Wald, Klima, Soziologie: Der Wald und wir
Junge Soziologinnen entdecken den Wald als Forschungsthema und schließen sich zum Netzwerk Soziologische Waldforschung zusammen.
Menschen lieben den Wald. Gerade im Herbst können unter buntblättrigen Baumkronen der Alltag und die Krisen der Welt kurz verschwinden. Doch bevor wir so richtig tief durchgeatmet haben, holt uns die Realität ein: Vertrocknete Bäume und gesellschaftliche Großkonflikte um die Zukunft von Klimaschutz, Forstwirtschaft und Verkehr sind im Wald genauso zugegen. Die jüngste Bundeswaldinventur trifft unser Wohlgefühl bis ins Mark. Der deutsche Wald ist keine grüne Lunge mehr, die dem Klimaschutz guttut. Er emittiert wegen klimabedingter Schäden inzwischen mehr CO2 als er aufnimmt.
„Die Transformationsprozesse, die uns gerade als Gesellschaft sehr bewegen und manchmal auch durchschütteln, lassen sich am Wald gut aufzeigen“, sagt Stephanie Bethmann. Als promovierte Soziologin und Ethnologin forscht sie seit über zehn Jahren zum Wald. Anfangs sei sie dafür von Kolleg:innen verspottet worden. Der Wald gilt vielen als rein naturwissenschaftliches Thema. Die Soziologie als Lehre von der Gesellschaft befasst sich klassisch mit sozialen Ungleichheiten und dem Zusammenleben von Menschen. Da schien der Wald nichts zu suchen zu haben oder vor allem esoterische Assoziationen zu wecken. Waldsoziologie? Das stand für einen Ausstieg aus der Wissenschaft.
Doch als Bethmann letztes Jahr ihren Habilitationsvortrag über „die Soziologie des Waldes“ an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hielt, stieß ihre Perspektive auf offene Ohren. „Der Wald ist ein Symbol für unsere Verbindung zur Natur und gleichzeitig auch ein Symbol für unsere problematische Naturbeziehung, den Klimawandel“, sagt sie. Deshalb käme dem Wald in den Auseinandersetzungen um die Zukunft eine so große Bedeutung zu. „Der Soziologie des Waldes geht es um die Reflexion, wie wir als Gesellschaft mit natürlichen Ressourcen umgehen, wie wir selbst Teil von Natur oder Gegner von Natur sind.“
Mentalitäten im Fluss
Bethmann arbeitet an der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) Baden-Württemberg in Freiburg. Seit 2021 leitet die 46-Jährige dort die Stabstelle Gesellschaftlicher Wandel mit insgesamt 24 Mitarbeiter:innen. Der Name klingt nach einem angestaubten Bürokratiemonster. Aber die Ressortforschungseinrichtung des Landes Baden-Württemberg ist unter ihresgleichen bundesweit Vorreiterin bei der Zusammenarbeit der Forstwissenschaften mit den Sozialwissenschaften. „Eine so große, soziologisch geprägte Waldforschungsgruppe gibt es sonst nirgendwo“, sagt Bethmann, „die anderen sind oft die einzigen in ihrer Institution.“
„Die anderen“, das sind die weiteren Mitglieder des 2023 neu gegründeten Netzwerks „Soziologische Waldforschung“. Nun fand erst im Oktober ihr zweites großes Treffen bei der FVA in Freiburg statt. Innerhalb von einem Jahr haben sich knapp 100 Mitglieder aus dem deutschsprachigen Raum dem Netzwerk angeschlossen. Das Netzwerk ist aus einem Gefühl der Isolation heraus entstanden. „Ich fühlte mich allein auf weiter Flur“, sagt Jana Holz, eine der vier Gründerinnen. Die 34-jährige Doktorandin der Universität Jena ist Teil der Nachwuchsgruppe „Mentalitäten im Fluss“, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Die Gruppe erforscht, wie sich die Einstellungen und Vorstellungen von Menschen wandeln, wenn Gesellschaften von fossilen Rohstoffen auf biobasierte Stoffe umstellen. Neben ihr gab es in der Arbeitsgruppe niemanden, der zum Forstsektor forscht.
Ihre Perspektive, das Verhältnis von Wäldern und Gesellschaften in den Blick zu nehmen, erlebten sie als abseitig. Zwar gebe es Forschungsfelder, an die sie andocken könnten, etwa die Umweltsoziologie, die Nachhaltigkeitssoziologie und die Agrarsoziologie, sagt Jana Holz, „aber es geht dann auf Tagungen nur am Rand mal um den Wald“. Dann gebe es auch die Forschung zu Forstpolitik, doch da sei es vor allem um Waldmanagement gegangen. Auf Online-Tagungen während der Coronapandemie traf sie drei junge Waldforscherinnen, die sich ähnlich allein fühlten. So kam die Idee auf, all die zu vernetzen, die in dem Bereich arbeiteten. Mit den drei Kolleg:innen, Ronja Mikoleit von der FVA Freiburg, Anna Saave, damals an der HU Berlin, und Ronja Schröder von der Uni Oldenburg, lud Jana Holz deshalb im Dezember 2023 zum 1. Soziologischen Waldsymposium nach Jena ein. Zur Überraschung der vier Gründerinnen kamen auf Anhieb rund 40 Teilnehmende aller Karrierestufen.
Stephanie Bethmann, Soziologin
Doch in welche Zukunft brechen die überwiegend jungen und mehrheitlich weiblich gelesenen Soziolog:innen auf? Was haben der Wald und die Gesellschaft davon? „Es gibt ein großes Selbstverständnis, dass wir nicht nur eine akademische, sondern auch eine gesellschaftliche Aufgabe haben“, sagt Stephanie Bethmann. Ihre Stabsstelle bei der FVA erforscht zum Beispiel, wie klimabedingte Waldveränderungen in der Bevölkerung und in der Forstbranche wahrgenommen werden. Sie untersuchen auch die Kommunikation zwischen Bürgerinitiativen und der Forstverwaltung. Mit soziologischen Theorien und Methoden arbeiten sie heraus, warum Verständigung so schwierig ist und wie sie gelingen könnte. Die Erkenntnisse spiegeln sie den Konfliktparteien zurück, zum Beispiel in der Broschüre „Der Streit um den Wald – Umgang mit waldbezogenen Konflikten“, in der sie Tipps geben, wo Forstleute und Umweltaktivist:innen aneinander vorbeireden, und wie sie sich gemeinsam für den Erhalt des Waldes einsetzen können.
Unsicherheiten und Nichtwissen durch den Klimawandel
Bethmann möchte vor allem Wege zu einer konstruktiven Debattenkultur aufzeigen. Die Soziologie kann helfen, indem sie zeigt, dass hinter den verschiedenen Positionen unterschiedliche Erfahrungen, Wertvorstellungen und Gefühle gegenüber dem Wald liegen. „Ich finde es irreführend, wenn wir Konflikte um Wald primär als ‚Interessenskonflikte‘ interpretieren“, erklärt Bethmann. Ein Beispiel sind Waldarbeitende, zu deren Identität es gehört, den Wald zu pflegen und aufzuräumen. Nachhaltige Waldbaukonzepte verlangen von ihnen, Totholz unangetastet zu lassen. „Das macht ihren Arbeitsalltag gefährlicher und verletzt ihr Selbstverständnis“, sagt Stephanie Bethmann, „wenn man so etwas ignoriert, kann man Menschen nicht für Veränderungen begeistern.“
Der „forstliche Habitus“, also die Berufskultur der Forstleute, zeichne sich durch ein starkes Traditionsbewusstsein und Stolz auf die Rolle als „Erfinder der Nachhaltigkeit“ aus, erklärt Bethmann. Der Klimawandel fordert die Forstleute heraus, da die Wälder nicht mehr wie gewohnt auf forstliche Arbeitsmethoden reagieren. Sie müssen mit Unsicherheiten und Nichtwissen umgehen. Bethmann versteht ihre Aufgabe als Vermittelnde. „Auch Waldbesitzer haben meist eine innige Beziehung zum Wald und wollen ihn erhalten.“ Der soziologische Blick für Ängste, Identitäten und Überzeugungen jenseits ökonomischer Interessen schaffe eine Grundlage für Verständigung.
„Die Bundeswaldinventur hat ein umfassendes Bild vom Zustand der Wälder gezeichnet, aber ein Bild, bei dem die Menschen nicht vorkommen“, sagt Stephanie Bethmann. Die Soziologie sei eine wichtige Ergänzung, denn die Zukunft der Wälder hängt maßgeblich vom Handeln und Unterlassen der Menschen ab. Aber ohne die Naturwissenschaften geht es auch nicht. „Wie sich die Beziehungen zum Wald materiell auf ihn auswirken, können wir mit unseren Mitteln nicht beantworten“, so Bethmann. Waldforschung brauche mehrere Disziplinen. Fest steht: Der Wald ist genauso menschengemacht wie der Klimawandel und sein Zustand kein Naturgesetz. Dieses Bild hat sich bei vielen zivilgesellschaftlichen Gruppen mittlerweile durchgesetzt.
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