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Wahlrecht für HäftlingeEin Mörder hat die Wahl

Er sitzt lebenslänglich im Knast. Trotzdem will Uwe Kros unbedingt seine Stimme abgeben. Für seine Kinder und um im Leben zu bleiben.

Wunsch nach Normalität: Wählen im Knast. Bild: dpa

BRANDENBURG taz | Maskierter Überfall. Den Griff der Pistole fest umklammert. Es geht um Geld. Uwe Kros* will seinem Opfer drohen, doch die Situation eskaliert. Einmal ausgerastet. Durchgedreht. Einmal die Kontrolle verloren. Er würgt sein Opfer, wirft es bewusstlos in einen See, in dem es ertrinkt. Das Fluchtauto versucht er anzuzünden.

Jetzt, hier im Knast, kommen die Erinnerungen meist nachts. „Ich hätte mich stellen sollen, die Leiche nicht weg machen, so wurde alles nur noch schlimmer.“ Seit Jahren kämpft er mit einer einzigen Frage. Sie sitzt in seinem Kopf und hämmert von innen gegen die Schädeldecke. Sie raubt ihm den Schlaf. Warum?

Um nicht zu zerbrechen an dieser Frage kämpft Uwe Kros jeden Tag mit sich selbst. Er kämpft um ein Stück Normalität in seinem Leben im Gefängnis. Er will etwas tun, was man auch draußen, in Freiheit tun darf: Uwe Kros will wählen. Unbedingt.

Wahlrecht für Straftäter

Bei Gründung der Brundesrepublik im Jahr 1949 entschied man sich zunächst, Gefängnis-Insassen von der Wahl auszuschließen. Im Mai 1956 wurde in Hinblick auf die dritte Bundestagswahl das Wahlrecht für Strafgefangene eingeführt. Einen automatischen Verlust des Wahlrechts bei Verurteilung gibt es nicht. Nur in besonderen Fällen, wie zum Beispiel bei Wahlfälschung oder Landesverrat, kann das Gericht einem Straftäter das Wahlrecht absprechen.

Die Staatsanwaltschaft plädiert auf Mord, das Gericht sieht das auch so: Der 58-jährige bekommt lebenslänglich, das bedeutet 15 Jahre Knast – bei guter Führung. Wenn alles gut geht, dann wird er, der Mörder, irgendwann wieder in die Freiheit entlassen werden. Denn der moderne Strafvollzug sieht sich als Vermittler zwischen Häftling und Gesellschaft. Man will aus den Gefangenen keine Bestien machen, sondern ihnen die Bestien austreiben.

Das, so glaubt man heute, klappt mit Therapieangeboten besser als mit knallharten Sanktionen. Die Gefangenen sollen das Gefühl haben, weiter Teil dieser Gesellschaft zu sein. Dazu dient auch das Wahlrecht: Bereits seit der dritten Bundestagswahl im Jahr 1957 dürfen Gefangene an Wahlen teilnehmen. Deshalb darf auch Uwe Kros als Mörder bei der Bundestagswahl seine Stimme abgeben.

Trotzt lebenslänglich: Uwe Kros will wählen.

„Natürlich“, sagt Kros, „bringt mir wählen nichts.“ Nicht für die nächste, nicht für die übernächste Legislaturperiode. Noch Jahre wird er im Gefängnis sitzen. Doch er will unbedingt wählen. Nur warum? Warum beteiligt sich jemand an der Gesellschaft, von der er ausgeschlossen wurde?

Uwe Kros sitzt in seiner Einzelzelle ruhig auf seinem Bett, der Rahmen ist aus Stahl. Zehn Quadratmeter zum Leben, noch mindestens zehn Jahre. Vor den Gitterstäben regnet es in Strömen. Seine Füße berühren gerade so den Boden. Der 58-jährige ist ein kleiner, muskulöser Mann. Er hatte vor kurzem Geburtstag. Die Mithäftlinge seiner Piste, wie sie hier einen Zellenflur nennen, haben ihm eine Karte geschrieben: „Immer für einen Scherz zu haben“, steht darauf. Und trotzdem ist es kein gutes Datum für ihn. Vor fünf Jahren wurde er verurteilt. Genau an seinem Geburtstag.

Doch Aufgeben kommt für ihn nicht in Frage. Möglichkeiten gäbe es viele im Gefängnis. „Ich muss da durch“, sagt er. „Irgendwie.“ Er hangelt sich von Tag zu Tag. Nächste Etappe: Die Bundestagswahl. Sein Ziel: Im Leben bleiben.

Seit Wochen verfolgt der 58-Jährige den Wahlkampf, wenn auch unter erschwerten Bedingungen. Internet und Handy sind verboten im Gefängnis. Seine Verbindung nach draußen ist der Fernseher. Wenn er gezielt Infos sucht, ließt er Teletext. Manchmal nachts. Uwe Kros kennt eine Seite, auf der die Wahlprogramme der Parteien erklärt werden.

Demokratie hat im Gefängnis wenig Platz

Austauschen kann er sich über Parteiprogramme nur wenig: Nur ein paar seiner 300 wahlberechtigten Mithäftlinge wollen wählen. Wie viele Briefwahlbogen von den Gefängnisinsassen beantragt wurden, kann niemand sagen. Datenschutz. Wahlgeheimnis. Aber viele werden es nicht sein, sagt ein Justizbeamter. Nicht mal eine Gefangenen-Vertretung innerhalb der Gefängnismauern kommt zustande. Es mangelt an Kandidaten. Demokratie hat in Uwe Kros' neuem Zuhause nicht viel Platz.

Trotzdem will Kros für die Bundestagswahl seine Kreuzchen machen. „Wenn du nicht wählst, wählen die anderen nur Idioten“, sagt er. Die Briefwahlunterlagen hat er schon beantragt, er weiß nur noch nicht, wen er wählen soll. „Auf keinen Fall rechts, wie die meisten hier.“ Eigentlich hat er immer die SPD gewählt. Jetzt aber, hier im Knast, entscheidet er sich vielleicht für die Linkspartei. Denn so ganz stimmt das nicht, dass die Politik keinen Einfluss auf das Leben im Gefängnis hat.

Im letzten Frühjahr verabschiedet die Regierung in Brandenburg ein neues Justizvollzugsgesetz. Das Gesetz regelt, dass Gefangene noch intensiver betreut werden, um sie auf ein Leben nach der Haft vorzubereiten. „Die Atmosphäre ist jetzt ein bisschen lockerer hier“, sagt Kros. Viele Häftlinge sehen die Linkspartei als die treibende Kraft im Brandenburgischen Landtag für das neue Gesetz.

Doch trotz einiger Lockerungen: Auch mit dem neuen Gesetz dürfen Angehörige die Zellen der Insassen nicht sehen. Seine Familie empfängt er deshalb in einem Besucherraum, sogar die hochbetagte Mutter war schon einmal da. Sein Enkel sagt zu ihm Opa Uwe.

„Mindestlohn muss sein“

Obwohl beide seiner Töchter studiert haben und eine von ihr als Ärztin arbeitet – „Mindestlohn muss sein“, sagt er. „Wenn ich sehe, wie wenig manche verdienen, das geht nicht.“ Uwe Kros wählt für seine Kinder. Auch beim Thema Renten denkt er an sie. „Wer ein Leben lang arbeitet, muss am Ende auch was haben.“

Besonders interessiert sich Kros für die Energiepolitik. „Schon berufsbedingt“, sagt der gelernte Heizungsinstallateur. Kros hofft irgendwann sein altes Leben zurück zu bekommen. Wenn er raus kommt, ist er 68 Jahre alt – wenn alles gut läuft. Doch wie wird die Welt draußen aussehen in zehn, zwölf Jahren? Von seiner Zelle aus kann er die Energiewende beobachten. Nachts blinken rote Warnleuchten an den Rotoren moderner Windräder. „Gold wert, diese Aussicht“, sagt er.

Ein Stück Normalität zum Überleben

Abgeschottet durch Beton und Stacheldraht lebt er in einer Welt mit wenig Wahlmöglichkeiten. Duschen, Essen, Sport, alles ist festgelegt. Die einzige Option im Gefängnis ist sich zu verweigern. In seiner Welt kann er keine zehn Meter gehen, bis ihm eine schwere Tür mit Schloss den Weg versperrt. Egal wo er hin will, es muss ihm geöffnet werden.

Und so ist er in Gedanken weiterhin in der Welt vor den Gefängnismauern. Er wählt, um etwas zu tun, was auch seine Familie hinter dem hohen Stacheldraht tut. Es ist eine Gemeinsamkeit, über die er mit ihnen reden kann. Die Wahl bringt Uwe Kros ein Stück Normalität in seine Welt. Sie gibt ihm das Gefühl bei seinen Kindern zu sein, weiterhin Teil dieser Gesellschaft zu sein. Er hat das Gefühl, dass seine Meinung gefragt ist, seine Stimme erwünscht ist. Was für viele Menschen keinen Wert hat, ist für ihn Überlebensstrategie.

*Name von der Redaktion geändert

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13 Kommentare

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  • der sensationelle einzelfall. früher, als die lillusion vomn gemeinschaft noch durch räubwber-massenmörderr-kadavegehorsam des militarismus gefüllt war, hat man sivch idealztypiscerhweise überlegt, dsas bürgerrewchre bei kapiltslverbrechen aberkannt wefdenm weil diefremdnestuimmung als gefangene ja auch total ist.

     

    heute, wo es nur um kleinksarierten unmittelbaren pseudnutzuenalübeal bei "entscheidungen" aller art geht, sind doesd beij einmaligen 2zusammenprall mit der maccht" (warum nachen die "das"), zerbriochrenen als lbetreoffene eidmelder doch noch zzugelasssen. - immernhin.

  • C
    Crotcher

    "Warum beteiligt sich jemand an der Gesellschaft, von der er ausgeschlossen wurde?"

     

    Diese dreiste Verdrehung der Tatsachen macht mich krank.

    • S
      Sabine
      @Crotcher:

      Ausgeschlossen wurde er nicht. Er ist inhaftiert und auch damit Teil der Gesellschaft. Dass er wählen geht, finde ich gut, und ob es "ihm etwas bringt", wer weiß? Irgendwann wird er entlassen. Abgesehen davon geht man auch wählen, weil man nicht nur für sich, sondern für die Gesellschaft eine Verbesserung erwirken möchte.

  • S
    Starost

    Kein Wort über das Opfer, das würde diesem nur unnötigerweise ein Gesicht geben...

    Wählen braucht ein Strafgefangener für seine erwachsenen und damit selbst wahlberechtigten Töchter nicht. Die haben außerdem - wie jeder freie Bürger - nur Anspruch auf EINE Wahlstimme.

    Das Wahlrecht für Knackis ist ein Irrweg, da es dem Missbrauch Tür und Tor öffnet: Was etwa, wenn eine linke Partei für den Fall eines Wahsiegs eine Generalamnestie verspricht, um Stimmen im kriminellen Sumpf zu fischen?

    • H
      Hirnschmalz
      @Starost:

      Direkt am Anfang wurde über das Opfer gesprochen. Es ist bei einem Artikel über Inhaftierte durchaus legitim, den Fokus nicht auf die Vergangenheit zu richten.

       

      Und der letzte Absatz ist ja wohl Satire, oder etwa nicht? "Knackis" sind Bürger im Knast, keine "Staatenlosen" oder Asylbewerber ohne Wahlrecht oder was auch immer. Und wenn eine linke Partei Generalamnestie verspricht, wie viele Stimmen kostet das diese Partei wohl - von Leuten, die nicht im Knast sitzen? Hirn einschalten.

    • M
      mindshift
      @Starost:

      Gefangene sind auch Teil der Gesellschaft, und daher ist es für mich vollkommen selbstverständlich, dass auch die sich Vertreter ins Parlament wählen dürfen.

       

      Sollte eine Partei eine Generalamnestie versprechen, um Stimmen bei Gefangenen zu bekommen, bin ich sicher, dass sie im Gegenzug in der restlichen Bevölkerung Stimmen verlieren würde.

       

      In dem Artikel ging es überhaupt nicht um die Straftat, sondern um die Ausübung des Wahlrechts durch Gefangene. Ich sehe daher nicht, warum hier über die Straftat genauer hätte berichtet werden müssen.

       

      Wie ein Wahlberechtigter seine Stimme einsetzt, ist außerdem seine Sache. Ob er dabei nur an sich selbst, oder an seine Familie, oder sonst wen denkt, hat dich nicht zu interessieren.

      • C
        Crotcher
        @mindshift:

        "Gefangene sind auch Teil der Gesellschaft, und daher ist es für mich vollkommen selbstverständlich, dass auch die sich Vertreter ins Parlament wählen dürfen."

         

        Für Sie vielleicht, für mich sicherlich nicht.

        Ich fände es besser, wenn Gewaltverbrechern für die Dauer ihrer Haftzeit das Bürgerrecht der aktiven Wahl verwehrt wird.

        • S
          Schachuhr
          @Crotcher:

          Aha ... und wer nicht wegen Gewaltverbrechen, sondern z.B. wegen Steuerhinterziehung, Betrug ooder Einbruchsdiebstahl im Knast sitzt, der soll wählen dürfen?

           

          Im Ernst, die Leute im Knast haben schon mehr als genug Einschränkungen vom Aufstehen bis zum Schlafengehen, da können die ruhig alle 4 Jahre ein Kreuzchen machen.

  • IT
    Ihre taz

    Die Welt redet vom islamischen Terror in Kenia. Wir über Knastkrise, Merkelnichtwählen, und Fußball. Immer so, daß es kuschelig-linksalternativ bleibt. So wie wir es mögen. Ihre taz.

  • E
    Exknacki

    Wählen!

    Auch als Knacki!

    Das ist GUT so!

     

    Ein Exknacki der in seiner Haftzeit auch von seinem Stimmrecht gebrauch gemacht hat

    • 1G
      1326 (Profil gelöscht)
      @Exknacki:

      Wie geht es den Angehörigen des Opfers?

      • L
        Legga
        @1326 (Profil gelöscht):

        gibt schon dumme tazleser.

        es geht hier um die wahl, und um die perspektive eines knackis dazu.

         

        sein verbrechen kann noch so schlimm sein, darum geht es hier nicht. seine strafe kriegt er ja und so wies aussieht wird er es wohl auch wieder schaffen ein normales mitglied der gesellschaft zu werden.

         

        eine geschichte die mit konservativ er knastpolitik eher nicht unwahrscheinlich ist. da werden aus verbrechen erst richtige bestien gezüchtet.

      • F
        Freiler
        @1326 (Profil gelöscht):

        Wie geht es Deinen Angehörigen?

         

        Wie geht es dem Themenbezug?

         

        Schleeeecht.