Wahlen in Bolivien: Sieg der Basis
Der Wahlsieg der Sozialistischen Partei kam auch durch eine soziale Bewegung zustande. Sie wird der neuen Regierung nicht alles durchgehen lassen.
B olivien hat gewählt. Sollte Luis Arce neuer Präsident von Bolivien werden, wie erste Zahlen nahelegen, ist das zunächst einmal eine gute Nachricht. Es wäre die Abwahl einer ultrarechten Regierung, deren Ausrichtung in nur einem Jahr unter Jeanine Áñez allzu deutlich wurde. Áñez äußerte sich wiederholt rassistisch gegen die mehrheitlich indigene Bevölkerung, ließ das Militär oder Paramilitärs auf Demonstrant*innen schießen und hat mit ihrer Regierung laut Interamerikanischer Menschenrechtskommission zwei Massaker an Oppositionellen zu verantworten. Sie ist christlich-konservativ und vertritt eine aggressiv neoliberale Politik.
Nachdem Áñez ihre Kandidatur wegen Unbeliebtheit zurückzog, war von dem parteilosen Kandidaten Carlos Mesa zumindest wirtschaftlich kein Kurswechsel zu erwarten. Der Sieg des Sozialisten Luis Arce ist somit in erster Linie als eine Absage an die rechtsliberale Politik zu verstehen. Mit dem zukünftigen Vizepräsidenten David Choquehuanca würde auch wieder ein indigener Politiker ein zentrales Amt bekommen.
Die Siegerpartei „Bewegung zum Sozialismus“, MAS, wird von großen Teilen der Bevölkerung allerdings ebenfalls scharf kritisiert, auch von links. Zwischen 2006 und 2019 versuchte die MAS unter dem damaligen Präsidenten Evo Morales den schwierigen Spagat zwischen Wirtschaftswachstum und sozialer Gerechtigkeit sowie dem Respekt vor Indigenen Territorien – ein Spagat, der mit einer Bauchlandung endete.
Luis Arce, früher Wirtschaftsminister unter Morales, steht für eine Politik des Extraktivismus – also die rücksichtslose Ausbeutung natürlicher Ressourcen –, durch die Indigene Territorien zerstört werden. Trotz bedeutender Errungenschaften in der Sozialpolitik enttäuschte die Partei, indem sie sich zunehmend der Wirtschaftselite annäherte. Auch regierte Evo Morales mit der MAS zuletzt autoritär.
Trotzdem ist der Wahlsieg von Luis Arce und der MAS ein Sieg der Bevölkerung. Denn die hat in den vergangenen Monaten eine kraftvolle und handlungsfähige Landbewegung von unten aufgebaut: Während die amtierende Regierung den Wahltermin immer weiter verschieben und sich vermutlich um die Wahl drücken wollte, errichteten soziale Bewegungen und Gewerkschaften landesweit Straßenblockaden und legten das Land lahm.
Im besten Fall wird diese starke Bewegung auch der MAS nicht alles durchgehen lassen. Es besteht die Hoffnung, dass sie sich auflehnt, wenn die Partei zu weit in Richtung Extraktivismus abbiegt oder Bevölkerungsgruppen übergeht. Dass die Partei daran erinnert werden wird, für wen sie sich einst stark machen wollte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs