Wahlen in Serbien: Zerrissen zwischen Nation und Europa
Das Bündnis von Präsident Tadic geht zwar überraschend als stärkste Kraft aus den Wahlen hervor. Doch insgesamt haben die nationalistischen Parteien eine knappe Mehrheit.
BELGRAD taz Als in der Nacht auf Montag die ersten Hochrechnungen bekannt wurden, brach im Wahlstab der Demokratischen Partei Serbiens (DSS) fast so etwas wie Euphorie aus. Doch auch eine große Erleichterung war den Funktionären anzumerken. Statt des erwarteten Kopf-an-Kopf-Rennens mit der ultranationalistischen Serbischen Radikalen Partei (SRS) zeichnete sich ein überwältigender Sieg der von Staats- und Parteipräsident Boris Tadic angeführten Koalition "Für ein europäisches Serbien" ab.
Rund 39 Prozent oder 102 von 250 Mandaten im Parlament gewann das um die DS versammelte Bündnis, das Serbien geradewegs in die EU führen möchte. Ganze 10 Prozentpunkte weniger, 77 Mandate, bekam dagegen die SRS.
Die USA und zahlreiche EU-Staaten beglückwünschten Tadic zu dem überraschenden Erfolg. Österreichs Außenministerin Ursula Plassnik sagte: "Serbinnen und Serben haben zu einer europäischen Zukunft ihres Landes unmissverständlich Ja gesagt. Die Anziehungskraft des neuen, freien Europa hat sich als stärkere Triebfeder erwiesen als rückwärtsgewandter Nationalismus."
Tadic warnte in einer ersten Ansprache seine politischen Gegner davor, zu versuchen, Serbien mit irgendwelchen Koalitionskombinationen in die Neunzigerjahre zurückzuversetzen. Das werde er mit allen demokratischen Mitteln verhindern, meinte der Wahlsieger und forderte die Bürger auf, auf die Straße zu gehen und den Sieg des europäischen Serbien zu feiern.
Bereits am Tag nach der Wahl versuchte Tadic, politischen Druck auf die drei Parteien des "patriotischen" Blocks auszuüben und von der Siegesstimmung zu profitieren. Denn die nackten Zahlen zeigen, dass die proeuropäischen Kräfte zwar überraschend stark abschnitten, es zur Regierungsbildung aber nicht reicht. Die SRS mit 77 Abgeordneten, die Demokratische Partei Serbiens des bisherigen Premiers Vojislav Kostunica mit 30 und die Sozialistischen Partei Serbiens (SPS) mit 20 Abgeordneten haben eine knappe parlamentarische Mehrheit und könnten gemeinsam eine ideologisch gleichgesinnte Regierung bilden. Alle drei Parteien lehnen es ab, General Ratko Mladic und andere wegen Kriegsverbrechen angeklagten Serben an das UN-Tribunal in Den Haag auszuliefern. Sie wollen dem unmittelbar vor den Wahlen mit der EU unterzeichneten Assoziierungsabkommen die Zustimmung verweigern. Die EU-Staaten sollten das Kosovo vielmehr eindeutig als Teil Serbiens anerkennen.
Dagegen lehnt auch Tadic ein unabhängiges Kosovo ab, sieht jedoch in der Europäischen Union die einzige Möglichkeit für die demokratische Entwicklung Serbiens. In dieser Frage, die auch die vorgezogenen Parlamentswahlen ausgelöst hat, ist Serbien weiterhin völlig gespalten.
Der scheidende Premier Kostunica erklärte, dass eine Koalition seiner DSS mit der Tadic-Partei nicht infrage komme. Das Gleiche sagte auch der Chef der Radikalen, Tomislav Nikolic.
Am Ball ist daher jetzt die SPS, der Partei, die von Slobodan Milosevic gegründet wurde und ein Jahrzehnt lang verantwortlich war für Kriege und ethnischer Säuberung im ehemaligen Jugoslawien. "Wir sind die eigentlichen Sieger dieser Wahlen, das ist unsere Rückkehr auf die politische Szene Serbiens" erklärte der SPS-Vorsitzende Ivica Dacic jubelnd. Er erklärte, dass er noch am Montag Koalitionsverhandlungen mit Kostunica aufnehmen wolle.
Politische Beobachter vertraten am Montag die Ansicht, dass man ohne die Milosevic-Nachfolger in Belgrad keine Regierung bilden könne. Das Parlament muss spätestens in dreißig Tagen konstituiert, die Regierung aber erst bis Mitte September gebildet werden. Bis dahin wird die SPS entscheiden, welchen Weg Serbien einschlagen wird.
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