Wahlkampf: M - eine Partei sucht einen Migranten

Renate Künast könnte als Regierende Bürgermeisterin auf fähiges grünes Personal zurückgreifen. Allerdings sind Frauen rar - und ein Senatsmitglied mit Migrationshintergrund ist überhaupt nicht in Sicht.

Künast sucht noch ihr Schattenkabinett. Wer darf mit auf den Senatstanker? Bild: dpa

Renate Künast, die am Freitag voraussichtlich ihren Anspruch aufs Rote Rathaus offiziell macht, wird nicht lange nach einem funktionierendes Schattenkabinett suchen müssen. Die 23-köpfige Fraktion im Abgeordnetenhaus, Stadträte und ein Bürgermeister bieten genug Basis, um Spitzenposten aus dem Landesverband zu besetzen. Was im Bewerberpool allerdings fehlt, ist ein künftiges Senatsmitglied mit Migrationshintergrund.

Die Landesregierung besteht derzeit aus neun Mitgliedern, inklusive Regierenden Bürgermeister. Bei einer Koalition mit einer knapp unterlegenen SPD könnten die Grünen neben Künast wohl vier Posten beanspruchen, bei einem Bündnis mit einer voraussichtlich deutlich schwächeren CDU wären es fünf. Die Auswahl bliebe Künast selbst überlassen: Seit einer Verfassungsänderung vom Mai 2006 hat der oder die Regierende Richtlinienkompetenz und beruft die Kabinettsmitglieder.

Die Ausgangslage für die Grünen ist besser als 2001, auch dank längerer Vorbereitungszeit. Damals kamen sie in der Bankenkrise überraschend für einige Monate an die Regierung und besetzten zwei ihrer drei Posten im rot-grünen Übergangssenat - Kultur und Wirtschaft - mit parteilosen Fachleuten. Nur Justizsenator Wolfgang Wieland, heute im Bundestag, kam damals aus der Grünen-Fraktion.

Diesmal fällt auf: Eine Kandidatin, ein Kandidat aus einer bedeutsamen Migratengruppe fehlt. Die engagierte Fraktionschefin Ramona Pop (33) hat zwar ihre Kindheit in Rumänien verbracht, aber damit ließe sich kaum ein Zeichen setzen. Zwar gehören der Fraktion zwei Türkeistämmige an, Canan Bayram (44) und Özcan Mutlu (42). Doch Bayram, seit 2006 Abgeordnete, wechselte erst im Mai 2009 von der SPD zu den Grünen und spielt im Parlament keine auffällige Rolle. Der langjährige Abgeordnete Mutlu ist zwar die Stimme der Grünen in der Bildungspolitik. Als Senator aber können ihn sich viele nicht vorstellen, und selbst Kreuzberger Parteifreunde weichen der Frage aus, ob er senatoriabel ist.

Ansonsten aber dürfte Künast bei der Auswahl wenig Probleme haben. Fraktionschef Volker Ratzmann (50) müsste als Rechtsanwalt und Innenpolitikexperte Innensenator werden. Ginge dieses Ressort an den Koalitionspartner, käme er auch als Wirtschaftssenator in Frage.

Für Stadtentwicklung dürfte der Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, Franz Schulz (62), erste Wahl sein. Er ist in seinem Bezirk seit 2001 verantwortlich für Stadtentwicklung und moderiert den schwierigen Prozess des Projekts Mediaspree. Von der Bezirksebene käme auch Sybill Klotz (49). Die derzeitige Stadträtin für Gesundheit und Soziales in Tempelhof-Schöneberg könnte die gleichen Ressorts plus Arbeit im Senat übernehmen. Für sie wäre es eine Rückkehr in die Landespolitik: Zehn Jahre war sie Fraktionschefin im Abgeordnetenhaus und kombiniert so in einzigartiger Weise im Landesverband Führungserfahrung im Parlament und in der Verwaltung. Das macht sie neben Ratzmann zur sichersten Senatskandidatin.

Kommt Klotz, hätte Fraktionschefin Pop das Nachsehen, die im Parlament genau die Klotz-Themen Integration, Arbeit und Soziales verantwortet. Als Kompensation wäre vorstellbar, sich von der Doppelspitze zu verabschieden und Pop zur alleinigen Chefin der ab 2011 möglicherweise größten Parlamentsfraktion zu machen. Das hätte den Vorteil, in der Umbruchsituation einer Regierungsübernahme zumindest eine Konstante zu haben.

Ginge auch das Justizressort an die Grünen, wäre erneut ein Kreuzberger erste Wahl. Dirk Behrendt (39) arbeitete bis zu seiner Wahl ins Parlament als Richter und ist rechtspolitischer Sprecher. Für den Bereich Umwelt kämen sowohl Klimaschutzexperte Michael Schäfer als auch die umweltpolitische Sprecherin Felicitas Kubala in Frage. Im Zweifelsfall dürfte die Wahl auf Kubala fallen, um nicht zu wenig Frauen im Senat zu haben.

In der Haushaltspolitik guckt Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) im Hauptausschuss vor allem dann von seinen Aktenauf, wenn die Grünen Jochen Esser und Oliver Schruoffeneger reden. Die sehe er auf Augenhöhe, ist aus der Finanzverwaltung zu hören. Sein Vorgänger Thilo Sarrazin (SPD) empfand das genauso. Keine Fraktion hat gleich zwei Abgeordnete, die über Parteigrenzen hinweg als wirkliche Haushaltsexperten wahrgenommen werden. Bei Esser aber stellt sich die Frage, ob er mit seinem hitzigen Temperament und seiner Redefreudigkeit auch eine mitunter träge Senatsverwaltung führen kann - und ob er es will. "Die Frage stellt sich doch gar nicht", weicht Esser aus, "die SPD hat in einer großen Koalition fast immer das Finanzressort für sich beansprucht."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.