Wahlkampffinale im Saarland: Fast ohne Amtsbonus

Mit gewaltigem Rückstand geht Ministerpräsident Tobias Hans in die Landtagswahl. Sie ist der erste Test für die CDU unter Parteichef Friedrich Merz.

Thomas Hans führt ein weisses Pferd

Tobias Hans posiert nicht nur vor Tankstellen, er versucht es auch mit einer Pferdestärke Foto: Oliver Dietze/dpa

ST. WENDEL taz | „Mer han grad iwwer dich geschwätzt.“ Mit großem Hallo und herzlichen Umarmungen empfangen seine ParteifreundInnen Tobias Hans in der Fußgängerzone von St. Wendel. Ein Ministerpräsident zum Anfassen, trotz Corona. In der kleinen Kreisstadt an der Grenze zu Rheinland-Pfalz ist die Unions-Welt noch in Ordnung. Absolute Mehrheit für die CDU im Stadtparlament, ihr Bürgermeister erreichte zuletzt fast 70 Prozent.

Der 44-jährige Regierungschef ist im Land unterwegs, um sein Amt zu verteidigen. In St. Wendel ist das ein Heimspiel. Doch im Land spürt er den Gegenwind. In den Umfragen liegt die SPD mit Spitzenkandidatin Anke Rehlinger vorn. Hans muss am 27. März liefern. Das erwartet auch die Bundespartei.

Für den neuen CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz ist die Landtagswahl im Saarland die erste von vier wichtigen Wahlen in diesem Jahr. Im Mai steht schließlich die Entscheidung über die Zukunft des bevölkerungsreichste Bundeslands NRW an. Seit Armin Laschets missglücktem Ausflug in die Bundespolitik regiert dort der CDU-Newcomer Hendrik Wüst – noch. Die CDU hat in diesem Jahr viel zu verlieren. Für CDU-Chef Merz könnte die Wahl im Saarland der Anfang vom Ende in seinem neuen Amt werden.

Auf dem Schlossplatz von St. Wendel haben MitstreiterInnen Plakatwände, Tische und Sonnenschirme aufgestellt. Es ist ein schöner Tag, die Sonne scheint. Hinter einem dampfenden Waffeleisen werkelt Hermann Josef Scharf. Seit 2009 vertritt der 60-jährige CDU-Politiker die Region im Landtag, davor war er Bundestagsabgeordneter. Mit seinen ParteifreundInnen backt er an diesem Tag süße Teile mit den drei Buchstaben aus. Waffeln mit dem Parteiemblem: C-D-U zum Reinbeißen. Die süßen Düfte locken Passanten an. „Tobias“ muss natürlich probieren. „Ich ess’ jetzt garantiert nicht das C als Erstes!“, verspricht er.

Der MP und seine Oma

Die Stadt, über der die Wallfahrtskirche des heiligen Wendelin thront, ist schließlich katholisch geprägt. Für die meisten ist er hier „der Tobias“. Das sei eben so im Saarland, erklärt er den Journalisten aus Berlin, die ihn an diesem Tag begleiten. Hans trifft hier viele alte Bekannte. In einem Ortsteil von St. Wendel ist er aufgewachsen. „Frau Müller“ erzählt ihm, sie habe seine Oma gut gekannt. Hans schwärmt von seinen Besuchen bei den Großeltern in Niederlinxweiler. „Das war für mich als Kind die große, weite Welt, weil es einen Bahnanschluss gab“, erklärt Hans. Er war im nahen Oberlinxweiler zu Hause, ohne eigenen Bahnhof.

Die JournalistInnen in seiner Entourage erleben ihn bodenständig und leutselig, sogar ein bisschen selbstironisch. Frau Müller drückt ihm denn auch die Daumen für den 27. März, wie die meisten, die mit ihm hier ins Gespräch kommen. Eine Mittfünfzigerin bekennt sich als CDU-Stammwählerin. Diesmal sei sie unsicher, was sie wählen soll, sagt die Verkäuferin. Die Coronapolitik im Saarland habe sie nicht überzeugt, sagt sie offen zum MP: „Es ging zu viel hin und her, man wusste oft gar nicht mehr, was gerade gilt.“

Die Saarbrücker Zeitung hat dem Regierungschef eine „erratische“ Coronapolitik bescheinigt. Mal war er bei Öffnungen vorgeprescht, mal bei der Verschärfung von Maßnahmen. Zuletzt zog er an der Seite des neuen CDU-Chefs Merz gegen die allgemeine Impfpflicht für Pflegekräfte zu Feld, der er im Bundesrat noch zugestimmt hatte. Die Pflicht kommt nun doch, mit den Stimmen des Saarlands. In seiner Lesart haben die Ampelparteien in Berlin auf die Kritik aus der Union reagiert und in letzter Minute nachgebessert. Seine schlechten Umfragewerte erklärt er damit, dass er als Regierungschef die schlechten Botschaften habe überbringen müssen.

Hans von der Tankstelle

Ende Februar, bis zum Wahltermin sind es da noch drei Wochen, hat Hans eine Kampagne losgetreten, die ihn auf einen Schlag bundesweit bekannt gemacht hat. Vor der Esso-Tankstelle in Bexbach, an der er täglich mit seiner Dienst-Mercedes vorbeikommt, hat der Ministerpräsident mit seinem Handy ein Video aufgenommen, gegen die „Bereicherung“ des Staates, der von den „irren“ Spritpreisen profitiere.

Das Selfie lief auf allen TV-Kanälen, wurde in den sozialen Medien millionenfach geteilt. Es gab Zustimmung, aber auch Hohn und Spott. Mit zerzausten Haaren und starrem Blick fordert Hans da die Absenkung der Steuern auf Benzin und Energie. Nicht nur die Geringverdiener müssten entlastet werden, „auch die fleißigen Leute, die jeden Tag tanken müssen,“ sagt er da.

Die Einteilung in Geringverdiener und die Fleißigen, die tanken müssen? „Völlig daneben“, urteilt Hans’ Saarbrücker Koalitionspartner SPD. Doch das Thema trifft den Nerv der Leute. Das Saarland ist Pendlerland. In den Städten kommt man vielleicht mit dem ÖPNV zur Arbeit, auf dem Land ist man aufs Auto angewiesen. Wie bestellt trifft Hans auf dem Schlossplatz von St. Wendel ein junges Paar. Er ist Schichtleiter beim Pharmaunternehmen Fresenius Medical Care, sie arbeitet als Pflegerin.

Mit dem Handy-Video, das er vor einer Tankstelle aufgenommen hat, machte Hans bundesweit Schlagzeilen

Die hohen Spritpreise machen ihnen beiden zu schaffen. Er fährt täglich mit dem Auto zur Arbeitsstelle, 15 Kilometer hin und 15 zurück. Sie wohnen mit ihren beiden Kindern in einem Einfamilienhaus. Die Ölheizung muss raus. Sie wollten auf Holzpellets umstellen, doch die Berliner Ampelregierung will solche Heizungen aus der Förderung nehmen. „Das werden die hoffentlich noch einmal überdenken“, macht ihnen Hans Mut, schließlich sei das Heizen mit Holz CO2-neutral und nachhaltig.

Gewinnt er die Wahl, werde die CDU ein großzügiges Förderprogramm für Solardächer auflegen, verspricht er. Die beiden nehmen Kulis und Gummibärchen für die Kinder mit. Wem sie ihre Stimme geben werden, sagen sie nicht, nur dass der CDU-Mann ihnen aus der Seele gesprochen hat.

Fehlender Amtsbonus

Der erfahrene Landtagsabgeordnete Scharf hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass der Ministerpräsident die Stimmung noch drehen kann. Wie vor fünf Jahren. Da lag die CDU auch lange hinter der SPD. Im Endspurt holte Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer den Rückstand auf. Sie konnte mit ihren Amtsbonus wuchern. Einen solchen hat sich Kandidat Hans, der seit März 2018 regiert, nicht so recht erarbeiten können. Scharf kandidiert auf einem sicheren Listenplatz. Er wird in den Landtag einziehen. Doch ob seine Partei Regierungspartei bleibt? Es kommt auf die letzten Tage vor der Wahl an, da sind sich alle einig.

Doch dann werden die Gespräche am CDU-Infostand durch ein lautes Dröhnen am Himmel gestört. Ein Galaxy-Transportflugzeug dreht über dem Turm von St. Wendelin zum Landeanflug auf die nahe gelegene US-Airbase Rammstein ab. „Die ist voll beladen, wir hören das am Geräusch“, sagt Scharf. Der Krieg in der Ukraine dominiere alle Debatten, sagt er. Die Themen der Landespolitik dringen auch wenige Tage vor dem Wahltermin kaum durch, fürchtet auch der Ministerpräsident. Wem das nutzt, ihm oder seiner SPD-Herausforderin – niemand wagt eine Prognose.

Hans redet freundlich über die SPD-Wirtschaftsministerin Anke ­Rehlinger, die ihn doch aus der Staatskanzlei verdrängen will. In den TV-Runden und Podiumsdiskussionen wirbt der MP unermüdlich um die Fortsetzung der Großen Koalition mit ihr. „Wer die Fortsetzung der Großen Koalition will, muss CDU wählen, wenn die SPD am 27. März vorne liegt, kommt eine Ampel“, behauptet Hans und lästert über die unerfahrenen KandidatInnen von FDP und Grünen ab. Die Große Koalition als Hort der Sicherheit. Ob er denn auch als Juniorpartner in eine SPD-geführte Landesregierung eintreten würde, wird Hans ein ums andere Mal gefragt. Er habe darüber noch nicht nachgedacht, wiederholt Hans gebetsmühlenartig, obwohl ihm das niemand abnimmt.

Auf beharrliche taz-Nachfrage beim Espresso nach dem Mittagsimbiss gibt er indirekt dann doch eine Antwort: „Die Union hat sich noch nie verweigert, wenn es ums Land geht.“

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Am 27. März 2022 hat das Saarland einen neuen Landtag gewählt: Die SPD ist klare Siegerin. Daneben ziehen nur CDU und AfD in den neuen Landtag ein. Die Linkspartei, die Grünen und die FDP scheitern an der 5-Prozent-Hürde. Wer hat wie viele Prozentpunkte gewonnen? Wer verloren? Und wohin sind die Wäh­le­r:in­nen gewandert? Wie wurde in den Wahlkreisen gewählt?

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