Wahl 98: Einzelkämpfer: „Luther hat auch alleine gewirkt“
■ Zehn Einzelbewerber wollen als unabhängige Direktkandidaten in den Bundestag: In Marzahn/Hellersdorf setzt Anwalt Armin Geyer aus Charlottenburg auf Goethe und Laotse
Am Briefkasten von Armin Geyer kleben fünf Schilder: Neben dem Namensschild und einem Hinweis auf sein Anwalts- und Wirtschaftsprüferbüro steht der „Verein für Großlandwirtschaft“, darunter die „Experten Partei“ und die „Europa Partei Deutschland“. Daß seine im Januar gegründete „Experten Partei“, die er später in „Europa Partei Deutschland“ umbenannte, nicht zugelassen wurde, irritiert Geyer nicht. „Luther hat auch alleine gewirkt“, sagt er selbstbewußt.
Seine Partei hat derzeit nur 20 Mitglieder und etwa 200 Sympathisanten. „Wir sind eine kleine Gruppe und machen uns nicht tot“, räumt er freimütig ein.
Der Endfünfziger aus Charlottenburg will ausgerechnet in einer der PDS-Hochburgen, dem Wahlkreis 260, Hellersdorf/Marzahn, wo Gregor Gysi antritt, auf Stimmenfang gehen und dort einen Kreisverband gründen. Warum ausgerechnet dort? „Weil es dort die größte Dichte an Intelligenz in Deutschland neben Baden-Baden gibt“, so seine
Begründung. Seinen Schwerpunkt sieht Geyer in Ostberlin und den neuen Bundesländern. Er, der noch im Osten zur Grundschule gegangen und dann mit seinen Eltern in den Westen geflohen ist, will, daß die Ostdeutschen „stolz“ und nicht „verschämt“ sind. In dem von ihm gegründeten Verein berät er LPGs im Sinne von „Großlandwirtschaften“.
Geyer bietet den Wählern nichts Geringeres als „eine vollständig neue Politik“. Die SPD und die CDU – bei beiden war er lange Mitglied, bei der SPD in Hamburg Ghostwriter – hätten keine Chance. Ihre Strukturen seien zu verfilzt, gute Ideen kämen nicht durch.
Wieder holt Geyer Anleihen bei einem großen Mann. „Es ist nicht genug, zu wollen, man muß auch tun“, zitiert er Goethe. Geyer will seine Erfahrungen als Wirtschaftsmann „der Jugend zur Verfügung stellen“ und die Ideenlücke füllen. „Arbeit für jeden“, „Entwicklungschancen und Wohlfahrt für alle“ und „geistiger Wandel und Zuversicht“ sind einige Schlagworte seiner „neuen Politik für ganz Deutschland!“. Schulen und Krankenhäuser sollen privatisiert werden, der Staat soll sie nach Leistung bezahlen. Das so gesparte Geld soll der Wirtschaft und privaten Haushalten zugute kommen. Statt an blühende Landschaften glaubt Geyer an „ein Leben wie im Paradies“. Zur Veranschaulichung beruft er sich auf den Zen-Buddhismus. „Jedes Wesen ist Ausdruck der göttlichen Schöpfung“, beschreibt Geyer seine „Grundeinstellung“ und zitiert auf englisch mit geschlossenen Augen aus dem Tao von Laotse.
Wer Geyer seine Stimme gibt, dem verspricht er: „Nur durch Sie geht der Ruck auch durch Deutschland.“ Ja, den Bundespräsidenten, den findet er gut. „Herr Herzog liegt absolut auf meiner Linie.“ Michel Friedman vom Zentralrat der Juden sei „vernünftig“. Nach seinem politischen Vorbild gefragt, antwortet Geyer sofort, aber mit leiser Stimme: „Stresemann.“ Doch er betont, daß der Reichskanzler „in seiner Zeit“ gesehen werden müsse. Ob seine Idee, in Marzahn zusammen mit einem ehemaligen Sänger der Nationalen Volksarmee einen Chor zu gründen, „der Lieder singt, die früher gesungen wurden“, zeitgemäß ist und dem von ihm beschworenen „individuellen Kolorit“ der Ostdeutschen entspricht, bleibt abzuwarten. Barbara Bollwahn
wird fortgesetzt
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