibt mehr als 100.000 Zwergwale.
Trotzdem gebe es keine Veranlassung nachzulassen, aber genügend Gründe, warum die verbliebenen Walfangnationen ihren Fang einstellen sollten, sagt Kate O’Connell vom „Animal Welfare Institute“. Die Überfischung der Meere reduziere die Nahrungsgrundlage der Tiere, der wachsende Schiffsverkehr und die wachsende Lärmbelästigung stelle ebenso eine Gefährdung dar wie die ungebremste Schwermetall- und Plastikbelastung der Weltmeere.
Mittlerweile schwimmen mehr als die Hälfte aller Wale und Delfine mit Plastik im Magen herum, sagt die dänische Biologin und Walexpertin Birgith Sloth: Ein hungriger Wal habe es schwer, den Unterschied zwischen einem saftigen Fisch und einem Stück Plastik zu verstehen. Vor allem aber müsse die Klimakatastrophe gebremst werden. „Sonst wird es schwerwiegende Folgen für die Wale und das Meer allgemein geben.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies