Wagenplätze in Berlin: Wagen bleibt prekär
Die rot-rot-grüne Koalition in Berlin wollte Rechtssicherheit für Wagenplätze schaffen. Fünf Jahre später fällt die Bilanz aber verhalten aus.
Die Rummelsburger Bucht an der südlichen Grenze des Stadtteils Friedrichshain und des Bezirks Lichtenberg ist eine einzige Baustelle. Zäune stehen dort, wo man vor einem Jahr noch sinnierend aufs Wasser blicken oder – etwas dynamischer – ein Tretboot ausleihen konnte.
„My Bay“ wirbt hier mit großen Schildern für Eigentumswohnungen am Wasser, „BauWatch“ verspricht Sicherheit für den Baustellenbetreiber. Dahinter an der Lichtenberger Hauptstraße stehen noch zwei graubraune Altbauten wie übrig gebliebene Backenzähne trotzig in der Trümmerlandschaft. Zwischen alldem, umringt von zum Teil bereits abgerissenen Garagen und Werkstätten, Bauzäunen, Baggern und einigen wenigen übrig gebliebenen Pappeln, befindet sich die „Wagenkunst Rummelsburg“.
Der kleine Wagenplatz ist einer von noch etwa 20 Plätzen, die zu den letzten urbanen Freiräumen in Berlin gehören. Ihre Bewohner*innen spiegeln das gesamte alternative Spektrum von radikal bis verpeilt wider: Viele sind Handwerker*innen und Künstler*innen, es finden sich unter ihnen aber ebenso Anwält*innen wie auch Menschen, die sich in den Normen der Gesellschaft nur schwer zurechtfinden. Einige Wagenplätze bieten Kleinkunst, Konzerte und günstiges Essen für alle an, andere schotten sich eher ab. Auf vielen Plätzen leben auch Eltern mit Kindern.
Die meisten Wagenplätze sind als Verein organisiert und zahlen Miete, Wasser und Strom. Trotzdem bewegen sie sich in einer rechtlichen Grauzone und hangeln sich oft nur von einer Duldung seitens des jeweils zuständigen Bezirksamts zur nächsten.
Alternatives Zukunftsmodell
Dabei könnten sie ein alternatives Zukunftsmodell sein in einer Stadt, in der Wohnraum immer knapper wird. Die „Wagenkunst“ teilt sich das Gelände mit einem weiteren kleinen Wagenplatz, den „Mollies“, zusammen leben hier 15 bis 20 Menschen. Sie haben das Gelände von der Kulturstätte Rummelsbucht gemietet, die ihre Pforten soeben zu ihrer vermutlich allerletzten Sommersaison geöffnet hat.
Ein bisschen wirkt der Wagenplatz zwischen den Baustellen wie das berühmte gallische Dorf. Hinten dem Zaun mit Eingangstor stehen einige umgebaute Lkws und Bauwägen, links das aus Holz gebaute Wohnzimmer. Durch die Fenster kann man eine Sitzecke und eine Gitarre sehen, es sieht sehr gemütlich aus. Davor sitzen Maki und Sina, es ist bewölkt, die Stimmung ist gedrückt: In diesem Herbst soll für die beiden Wagenplätze Schluss sein. „Es war hier eigentlich ein ziemlich idyllischer Ort“, sagt Maki, der über sieben Jahre auf dem Platz verbracht hat, „aber das ist vorbei.“
„Ich habe mich nie ganz dazugehörig gefühlt in der Gesellschaft, nie gut genug“, ergänzt Sina, die seit fünf Jahren hier in ihrem selbst gezimmerten Haus wohnt, „und hier hat sich das enorm verbessert. Der Wagenplatz ist ein Ort, an dem Menschen, die nicht hundert Prozent den gewollten Normen entsprechen, so sein können, wie sie wollen.“ Aber es sei „schon krass mit anzusehen, wie viel jetzt abgerissen worden ist. Auch dass das Camp nebenan weg ist, ist krass.“ Damit meint sie das große Obdachlosencamp, das im Februar in einer umstrittenen Aktion bei Eiseskälte geräumt worden ist. „Es fühlt sich zunehmend nach dem Ende an.“
Dabei war von vornherein klar gewesen, dass ihr Aufenthalt an der Rummelsburger Bucht befristet ist. Das Gelände gehört dem berüchtigten Immobilienhändler Padovicz und ist Teil des Bebauungsplans Ostkreuz. Seit Langem sucht die Bewohner*innen der „Wagenkunst Rummelsburg“ eine Ausweichfläche, vor etwa zwei Jahren hätten sie bereits ausziehen sollen, der Termin ist dann aber immer wieder verschoben worden. „Emotionale Achterbahnen“ nennt Sina das: „Keine Planungssicherheit zu haben, das hat schon alle hier ganz schön belastet“, sagt sie. „Immer wieder Sorge zu haben, dass man jetzt wieder ohne Zuhause dastehen könnte und noch nichts gefunden hat.“
Planungssicherheit würden sich auch die Bewohner*innen vom Ratiborplatz wünschen, die seit über 20 Jahren auf einem 1.200 qm kleinen Gelände am Kreuzberger „Dreiländereck“ leben, eingezwängt zwischen Ratiborstraße, Gewerbehöfen und Landwehrkanal.
Bewohner des Wagenplatzes Ratibor in Berlin-Kreuzberg
Es ist sehr grün und sehr ruhig hier, nur ein Spatz schimpft im Gebüsch. An den Tischtennisplatten 30 Meter weiter kämpfen Sportsfreund*innen unermüdlich um ihre persönliche Meisterschaft. Auf einer selbst gebauten Aussichtsplattform sitzt Marc und späht hinter dicken Brillengläsern ins grüne Dickicht. „Wir sind eine gelebte Alternative zum Hamsterrad“, sagt der Mitbegründer der Ratibor, der eigentlich anders heißt. „Natürlich gehen auch wir arbeiten, zahlen Steuern und sind Teil der gesellschaftlichen Verwertungslogik. Aber wir zeigen auch einen Weg raus aus dem Kampf um völlig überhöhte Mietpreise, aus der Spekulation mit Wohnraum.“
Nachdem sie 1999 eine Freifläche in Friedrichshain besetzt hatten, haben die Bewohner*innen ein Jahr darauf dieses Gelände gepachtet. Man würde den Wagenplatz von außen kaum wahrnehmen, wäre da nicht eine große Infotafel. Denn seit mittlerweile fünf Jahren wird über den Fortbestand der Ratibor verhandelt und noch immer gibt es keine Lösung. Die Lage ist kompliziert: Das Gelände, auf dem sich der Wagenplatz, ein Biergarten und einige Handwerksbetriebe befinden, ist Eigentum der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima).
Vor fünf Jahren wurde das Areal für den Bau von modularen Geflüchtetenunterkünften, sogenannten MUF, ausgewiesen. Seitdem verhandeln die Initiativen gemeinsam als Genossenschaft mit Senat und Bezirk über die Modalitäten, die es ihnen erlauben, zu bleiben, ohne Wohnungen für Geflüchtete zu verhindern.
Zunächst seien die Verhandlungen mit Bezirk und Berliner Immobilienmanagement (BIM) gut gelaufen, es gab einen Lösungsvorschlag, so Marc: „Auf dem Wagenplatzgelände würde diese Unterkunft für Geflüchtete gebaut werden, wir würden dafür ein paar hundert Meter weiter auf den Rest des Geländes ziehen, die Handwerksbetriebe etwas zusammenrücken und für uns wäre dann ein ähnlich großes Gelände da, wie wir es hier haben.“
Ein Mietvertrag war im Gespräch – aber dann war Funkstille, anderthalb Jahre lang. Im Juni 2020 erfahren die Bewohner*innen, dass der Senat für Finanzen nach kurzer Nutzung als Unterkunft für Geflüchtete auf dem Gelände anteilig hochpreisiges Wohnen durchsetzen wolle, weil sich nur so der Neubau des MUF rechnen würde. „Natürlich muss Deutschland Menschen aufnehmen“, findet Marc. „Auf dieser Basis haben wir uns als linkes Projekt bereit erklärt, zusammenzurutschen und Platz zu schaffen; und jetzt kommen sie um die Ecke mit ihrem hochpreisigen Wohnen. Da kommen wir uns schon verarscht vor.“ Es gibt zudem Kritik an einer befürchteten Gentrifizierung, fehlenden Sozialwohnungen und einem undemokratischen Bauverfahren.
Lange Tradition in Berlin
Wagenplätze und Hüttendörfer haben in Berlin eine lange Tradition – Misstrauen und Vorurteile ihnen gegenüber ebenso. „Vor allem der Innenminister und das Polizeipräsidium (…) drängten auf ein hartes Vorgehen gegen die Siedlungen. (…) Obwohl von der bürgerlichen Presse durchaus teils mit Wohlwollen, teils mit Mitleid betrachtet, setzte sich am Ende eine rigide Verdrängungspolitik durch.“ Gemeint ist hier nicht die umstrittene Räumung des Obdachlosencamps an der Rummelsburger Bucht im Februar 2021, sondern die bereits fast 150 Jahre früher, nämlich 1872 erfolgte Räumung der „Republik Barackien“ am Kottbusser Tor, so notiert von der Filmemacherin Susanne Dzeik in ihrem Begleittext zu einer Ausstellung über Hüttendörfer und Wagenplätze in Berlin.
Die ersten modernen Berliner Wagenplätze entstanden Anfang der 1980er Jahre im Schatten der Mauer oder alternativer Hausprojekte. Bis heute existieren die „Wagenburg Kreuzdorf“ und der Kinderbauernhof Mauerplatz. Nach dem Fall der Mauer waren zunächst zahlreiche Freiflächen zum Besetzen vorhanden, doch Wagenplätze wie an der East Side Gallery, dem Potsdamer Platz oder der Schillingbrücke fielen der Stadtumstrukturierung zum Opfer und verschwanden oder wurden an den Stadtrand gedrängt.
Inzwischen werden die Freiflächen in der Stadt immer weniger und sind umso härter umkämpft. Freiraum wollen die einen, Gewinne mit Wohnraum machen die anderen – doch am Ende scheinen sich immer die Investor*innen durchzusetzen. „Durch die Flächenkonkurrenzen in Berlin sind auch Wagenplätze stärker bedroht als bisher“, sagt Hendrikje Klein. Sie ist Abgeordnete der Linkspartei im Abgeordnetenhaus und setzt sich aktiv für die verbleibenden Wagenplatzbewohner*innen an der Rummelsburger Bucht ein.
Maki und die Wagenkunst hätten ihren Platz dort für einen partizipativen Prozess mit Wohnraum für alle gerne geräumt, sagt er, doch so „fühlt man sich vertrieben von Marktinteressen und Verwertungszwängen“. Es gebe wenig Möglichkeiten, einen anderen Ort zu finden, ergänzt Sina. „Scheinbar sind Wagenplätze gar nicht mehr gewollt im Stadtbild, obwohl sie ja schon so so viele Jahre dazu gehören. Man wird quasi in so ein bürgerliches Wohnungsleben gezwungen, was aber einfach nicht für jeden Menschen gemacht ist.“
„… und die Stadt gehört euch“
Manche hatten sich von einer linken Berliner Landesregierung eine Verbesserung der Wohnsituation erhofft. So hatte die Linkspartei im Wahlkampf 2016 „… und die Stadt gehört euch“ suggeriert. Und tatsächlich schrieb der rot-rot-grüne Senat einen denkwürdigen Satz in den Koalitionsvertrag: „Die Koalition sucht nach Lösungen, um für Menschen auf sogenannten Wagenplätzen Sicherheit für ihre Lebensform zu schaffen und den derzeitigen Zustand der Duldung zu beseitigen.“
Viele in der Wagenplatz-Community waren damals skeptisch. „Ich persönlich habe an diesen neuen Senat gar keine Erwartungen gehabt“, sagt Marc von der Ratibor in Kreuzberg, auch wenn er weiß, dass er von einem schwarz-gelben Senat weniger Verständnis für alternative Lebensentwürfe zu erwarten hätte. „Für uns war immer eher der Bezirk der Ansprechpartner, und der ist ja seit Jahrzehnten grün hier. Insofern hat sich an unserem Umgang mit der Politik, die uns eher wohlwollend-freundlich entgegen kommt, ohne sich jetzt die Beine für uns auszureißen, nicht viel geändert.“
2018 waren dem Senat 17 Wagenplätze namentlich bekannt, auch heute dürfte ihre Zahl unverändert bei 15 bis 20 liegen. Einige Wagenplätze sind keine eingetragenen Vereine, sie bleiben lieber unter dem Radar, weil sie Restriktionen befürchten. Aber Wagenbewohner*innen sind kreativ und flexibel, sie suchen und finden Gesetzeslücken. So entstehen immer wieder neue Plätze, ohne dass sie offiziell Wagenplätze sind. Mit einem legalen Status könnten sie hingegen besser Miet- oder Nutzungsverträge abschließen. Doch gibt es diesen Status für Wagenplätze in Berlin auch am Ende der Legislaturperiode noch immer nicht.
Und einem angedachten Wagenplatzgesetz stehen viele Wagenplätze eher ablehnend gegenüber. Zu groß scheint die Gefahr einer staatlichen Regulierung des selbst organisierten Lebens: Baugesetz, Brandschutzverordnung, Wasserversorgung müssten nach Normen deutscher Bürokratie geregelt werden – „und dann fällt halt ein Großteil der Attraktivität des Im-Wagen-Wohnens weg“, findet Marc.
Maki hingegen hatte gehofft, dass sich die Situation der Wagenplätze über „Verbündete in der Politik“ entspannen würde: „Wir haben versucht, über die institutionellen Wege alles zu machen, über Anhörungen in Bezirksverordnetenversammlungen, über Runde Tische mit der Politik, über Unterschriftenaktionen, Demonstrationen und dergleichen. Und auch im Austausch mit anderen Gruppen, die eher informellere Wege versuchen, haben wir immer gesagt, lasst uns doch mal probieren, mit der Politik zusammenzuarbeiten und auf formalem Weg was zu erreichen. Doch mit dieser Strategie sind wir bislang leider gescheitert.“
„Sondergebiet alternatives Wohnen“
Bereits 2018 hatte der Senat auf eine Anfrage der taz erklärt, keine Maßnahmen zum Schutz der Wagenplätze treffen zu wollen und bei den Entscheidungen über eine Duldung auf die jeweiligen Bezirke verwiesen. Anfang 2018 konnte der Verein „KosmoLaut“ noch unter Vermittlung von Hendrikje Klein auf ein Ersatzgrundstück innerhalb von Karlshorst umziehen. Die kleine queere Wagengruppe „DieselA“ hingegen versuchte mehrfach erfolglos, sich brachliegende Gelände anzueignen. 2019 wurde DieselA von einem Gelände der Deutschen Bahn in Marzahn geräumt. „Wir sind jederzeit für Nutzungsüberlegungen für unsere Grundstücke offen und freuen uns über Vorschläge, sicherlich aber nicht im Rahmen einer rechtswidrigen Besetzung“, ließ der Berliner Konzernbevollmächtigte der Bahn, Alexander Kaczmarek (CDU), damals verlauten. Doch zu Verhandlungen kam es nie.
Im April 2020 wurde an der Rummelsburger Bucht der kleine „Sabot Garden“ geräumt. Die Wagenkunst Rummelsburg, DieselA und die Mollies hatten 2020 ein Flurstück am Tempelhofer Feld im Besitz des Bundeseisenbahnvermögens (BEV) ausfindig gemacht und vergeblich versucht, darüber zu verhandeln. Eine schriftliche Anfrage der taz an BEV blieb unbeantwortet. Die DB AG hingegen zeige sich „immer gesprächsbereit“, erklärt ein Bahnsprecher auf Nachfrage; doch sei es „selbstverständlich, dass jegliches Handeln aller Seiten immer rechtskonform sein muss“.
Aber eine „rechtskonforme“ Grundlage für Wagenplätze gibt es eben noch nicht. Was ist also übrig geblieben vom Versprechen der Koalition, den Wagenplatzbewohner*innen „Sicherheit für ihre Lebensform zu schaffen und den derzeitigen Zustand der Duldung zu beseitigen“? Mit dem nahenden Ende dieser rot-rot-grünen Koalition ist die Bilanz gemischt. Mehrere linke Projekte sind geräumt worden, einige im Windschatten der Pandemie; das hat für Verunsicherung und auch Unmut unter Wagenplatzbewohner*innen gesorgt.
„So ein bisschen enttäuscht ist man schon“, sagt Maki, „auch wenn man in dem Bewusstsein ist, dass die Situation unter einem CDU-regierten Senat wohl noch sehr viel schlimmer wäre.“ Dennoch „gibt es derzeit einige Wagenplätze und linke Strukturen, die bedroht sind oder sich in Auflösung befinden. Das hinterlässt schon einen schalen Beigeschmack, insbesondere hier in Lichtenberg, wo ja sogar die Linke den Bezirksbürgermeister stellt.“
Obwohl die Gruppe von einzelnen Politiker*innen auch aktiv unterstützt wird, ist Maki ernüchtert: „Von Seiten der Politik und der Verwaltung wurde bezüglich des Bebauungsplans Ostkreuz immer argumentiert, dass das halt alles schon vor Jahren beschlossen wurde und man da nichts machen kann. Und dann kommt so ein Großinvestor wie Coral World, und plötzlich wird der ganze Bebauungsplan nochmal umgeschrieben. Und darum ist die Konsequenz, dass selbst unter Rot-Rot-Grün jetzt halt zunehmend die Situation prekärer wird; der Verwertungsdruck steigt weiter und die Perspektiven schwinden.“
„Rechtlich gesehen ist das Ganze leider sehr schwierig“, gibt die Linken-Abgeordnete Hendrikje Klein zu, die auch Sprecherin für Bürgerbeteiligung und Engagement ist. „Wir haben alles hoch und runter geprüft. Mittlerweile sind wir der Meinung, dass ein Wagenplatzschutzgesetz die einzige Variante ist, die wir als Land Berlin machen können. Hier sollen Wagenplätzen und Safe Spaces besonderer Schutz eingeräumt werden. Dieses Gesetz ist nicht unser Favorit, besser wäre eine Änderung des Baugesetzbuches auf Bundesebene; ich gehe nur davon aus, dass die aktuelle Koalition da nichts machen wird.“
Senatsverwaltung für Soziales, berlin
Das bestätigt auch die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales. „Ein Wagenplatz kann nach gültigem Bundesrecht und unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung nicht geplant und nicht genehmigt werden“, schreibt deren Pressesprecher auf taz-Anfrage. „Der Bundesgesetzgeber müsste in der Novelle des BauGB z.B. eine Gleichsetzung von Wagenplätzen mit Campingplätzen vornehmen, um eine Planungs- und Genehmigungsfähigkeit perspektivisch zu erreichen. Die politischen Mehrheiten für eine solche Änderung sind derzeit nicht gegeben.“
Der Senat habe sehr wohl Handlungsspielraum, meint hingegen Katrin Schmidberger, Sprecherin für Wohnen und Mieten der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Die Berliner Bauordnung liege in der Zuständigkeit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen. „Hier könnten Regelungen über Wagenplätze aufgenommen werden. Darüber hinaus wäre ein Berliner Wohnwagengesetz mit dem Ziel denkbar, die Genehmigung von Wagenplätzen zu vereinfachen, schlägt sie vor. Berlin solle prüfen, ob sich Standorte für Bauwagenplätze als „Grünfläche mit Sondernutzung Wagenburg“ oder „Sondergebiet alternatives Wohnen“ offiziell im Flächennutzungsplan eintragen ließen.
Sina hat ihre bislang letzte „Achterbahn“ im März erlebt. Ein Gelände neben einer Schule, nur wenige hundert Meter vom jetzigen Standort entfernt, hätte ein geeigneter Ausweichort sein können. Doch die Lichtenberger CDU hatte vorab ein Flugblatt mit dem Slogan „Keine Wagenburg in Rummelsburg“ verteilt. Bei der Ortsbegehung waren dann einige Anwohner*innen anwesend, die aufgescheucht von der Lokalpolitik ihren Unmut gegenüber einem Wagenplatz in ihrer Nachbarschaft bekundeten. „Dass es da keine Chance gab, überhaupt ins Gespräch zu kommen, war wirklich traurig“, sagt Sina.
Maki hat sich inzwischen, auch aus familiären Gründen, ins Exil nach Brandenburg begeben. Aber etwas Hoffnung hat er noch, denn das letzte Wort im Bauvorhaben Rummelsburger Bucht ist noch nicht gesprochen: Die Naturfreunde Berlin haben im Namen der Initiative „Bucht für Alle“ ein Normenkontrollverfahren eingereicht, um den Vollzug des Bebauungsplans Ostkreuz doch noch zu stoppen.
Auch das Konzept von Tiny Houses und Mobilheimen etabliere sich gerade, glaubt Maki, daher hofft er darauf, dass sich im Fahrwasser dieser Konzepte die rechtlichen Rahmenbedingungen lockern lassen könnten. Er regt außerdem an, einen Einblick in die Listen der BIM zu erhalten, um zu schauen, welche Grundstücke das Land zumindest temporär überhaupt zur Verfügung hätte.
Marc fordert, experimentelle Wohnformen ernst zu nehmen und Zwischennutzungen unter spezifischen Rahmenbedingungen zuzulassen. Und auch in den Fall der Ratibor-Genossenschaft ist nun doch noch Bewegung gekommen. Die Stadt fordert den Wagenplatz auf, seinen Teil des Geländes bis zum 30. September 2021 zu räumen. Gleichzeitig soll das zukünftige Gelände der Genossenschaft vermessen werden. Der Wagenplatz soll einen Mietvertrag, die Genossenschaft einen langfristigen Pachtvertrag erhalten. Über die Bedingungen des Pachtvertrages besteht allerdings noch Uneinigkeit.
Nach wie vor laufen die Duldungen öffentlicher Flächen über die Bezirksämter. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg setze sich seit Jahrzehnten für den Erhalt von Wagenplätzen ein, schreibt Katrin Schmidberger, und auch Marc von der Ratibor bescheinigt dem Amt „eine ganz gute Gesprächsebene“. Der Wagenplatz an der Lohmühle hat geräuschlos eine Duldung um weitere viereinhalb Jahre erhalten. Auch das Bezirksamt Lichtenberg hat sich häufig dialogbereit gezeigt. Aber was ist, wenn sich die Machtverhältnisse ändern? In Marzahn-Hellersdorf etwa besteht die reale Möglichkeit, dass die AfD stärkste Fraktion wird und den Bezirksbürgermeister stellt.
Die Spitzenkandidatin der Berliner SPD, Franziska Giffey, hat sich schon für den Weiterbau der Autobahn A100 ausgesprochen. Dieser würde das Aus gleich für mehrere Wagenplätze bedeuten, unter anderem Rummelplatz, Scheffelstraße und Fips sowie die linken Projekte Villa Kuriosum und den legendären Hangar.
Währenddessen besteht die akute Räumungsgefahr für einige Projekte weiter. Am 25. Mai hielt der Köpi-Wagenplatz eine improvisierte Pressekonferenz vor der Köpi in Mitte ab. Der Wagenplatz hat nach 20-jährigem Bestehen im Februar einen Räumungsbescheid erhalten. Zwar setzt sich die BVV Mitte für eine politische Lösung ein, hat aber nur geringe Einflussmöglichkeiten.
„Als Köpi haben wir starkes Misstrauen gegenüber den Eigentümern“, erklärte ein Sprecher. Kein Wunder, denn seit 2007 wurden Haus und Gelände mehrfach von Unterfirmen gekauft, verkauft und versteigert, die alle mit der Sanus AG und ihrem Vorstand Siegfried Nehls verflochten sind. Die Köpi vermutet, dass die Sanus AG das Gelände nur räumen will, um es dann erneut gewinnbringend zu verkaufen. Sie plant deshalb mit ihren Unterstützer*innen zahlreiche Protestaktionen. Am 10. Juni findet die Gerichtsverhandlung statt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen