piwik no script img

Waffenlieferungen an die UkraineSchneller, höher, weiter

Auf seiner Europareise wurde Wolodymyr Selenskyj umfangreiche Militärhilfe zugesagt. Sein Wunsch nach Kampfjets bleibt bislang aber unerfüllt.

Wolodymyr Selenskyj beim Treffen mit dem britischen Premier Rishi Sunak am letzten Montag in London Foto: Carl Court/getty/ap

Berlin taz | Unter dem Titel „Waffen, Geld, Nato – Was Wolodymyr Selenskyj auf seiner Europatournee erreicht hat“ bilanzierte der Kyjiwer Politologe Wladimir Fesenko dieser Tage in einem Kommentar für das Webportal focus.ua die Kurzbesuche des ukrainischen Präsidenten in vier europäischen Hauptstädten.

Sein Fazit fällt positiv aus, vor allem im Hinblick auf die bevorstehende ukrainische Gegenoffensive sowie den G7-Gipfel in Hiroshima an diesem Wochenende. Fesenko erwähnt das Rekordrüstungspaket der Bundesregierung in Höhe von 2,7 Milliarden Euro, die Bildung einer „Kampfjet­koalition“ sowie die Unterstützung für Selenskyjs Friedensformel.

Besagten Plan hatte ­Selenskyj im vergangenen November vorgelegt. In Ergänzung dazu machte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba unlängst klar, was nicht zur Disposition steht: jegliche territoriale Zugeständnisse der Ukraine an Russland sowie die Akzeptanz eines eingefrorenen Konfliktes. Zumindest für Kyjiw ist die Bedeutung der Floskel „As long as it takes“ damit einmal mehr geklärt. „Intensive Diplomatie ist zu Selenskis Markenzeichen geworden“, schreibt Fesenko. „Mindestens genauso wichtig ist, dass diese auch konkrete Ergebnisse erbringt.“

Mit leeren Händen ist Selenskyj von seiner Rundreise nicht in die Ukraine zurückgekehrt, doch der Teufel steckt bekanntlich im Detail. Auf den ersten Blick liest sich zum Beispiel Berlins Liste beeindruckend: weitere 20 Marder, 30 Leopard-1-Panzer, 18 Radhaubitzen, 200 Aufklärungsdrohnen, vier Iris-T-SLM-Flugabwehrsysteme samt Munition sowie zwölf Iris-T-SLM-Startgeräte mit Hunderten Lenkflugkörpern, Artilleriemunition sowie 100 gepanzerte Gefechtsfahrzeuge. Doch die alles entscheidende Frage ist: Bis wann könnte was beschafft oder produziert und geliefert werden? So ist von mindestens mehreren Monaten die Rede – Zeit, die die Ukraine nicht hat.

Erwartungen zurückschrauben

Auch was die „Kampfjet­koalition“ angeht, sollte Kyjiw, das schon länger entsprechende Forderungen stellt, seine Erwartungen wohl zurückschrauben. Noch am vergangenen Dienstag hatte die britische Regierung angekündigt, im Verbund mit den Niederlanden eine internationale Koalition zu schmieden, um die Ukraine in der Beschaffung von F-16-Kampfjets zu unterstützen. Einen Tag später klang das bei einem Berlinbesuch des britischen Verteidigungsministers Ben Wallace schon anders. Großbritannien könne allenfalls in der Ausbildung ukrainischer Piloten helfen, sagte er. Ähnlich hatte sich kurz zuvor auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron geäußert.

Laut einem offiziellen ukrainischen Vertreter, den die New York Times zitiert, hätten die Niederlande vorsichtig signalisiert, F-16-Jets an Kyjiw liefern zu wollen. Schlössen sich Dänemark und Belgien an, könnten es laut der britischen Denkfabrik International Institute for Strategic Studies (IISS) mindestens 125 F-16 sein.

Doch dafür braucht es grünes Licht aus den USA. Am Freitag meldete die US-Nachrichtenagentur CNN, dass Washington bereit sei, eine Exporterlaubnis zu erteilen, sollten seine europäischen Verbündeten darum ersuchen. Kurz darauf hieß es, US-Präsident Joe Biden habe auch Unterstützung für die Schulung ukrainischer Piloten an F-16-Kampfjets aus amerikanischer Produktion bekundet. Diese Entscheidung sei am Freitag bei privaten Unterredungen mit Staats- und Regierungschefs der sieben führenden Industrieländer auf dem G7-Gipfel in Hiroshima gefallen.

Rote Linien

Was die Frage eigener Lieferungen von F-16-Kampfjets angeht, hat Washington für sich eine rote ­Linie gezogen. Doch derer gab es, zu Beginn des Krieges vor allem auch in Berlin, in der Vergangenheit schon so einige. Die US-Tageszeitung ­Politico will aus dem Umfeld der Biden-Administration von Planspielen erfahren haben, wonach sich Washington auf das Szenario eines eingefrorenen Konfliktes vorbereite – ein politisch durchaus erstrebenswertes Ziel.

Denn es würde bedeuten, dass die Zahl der militärischen Auseinandersetzungen genauso sinken würde wie die Kosten der Unterstützung für Kyjiw. Auch die öffentliche Aufmerksamkeit für den Krieg ginge zurück, was zu weniger Rechtfertigungsdruck bei politischen Entscheidungen führen könnte.

Michael F. Oppenheimer, Professor für internationale Beziehungen an der Universität in New York, mahnt mehr Klarheit der US-Politik gegenüber der Ukraine an. Washington müsse sich entscheiden: sich nicht zufriedengeben, bis Russland die Ukraine verlässt und für seine Verbrechen zur Verantwortung gezogen wird, oder sich mit einem fragilen Übergangsfrieden und einem anhaltenden Patt begnügen, was Russland weiter schwächen, jedoch nicht unbedingt zu einem klaren Sieg der Ukraine führen würde.

Was die USA wollen, fragen sich auch viele Ukrainer*innen. Sie sind zusehends verunsichert. Dieses Gefühl dürfte auch Selenskyj zum Ausdruck bringen, der jetzt doch am Sonntag zum G7-Gipfel nach Japan reisen will. Und er wird wieder insistieren: auf der Lieferung von F-16-Kampfjets.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare