Waffenstillstand für Libyen: Große Versprechen, kleine Aussichten
Die Chancen auf einen Erfolg der Pariser Vereinbarung zwischen zwei Vertretern Ost- und Westlibyens sind schlecht. Die Macht haben andere.
Es ist die erste gemeinsame Erklärung von Vertretern von Ost- und Westlibyen, zwischen denen seit 2014 Bürgerkrieg herrscht. Das 2014 in die Cyrenaika nach Tobruk evakuierte libysche Parlament mit Armeechef Haftar und der als Interimsinstitution in Tripolis geschaffene Staatsrat mit Premier Sarradsch erkennen sich gegenseitig nicht an.
In der gemeinsamen Erklärung verpflichten sich beide, „sobald wie möglich Wahlen abzuhalten und die Waffen schweigen zu lassen“. Der Plan führt ansonsten die Bereitschaft zur Versöhnung, Eingliederung ehemaliger Kämpfer in eine neu zu schaffende Armee und weitere Gespräche aus.
Emmanuel Macron lobte den „historischen Mut“ seiner Gäste, die sich vor allem aufgrund der Weigerung des selbsternannten „Feldmarschalls“ Haftar zuvor nur am Rande von Konferenzen getroffen hatten.
Verhaltenes Echo in Libyen
Doch in Libyen blieb das Echo verhalten. Parlamentspräsident Aguila Saleh in Tobruk, der sich selbst für den eigentlichen Übergangsstaatschef Libyens hält, ignorierte das Pariser Treffen. Die Partei „Justiz und Gerechtigkeit“, in der auch viele aus Ägypten geflohene Muslimbrüder organisiert sind, kritisierte die Vereinbarungen, da sie „nur den Interessen individueller Länder dienen“.
Es entspricht der verworrenen Lage in Libyen, dass die Legitimität der Verhandlungspartner Macrons unklar ist. Die Armee Haftars ist eigentlich nur der Ostteil der früheren libyschen Armee, die er ansonsten mit Stammesmilizen aufgefüllt hat. Sein militärischer Rang wurde vom nach Tobruk gezogenen Parlament zwar bestätigt, aber von vielen westlibyschen Offizieren nicht anerkannt. Nach Paris kam der 74-Jährige ohne Parlamentsbeschluss, auf eigene Faust.
Und während Haftars Armee immerhin in Libyens zweitgrößter Stadt Bengasi islamistische Milizen weitgehend besiegt hat und nun im Süden des Landes auf dem Vormarsch ist, kontrolliert Premierminister Sarradsch in Tripolis nur das Zentrum der Hauptstadt und hat ein paar Ministerien ohne Budget. Unterstützt wird er nur von außen, von EU und UN.
Frankreich ist nicht neutral
Auch Frankreich ist kein neutraler Vermittler in Libyen. Anders als Italien, das mit den Milizen in Tripolis Geheimdiplomatie betreibt und dadurch wieder eine Botschaft in Tripolis eröffnen konnte, setzen die französischen Diplomaten auf ein militärisches Vorgehen gegen Islamisten in Nordafrika und der Sahelzone und damit auf Haftar, der auch von Ägypten militärisch unterstützt wird.
Frankreich schlug sich bereits im vergangenen Jahr offen auf die Seite Haftars und unterstützt ihn in seinem Kampf gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ und Islamisten in Bengasi mit Drohnen und Kampfhubschraubern.
In Rom sieht man Macrons Initiative daher kritisch, „gerade weil wir die Leidtragenden der Migrationswelle über Libyen sind“, so ein Diplomat gegenüber der taz in Tunis.
Salafisten und Saudis
Beobachter in Libyen glauben, dass Macron mehr verspricht, als er halten kann. Denn überall im Land haben sich in den letzten Monaten salafistische Gruppen etabliert, die sich gegen Neuwahlen, aber auch gegen Haftar wenden könnten.
Die Fronttruppen von Haftars Armee bestehen aus Mudakhali-Salafisten, die dem saudischen Scheich Mudakhali folgen und wie ihre Glaubensgenossen in Ägypten aus Saudi-Arabien bezahlt werden. „Der Schlüssel für den Frieden in Libyen liegt mittlerweile bei den Golfstaaten, die das Machtvakuum füllen, das Europa hinterlassen hat“, so ein Vertrauter von Premier Sarradsch.
Die Salafisten waren nicht nach Paris geladen, ebenso wenig Vertreter der Handelsstadt Misrata, deren Milizen im Westen eine entscheidende Rolle spielen und von Katar und aus der Türkei mit Waffen versorgt werden.
Weder Sarradsch noch Haftar sind die wichtigsten Akteure im libyschen Bürgerkrieg. Im Osten hängt Haftar von den Salafisten und Stämmen ab, also indirekt von Saudi-Arabien – im Westen haben die zahlreichen Stadtteil-Milzen das Sagen, also indirekt Katar. Sie lassen sich in Tripolis direkt von der Zentralbank bezahlen, Sarradsch kann ihnen keine Befehle geben, aber auch nicht ohne sie regieren. Mit deren Kommandeuren wird jedoch nur unter der Hand verhandelt.
Macron ist das egal: Paris setzt in ganz Nordwestafrika auf militärische Lösungen gegen Islamisten und braucht dafür den Schutz von Haftars Armee.
Der Lackmustest für das Pariser Abkommen wird das kommende Wochenende. Der Kommandeur der neugeschaffenen Präsidentengarde in Tripolis, die sich als Gegenspieler zu Haftars Armee begreift, forderte alle Milizen der Hauptstadt ultimativ auf, nichtautorisierte Waffen abzugeben. Das richtet sich vor allem gegen die Milizen aus Misrata.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel