piwik no script img

Wahlrecht für Kinder„Kinder sollen mitbestimmen“

Politikstudentin Tracy Osei-Tutu fordert ein Wahlrecht für Kinder und einen Jugendrat mit Vetorecht – zuletzt kettete sie sich dafür im Bundestag an.

Jeden Freitag protestieren ist für Aktivistin Tracy Osei-Tutu keine nachhaltige Lösung. Sie fordert einen Jugendrat Foto: dpa
Interview von Katharina Schmidt

taz: Frau Osei-Tutu, warum haben Sie sich vergangene Woche eigentlich im Bundestag angekettet?

Tracy Osei-Tutu: Weil ich und die anderen an die Bundespolitik angebunden sein möchten. Die aktuelle Politik führt uns in eine Sackgasse, und gerade uns Junge betrifft das stärker, weil wir länger leben. Die Bewegung FridaysForFuture zeigt deutlich, dass schon ganz junge Menschen politisch präsent sind, aber andere Wege kennen und gehen möchten. Ich sehe es jedoch nicht als nachhaltige Lösung an, jeden Freitag dazustehen, wenn wieder etwas passiert wie die geplante Abrodung des Hambacher Forsts oder die Fristverlängerung des Kohleausstiegs. Deswegen wünsche ich mir, dass Kinder und Jugendliche aktiver Teil der Demokratie werden mithilfe eines Kinderwahlrechts und einem Jugendrat, der über die Zukunft wacht.

Wie soll so ein Jugendrat genau funktionieren?

In meinem Verein „Demokratische Stimme der Jugend“ stellen wir uns ein Gremium vor, das die Interessen der Jugend auf Bundesebene vertritt. Die Mitglieder sollen zwischen 14 und 28 Jahre alt sein und durch das aleatorische Verfahren, also das Los, ermittelt werden. Hierbei handelt es sich um ein demokratisches Prinzip, das bereits in der Antike Anwendung fand. Natürlich dürfen die gelosten Personen ablehnen. Auf diese Weise möchten wir mögliche Hürden für eine Mitgliedschaft aus dem Weg räumen und Mini-BerufspolitikerInnen vermeiden, die nur die Anliegen der dominanteren Meinungsgruppe verkaufen. Wichtigster Hebel des Jugendrats ist das Zukunftsveto. Die junge Generation soll „Stopp“ sagen können bei Themen, von denen sie langfristig betroffen sind. Das Brexit-Votum wäre so ein Fall gewesen. Damals haben überwiegend die älteren Menschen für den Ausstieg gestimmt, doch die Jugend, die mehrheitlich dagegen war, muss mit der Entscheidung noch leben, wenn die Alten nicht mehr da sind.

Im Interview: 

Tracy Osei-Tutu20, studiert Politik an der Freien Universität Berlin. Sie ist Mitglied im Verein Demokratische Stimme der Jugend und in der Initiative Weltvision.

Es gibt aber SchülerInnen, die der Idee des Kinderwahlrechts skeptisch gegenüberstehen. Kinder und Jugendliche seien noch nicht urteilsfähig.

Ich finde es heftig, wie klein das Selbstbewusstsein von jungen Menschen geworden ist. Felix Finkbeiner hat Plant-For-The-Planet gegründet, als er neun Jahre alt war. Er weiß bestimmt mehr über die Klimapolitik als so manch 80-Jähriger. Natürlich gibt es Kinder, die keine Ahnung haben – was in Ordnung ist. Beim Kinderwahlrecht geht es vielmehr dar­um, den Kindern und Jugendlichen, die politisch aktiv werden wollen, die Möglichkeit zu geben. Ich wünsche mir die kindliche Perspektive in all unseren Bereichen und nicht immer nur die Meinungen von ExpertInnen. Klar, Greta Thunberg kann vielleicht nicht unseren Energieverbrauch ausrechnen, aber sie kann sagen, dass sie es schlimm findet, wenn sie nie wieder Schnee sehen wird oder ganze Inselgruppen untergehen werden.

KritikerInnen unterstellen den Klima-AktivistInnen eine Doppelmoral, da sie Flugreisen wahrnehmen und Handys mit problematischen Rohstoffen benutzen.

Ich wünsche mir die kindliche Perspektive in all unseren Bereichen und nicht immer nur die Meinungen von ExpertInnen

Bei sich selbst anzufangen ist wichtig und richtig, jedoch handelt es sich nicht um dieselbe Debatte. Ich will einen systemischen Wandel und eine Welt, in der es Kindern einfach gemacht wird, auf so etwas zu verzichten. Außerdem wird uns vieles von den Erwachsenen vorgelebt. Ich finde schade, dass die Energie darauf verwendet wird, Menschen, die einen Wandel bewirken wollen, zu diskreditieren – dann doch lieber in das Lager der VeränderInnen wechseln und konstruktive Hinweise zur Verbesserung geben. Ich bin offen für Tipps.

Im Interview: 

Was für Konsequenzen drohen Ihnen nach der Bundestagsaktion?

Uns droht eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs und vielleicht wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt durch das Anketten. Ausschnitte der Aktion kann man übrigens in einem Musikvideo auf meinem YouTube-Kanal WelTVision anschauen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Wer den Unterschied zwischen diskreditieren und kritisieren nicht kennt, braucht wohl Nachhilfe.



    Um Politik der Gegenwart zu verstehen, muß man die Geschichte kennen und die Auseinandersetzung mit verschiedenen Philosophien ist auch hilfreich. Das alles findet in den meisten Schulen nicht mehr statt. Erwachsene können das durch Lebenserfahrung und Vernunft kompensieren. Kinder wohl kaum.