piwik no script img

„Waffen müssen Waffen antworten“

Frankreichs Präsident Jacques Chirac setzt sich vehement für einen militärischen Schutz der bosnischen Enklaven ein – und erhält dabei Unterstützung von André Glucksmann  ■ Aus Paris Rudolf Balmer

Jacques Chirac ist ein Mann der starken Bilder. So sprach der französische Präsident in diesen Tagen, in denen die bosnischen Serben dabei sind, die UN-Schutzzonen einzunehmen, von einer europäischen „Komplizenschaft mit der Barbarei“. Die derzeit herrschende Passivität und Ratlosigkeit verglich er mit der Kapitulationspolitik Chamberlains und Daladiers bei der Münchner Konferenz 1938. Damals hatten Frankreich und Großbritannien der Abtretung des tschechischen Sudetenlandes an Deutschland zugestimmt. Die Frage, die sich nun nicht nur die Franzosen stellen, ist jedoch, ob den starken Worten nun auch Taten folgen. Dies ist alles andere als gewiß, auch wenn der französische Präsident die bosnische Hauptstadt Sarajevo als „Symbolstadt der Freiheit“ bezeichnete und es mit West-Berlin verglich.

Chiracs Vorgänger François Mitterrand hatte in seiner Amtszeit stets vom „Recht auf humanitäre Einmischung“ gesprochen. Inzwischen hat sich in Bosnien und vor allem in den zu „UN-Schutzzonen“ erklärten muslimischen Enklaven auf dramatische Weise herausgestellt, daß die humanitäre Hilfe nicht ausreicht. Daher forderte Chirac schon kurz nach dem Fall Srebrenicas die westlichen Verbündeten auf, „sich aufzuraffen“ und „entschlossene und begrenzte Militäraktionen“ gegen die bosnischen Serben zu beschließen. Andernfalls machten sich Europa und die USA zu Komplizen des Aggressors. Den holländischen Blauhelmen warf er vor, die Schutzzone kampflos den Serben überlassen zu haben. Auch Chirac jedoch weiß, daß die Hilflosigkeit der Blauhelme in Bosnien vor allem in ihrem Mandat begründet liegt. Ein „Geburtgebrechen“ nannte der französische Präsident dies.

Ohne Zustimmung der UNO will auch Chirac sich nicht allzu weit vorwagen: „Zum jetzigen Zeitpunkt stehen wir allein. Und alleine können wir nicht handeln, denn wir haben nicht das Mandat der Vereinten Nationen, noch haben wir die Mittel, um Srebrenica zurückzuerobern.“ Versuchen müße man jedoch, zumindest den Fall der UN-Schutzzone Goražde zu verhindern. Dies sei möglich, wenn die britischen Blauhelme, die dort stationiert sind, „diese wirklich verteidigen“. Der französische Präsident entsandte seinen Militärberater Admiral Lanxade mit dem Auftrag nach London, zu prüfen, wie weit die Regierung der Queen zu gehen bereit sei.

Chirac scheint es im Moment vor allem darum zu gehen, das „Gesicht“ nicht zu verlieren. Denn als selbsternannte „Heimat der Menschenrechte“ kann Frankreich sich weniger als alle anderen westlichen Demokratien leisten, die Demütigung in Bosnien länger hinzunehmen. Sein Angebot, militärisch einzugreifen, ist zudem nicht besonders riskant. Weiß der Präsident doch, daß ein solches Eingreifen nicht ohne Beschluß des UNO-Weltsicherheitsrats möglich ist. Und hier dürfte nicht nur Rußland blockieren.

In Frankreich stieß Chiracs Initiative weitgehend auf Zustimmung. Daß heißt freilich nicht, daß die Franzosen bereit sind, für Bosnien in den Krieg zu ziehen. „Für Danzig sterben?“, so lautete die Frage nach der Münchner Konferenz 1938, und so wird sie auch heute gestellt. Deutliche Stimmen für ein Engagement kommen vor allem von dem Philosophen André Glucksmann: „Es nützt nichts, die immer hilflosere Hilfe zu akkumulieren, während die Unmenschlichkeit triumphiert. Den Waffen müssen, zuallerletzt, Waffen antworten. Den Mördermilizen müssen Kämpfer entgegengestellt werden, die jene unschädlich machen können.“ Der Kolumnist des Figaro, Jean d'Ormesson, begrüßt den Moruroa-Entscheid als logische Konsequenz der Niederlage in Bosnien: „Die Wiederaufnahme der französischen Atomversuche verdiente eine breite Verurteilung, wenn eine wirkliche internationale Ordnung am Entstehen wäre.“ Die Ereignisse in Bosnien aber zeigten, daß die internationalen Institutionen unfähig sind, ein Minimum an Gerechtigkeit und Sicherheit zu garantieren. Seiner Ansicht nach bleibt nur eine Wahl: „Krieg führen oder weggehen. Aber für beide der Lösungen muß man den Preis bezahlen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen