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Wahlen in KanadaDas bestmögliche der schlechten Szenarien

Kommentar von Marina Klimchuk

Mit der Wahl des Liberalen Mark Carney wurde das schlimmste Übel abgewendet. Den großen sozial- und klimapolitischen Wandel wird es nicht geben.

Alter und neuer kanadischer Premierminister: Der Liberale Mark Carney Foto: Justin Tang/The Canadian Press/ap

D er Ausgang der kanadischen Parlamentswahl ist das bestmögliche Szenario in einer Situation, die keine guten Szenarien zulässt: ein Land ohne eigenen militärischen Schutz, verraten vom engsten Freund und Handelspartner, den USA. 29 Millionen wahlberechtigte Kanadierinnen und Kanadier mussten entscheiden, wem sie zutrauen, dieses Doomsday-Szenario zu verwalten: dem dauer­empörten MAGA-light Anti-Woke-Darling Pierre Poilievre oder dem etwas schläfrig-pragmatischen Technokraten und Trudeau-Nachfolger Mark Carney.

In einem politisch schlauen, wenngleich moralisch fragwürdigen Streich hatte Carney nach seinem Amtsantritt als Premierminister im März die CO2-Steuer für Privatpersonen abgeschafft. Damit signalisierte er den Kanadiern: Mit mir müsst ihr nicht in einer angespannten Wirtschaftslage auch noch aus eigener Tasche für die Rettung der Welt bezahlen – ich werde nicht die gleichen Fehler machen wie Justin Trudeau!

Mit diesem Schachzug ist Carney etwas Bemerkenswertes gelungen. Lange schien es unvermeidbar, dass Kanada dem europäischen und amerikanischen Rechtstrend folgen wird, der jahrelange Klimapolitik und sozialen Fortschritt wieder rückgängig gemacht hätte.

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Die großen Verlierer der Wahl sind die Sozialdemokraten (NDP), die im Vergleich zur Wahl 2021 um zehn Punkte einstürzten. Grund dafür war zum einen die Enttäuschung der Wähler über ihr häufiges Einknicken als Trudeaus Bündnispartner. Wichtiger war aber der Wunsch, eine konservative Regierung unter Poilievre zu verhindern. Dieser Plan ist aufgegangen. Gleichzeitig hat so die einzige treibende Kraft für soziale Gerechtigkeit und Klimapolitik massiv an Einfluss verloren.

Unter Carney wird es kaum eine soziale Revolution geben. In einer Zeit, in der sich nichts mehr sicher anfühlt, klammern sich die Menschen an die Hoffnung auf Stabilität und Bequemlichkeit. Vielleicht ist Mark Carney gerade das, was Kanada braucht.

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2 Kommentare

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  • Ein politisch schlauer Schachzug, soso🤔



    Ich bin gespannt ob ihr das in der taz auch als politisch schlauen Schachzug kommentieren würdet, wenn Merz die AfD schwächt indem er beispielsweise die CO2-Umlage auf uns Bürger ersatzlos abschafft oder Öl- und Gasheizungen wieder ohne Ablaufdatum als Heizmöglichkeit etabliert...😁



    Wohl kaum, oder?



    Carney ist für mich nicht "Das bestmögliche der schlechten Szenarien" sondern tatsächlich das schlechteste🤷‍♂️



    Entweder es wäre ein Politiker mit echtem Reformwillen a la Trudeau an die Macht gekommen oder eben Pierre Poilievre. Letzterer hätte den Rohstoffsektor Kanadas endlich entfesselt um die enormen Ressorts an Metallen und Erzen gewinnen zu können.



    Das hätte zum einen Kanadas ebenfalls kränkelnde Wirtschaft massiv in Schwung gebracht, enorme Staatseinnahmen generiert und zugleich die exorbitanten Weltmarktpreise für derlei Ressourcen gedrückt, was nicht zuletzt auch die weltweite Mobilitäts- und Energiewende verbilligt und damit mehr Menschen schmackhaft gemacht hätte.



    Ganz nebenbei hätte Kanada auch eine europäische Ersatzbezugsquelle werden können, wenn sich beispielsweise der China-Taiwan-Konflikt zuspitzt oder Trumps Zollpolitik...

    • @Farang:

      ""..... Reformwille & Entfesselung""



      ===



      Kanada setzt seine staatlich subventionierte, "grüne" Industriestrategie fort welche die liberale Minderheitsregierung verabschiedet hatte. Die ersten 4 von 6 geplanten, rückzahlbaren Steuergutschriften für Investitionen in eine saubere Wirtschaft sind verabschiedet.

      Neben Investitionen in Recycling kritischer Mineralien und Storage-Anwendungen und -Projekte im Umgang mit CO2 können Investoren in saubere Wasserstoffvorhaben bis zu 40 Prozent ihrer Kosten steuerlich geltend machen.

      Immer mehr Unternehmen wollen in Kanadas Atlantikprovinzen Windenergie generieren um damit grünen Wasserstoff zu erzeugen, der später in Form von Ammoniak nach Deutschland transportiert wird.

      Nova Scotia ist dabei Auktionen für Pachtverträge von Offshore-Windprojekten mit einer Kapazität von 5 Gigawatt anbieten. Deutschland hat im Oktober 2024 mit der Genehmigung des Wasserstoffkernnetzes die Voraussetzung geschaffen, dass die Netzbetreiber schrittweise die Infrastruktur aufbauen.

      Carney ist das beste was Kanada passieren konnte -- politisch kampferprobt als Feuerwehrmann mit dem nötigen wirtschaftlichen Durchblick & politischer Durchsetzungskraft.