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Wahlen in GuatemalaWechselstimmung an den Urnen

Die Präsidentschaftswahl in Guatemala geht in die Stichwahl. Arévalo von der linken Bewegung Semilla wurde überraschend Zweiter.

Bernardo Arévalo von der linken Bewegung Semilla mit Parteimitgliedern in Guatemala-Stadt Foto: Cristina Chiquin/reuters

BERLIN taz | Sandra Torres gab sich optimistisch. „Wir sind darauf vorbereitet, dass wir gewinnen und ich die erste Präsidentin Guatemalas sein werde“, sagte die Kandidatin in der Wahlnacht am Sonntag selbstbewusst. Ob die Politikerin der zentristischen Partei UNE Recht behalten wird, muss sich erst noch zeigen. Beim ersten Wahlgang um das höchste Staatsamt konnte sie jedenfalls mit etwa 15,7 Prozent den ersten Platz belegen. Nun muss sie bei einer Stichwahl am 20. August antreten.

Protest an der Urne: 17 Prozent stimmten ungültig, 7 Prozent gaben leere Wahlzettel ab

Ihr Gegner: Bernardo Arévalo von der linken Bewegung Semilla. Der 64-Jährige konnte knapp 12 Prozent der Wählerstimmen für sich verbuchen und landete damit auf Platz zwei. „Wir sind nicht angetreten, um in den Umfragen zu gewinnen, sondern bei den Wahlen“, reagierte Arévalo auf das unerwartet starke Ergebnis.

Seine Bewegung Semilla – Samen – ist aus dem Widerstand entstanden, der sich 2015 gegen die kriminellen Machenschaften hochrangiger Politiker, Militärs und Unternehmer, dem sogenannten Pakt der Korrupten, entwickelt hatte. Damals hatte die UN-Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala (Cicig) zahlreiche Fälle von Korruption in höchsten politischen Kreisen aufgedeckt.

Mei­nungs­for­sche­r*in­nen hatten nicht ihm, sondern zwei Rechten große Chancen versprochen, neben Torres an der Stichwahl teilzunehmen: Edmond Mulet von der Partei Cabal und Zury Ríos, die Tochter des verstorbenen Diktators Efraín Ríos Montt. Die rechtsextreme Ríos hatte sich für die Todesstrafe, die Kriminalisierung der Abtreibung und eine schärfere Sicherheitspolitik stark gemacht. Mulet versprach ein neues Hochsicherheitsgefängnis.

Kandidatin Torres will El Salvador nachahmen

Doch auch mit Torres, die bereits zum vierten Mal um die Präsidentschaft kandidiert, wären einschneidende Maßnahmen zu erwarten. Die 67-Jährige hat bereits angekündigt, dass sie sich an den Strategien des salvadorianischen Präsidenten Nayib Bukele orientieren werde, „um mit der Geißel der Morde und Erpressungen Schluss zu machen“.

Der Staatschef des Nachbarlandes geht mit Hilfe eines erklärten Ausnahmezustands massiv gegen vermeintliche und tatsächliche Bandenmitglieder vor. Fast 70.000 Menschen wurden verhaftet, Grundrechte außer Kraft gesetzt. Men­schen­rechts­ver­tei­di­ge­r*in­nen kritisieren die Maßnahmen, doch eine überwiegende Mehrheit der Bevölkerung unterstützt Bukele. „Ich werde die Erpresser zu Terroristen erklären“, versprach denn auch Torres.

Zu den eigentlichen Siegern des Wahlsonntags zählen jedoch jene, die dem Urnengang eine Absage erteilt haben: Über 17 Prozent der Wäh­le­r*in­nen stimmten ungültig, weitere 7 Prozent haben leere Wahlzettel abgegeben. Drei oppositionelle Kan­di­da­t*in­nen durften nach entsprechenden Gerichtsurteilen mit fadenscheinigen Begründungen nicht antreten und haben dazu aufgerufen, ungültig zu stimmen. Zu ihnen zählt auch die Indigene Thelma Cabrera, die für die linke Bewegung MLP ins Rennen gehen wollte. Mit ihrem Ausschluss verloren die Indigenen, 45 Prozent der Bevölkerung, ihre aussichtsreichste Anwärterin.

Zivilgesellschaftliche Organisationen hatten sich vorab kritisch geäußert. „Während einige Kandidaten teilnehmen dürfen, obwohl gegen sie wegen Korruption und Drogenhandel ermittelt wird, werden andere, die den Status quo infrage stellen, blockiert“, erklärte Human Rights Watch.

Der rechtskonservative amtierende Präsident Alejandro Giammattei erfährt regelmäßig Kritik, weil er repressiv gegen Jour­na­lis­t*in­nen und Ju­ris­t*in­nen vorgeht. Mitte Juni wurde der Herausgeber der mittlerweile eingestellten Zeitung El Periódico wegen Geldwäsche zu sechs Jahren Haft verurteilt. Das Blatt hatte aktuelle Korruptionsfälle aufgedeckt.

Staats­an­wäl­t*in­nen und Richter*innen, die mit der Cicig kooperiert hatten, mussten ins Exil flüchten. Das Gremium selbst wurde 2019 vom damaligen Präsidenten Jimmy Morales des Landes verwiesen. Seither hat der „Pakt der Korrupten“ wieder mehr Macht. „Von einer Demokratie kann hier nicht die Rede sein“, erklärt der Jurist Jordán Rodas. Der ehemalige Ombudsmann für Menschenrechte wollte für die Vizepräsidentschaft kandidieren. Auch er wurde nicht zugelassen.

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