Wahlsieg für Polens Bürgerplattform: Zurück ins Herz Europas
Nach seinem Wahlsieg strebt Donald Tusk einen radikalen Kurswechsel an: Innen- und Außen. Berlin und Brüssel sind erleichtert über Polens eindeutige Wahl.
Auch wenn Polens Präsident nicht mehr so mächtig ist wie zu Zeiten Lech Walesa, so kann er doch immer noch sein Veto einlegen - gegen jedes Gesetz, das das Parlament verabschiedet. Staatspräsident Lech Kaczynski, Zwillingsbruder des abgewählten Regierungschefs, hatte genau damit gedroht. Tatsächlich könnte er die Regierungsarbeit der neuen Koalition in Polen faktisch lahmlegen. Um das Veto zu überstimmen, ist eine Dreifünftelmehrheit erforderlich, also 276 Stimmen. Da die PO (209) und die PSL (31) es zusammen nur auf 240 Stimmen bringen, sind noch die der Linken und Demokraten (LiD) nötig, um das Veto zu überstimmen. Wahrscheinlich wird daher LiD die neue Regierung von der Oppositionsbank aus unterstützten.
"Triumph der Bürgerplattform", "Triumph, Triumph" und "großartiger Sieg der Bürgerplattform" - jubelten Polens Zeitungen. Nach knapp zwei Jahren Kaczynski-Regierung stürmten die Polen regelrecht die Wahllokale. Sie wollten den Wandel. Die Rückkehr zu einer Demokratie ohne Schauprozesse, zu einem Leben ohne permanente Angst vor Spitzeln und Agenten und die Rückkehr zu einem europafreundlichen Polen.
So groß war der Andrang in den Wahllokalen, dass in einigen sogar die Stimmzettel ausgingen und die Polizei mit Blaulicht durch Warschau und Danzig raste, um Nachschub zu holen. Die letzten Wahllokale schlossen um 23 Uhr. Bis dahin durfte keine Prognose bekannt gegeben werden. Als dann endlich die Zahlen an den Parteisäulen aufleuchteten, umarmte Tusk seine Frau und rief: "Ich bin heute der glücklichste Mensch auf der Welt!"
Mit 41,4 Prozent der Stimmen liegt seine konservativ-liberale Bürgerplattform (PO) weit vor der bisherigen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die es gerade mal auf 32,2 Prozent brachte. Drittstärkste Kraft im künftigen Sejm, dem polnischen Abgeordnetenhaus, wird mit 13 Prozent das Parteienbündnis Linke und Demokraten (LiD) sein. Auf knapp 9 Prozent brachte es die konservative Bauernpartei PSL, die gute Chance darauf hat, an der Regierung beteiligt zu werden. Die ehemaligen Koalitionspartner der PiS, die rechtsradikale Liga der Polnischen Familien (LPR) und die linkspopulistische Bauernpartei "Selbstverteidigung" schafften es nicht über die Fünfprozenthürde.
Der Erfolg hatte sich erst vor knapp zwei Wochen abgezeichnet. Den großen Umschwung in der Wählergunst brachte das Fernsehduell Tusks gegen Kaczynski, das Tusk bravourös gewann. Kurz darauf gewann er auch noch das Fernsehduell gegen den Expräsidenten Aleksander Kwasniewski, der bei den Polen nach wie vor hoch in der Gunst steht. In diesem Duell hatte er zum ersten Mal eine unmissverständliche Koalitionsaussage gemacht. Sollte die PO gewinnen, werde sie mit der gemäßigten Bauernpartei PSL eine Regierung bilden. Die Umfragewerte stiegen.
Dann machte PiS einen für sie dramatischen Fehler. Über die Fernsehbildschirme flimmerten wie so oft in den vergangenen zwei Jahren verwackelte Bilder. Das Zentrale Antikorruptionsbüro hatte wieder einmal zugeschlagen und bei den politischen Gegnern einen Fall von Korruption aufgedeckt. Zwar lag der Fall schon zwei Wochen zurück, aber dem Chef der Behörde schien es wichtig, ausgerechnet jetzt seine Verbrecherjagd medial ins rechte Licht zu setzen. Mitten im Wahlkampf. Zu sehen war auf den verwackelten Bildern eine PO-Abgeordnete, wie sie verliebt mit dem vermeintlichen Freund plauderte und sich über seinen großen Blumenstrauß freute. Dass er als Antikorruptionsagent seit rund einem Jahr auf sie angesetzt war und sie zur Korruption verführen sollte, erfuhr sie erst, als sie im Hotel das Schmiergeld für ihre Vermittlungsdienste bei einem Immobilienerwerb in Empfang nehmen wollte. Unter Tränen flehte sie am nächsten Tag den Justizminister an, ihr einen fairen Prozess zuzugestehen. Sie wolle sich verteidigen. "Sie haben schon eine Abgeordnete auf dem Gewissen! Barbara Blida hat Selbstmord begangen. Und jetzt treiben sie mich auch in den zivilen Tod!" Vielen PiS-Anhängern öffneten diese Szene die Augen. Polen war auf dem besten Weg in einen Unrechtsstaat. Statt der PO zu schaden, erreichten die Bilder genau das Gegenteil: Die Umfragewerte für die PiS sanken.
"Wir werden Polen ins Herz Europas zurückführen", erklärte Bronislaw Komorowski, Stellvertreter von Parteichef Donald Tusk, gestern in Warschau. Die PO werde in der Innen- und Außenpolitik einen grundlegenden Kurswechsel durchführen. In ganz Europa, insbesondere aber in Deutschland wurde diese Ankündigung mit großer Erleichterung und Freude aufgenommen. Angela Merkels CDU und Tusks Bürgerplattform arbeiten im Europäischen Parlament in einer Partei zusammen. Daher setzt Bundeskanzlerin Merkel nicht nur auf eine bessere Zusammenarbeit in der Europapolitik, sondern erwartet auch eine Entspannung im deutsch-polnischen Verhältnis. Auch Russland hofft nun auf neue Gesprächsbereitschaft und die Lösung einiger unnötiger Konflikte.
Die Bürgerplattform will die von den Konservativen abgebremste Einführung des Euro wieder beschleunigen und in fünf oder sechs Jahren ermöglichen. Zudem will sie den in Polen unpopulären Irak-Einsatz beenden und die 900 polnischen Soldaten so bald wie möglich nach Hause holen.
Für ihr ehrgeiziges Programm strebt die Partei ein breites Bündnis mit anderen oppositionellen Kräften an. "Wir müssen mit allen, die Recht und Gerechtigkeit an der Regierung loswerden wollten, ein möglichst breites Bündnis bilden", sagte Komorowski dem polnischen Rundfunksender Tok FM. Erste Koalitionsgespräche sollen noch in dieser Woche geführt werden. Am 10. November soll die Regierung stehen.
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