: Wackersdorf-betr.: "Zehntausende am Bauzaun der WAA","50.000 latschen zum WAA-Bauzaun",Kommentar "Fragwürdiger Erfolg", taz vom 17.10.88
betr.: „Zehntausende am Bauzaun der WAA“, „50.000 latschen zum WAA-Bauzaun“, Kommentar „Fragwürdiger Erfolg“, taz vom 17.10.88
Die von Bernd Siegler gegen die Veranstalter des Großaktionstages vom 15.10 in Wackersdorf im Zusammenhang mit der genehmigten Demonstration zum Bauzaun der WAA vorgebrachte Kritik weisen wir zurück.
Bei einer Teilnehmerzahl von über 50.000 Menschen in einem Demonstrationszug von ca. acht Kilometer Länge war es unmöglich, das Konzept der Geschlossenheit am Bauzaun aufzugeben. Der Zug hätte sich infolge großer Rückstaus aufgelöst, was dazu geführt hätte, daß sich die Menge unkontrolliert um das WAA-Gelände verteilt. Wie eine solche Situation schnell eskaliert, wissen wir alle noch von den blutigen Knüppelorgien des Oktobers 1987.
Der Fluß des Demozuges mußte also unter allen Umständen aufrecht erhalten werden, was auch vom militanten Spektrum des Aktionsbündnisses bekräftigt wurde. Die „Friede-Freude -Eierkuchen„-Stimmung täuschte. Wir haben gesicherte Informationen, daß nicht nur eine sehr große Anzahl von Zivil-Polizisten, sondern auch Rechtsradikale im Zug mitmarschierten. Bei einer Aufgabe der Geschlossenheit am Bauzaun wäre es mit Sicherheit zu weiteren Provokationen und dann höchstwahrscheinlich zu den Einsätzen von Gauweilers Greiftrupp USK gekommen. Nochmal blutige Köpfe und es wäre mit Großaktionen vor Ort endgültig vorbei gewesen. Dies war übrigens bereits vorher die Einschätzung oberpfälzer autonomer Gruppen, die ihre Mitarbeit im Bündnis mit der Begründung verweigerten, der Schutz einer Demo zum Zaun wäre von unserer Seite nicht zu gewährleisten.
Sicher ist es richtig, daß die Demo vom Friedens/SPD/Gewerkschafts-Spektrum dominiert war. Das heißt jedoch nicht, daß eine Politik des breiten Bündnisses zur Durchsetzung unseres Versammlungsrechts direkt vor der WAA falsch gewesen wäre und daß direktere Widerstandsformen in Wackersdorf passe wären. Sobald mit einer nachgeschobenen Baugenehmigung der Weiterbau der Atomfestung legalisiert wird, womit bereits im November '88 zu rechnen ist, spätetens jedoch bei Inbetriebnahme des Brennelemente -Eingangslagers wird der WAA-Widerstand zeigen, daß er noch sehr lebendig ist.
Daß keine rechte Stimmung am Zaun aufkam, müssen wir uns teilweise zum Vorwurf machen. Andererseits wollen wir aber nicht auch noch die Tendenzen zum Demo-Konsum fördern. Außerdem ist der WAA-Bauzaun nicht gerade ein Objekt, vor dem wir gerne tanzende und singende Karnevalszüge vorbeilaufen sehen wollen. Wir würden daher gerne wissen, was Bernd Siegler damit meint, daß „die Veranstalter es versäumt hätten, den Erfolg eines Zuges zum Bauzaun auszubauen“. Uns Angst vor eventuellen Ordnungswidrigkeiten vorzuwerfen, geht aber zu weit. Sollte es tatsächlich Leute gegeben haben, die etwas gegen Luftballons hatten, was uns nicht bekannt ist, so muß natürlich klargestellt werden, daß die nicht von uns waren. Diejenigen Oberpfälzer, die sich etwas „mehr“ erwartet hätten, sollten sich jedoch überlegen, ob dies der richtige Zeitpunkt gewesen wäre.
Polizeizusammenarbeit gab es von unserer Seite definitiv nicht, auch nicht im Rahmen polizeilicher Hilfsfunktionen. Über diese Andeutungen von Bernd Siegler sind wir mehr als sauer. Wir haben uns lediglich bemüht, nach den großen Vorwürfen aus den eigenen Reihen auf die blutigen Köpfe der letztjährigen Herbstaktionen, dieses Mal für einen besseren Schutz unserer Leute zu sorgen.
Hannes Bojarsky, Koordinationskreis Herbstaktionen 88 gegen WAA und das Atomprogramm, Schwandorf
Wo waren die Großaktionen am 15.10.? Etliche Leute mußten sich dies fragen, nachdem sie an diesem Tag mehrere 100 Kilometer (oder auch nicht) zurücklegten, um die Bestie WAA anzugreifen. Die Aktionen liefen wohl eher auf dem Volksfestplatz bei Bier und Würstchen, bei 1.000mal gehörten Ansprachen und beim Aufblasen von Luftballons.
Das alles erinnert mich an die Hochzeit der Friedensbewegung (Blumen und Luftballons für die Bullen!), an die nicht enden wollenden Megaphonrufe, mann/frau möge doch bitte nicht aus der Rolle fallen und schön im Gänsemarsch der Spitze des Demozuges folgen. Groß angekündigt wird Wochen vorher eine Großdemo zum Bauzaun, auch und gerade bei eventuellem Verbot dieses Vorhabens. Wo war hier die Selbstbestimmung, wo, wann und wie man demonstriert, frage ich mich. Stattdessen bestimmten die Bullen als Mitorganisatoren wo Mann/Frau zu laufen hatte. Die zugelassene Strecke entlang des Baugeländes betrug vielleicht grade mal 200 Meter. Und dann schnell zu Kultur, Kaffee und Kuchen.
Wer frühere Demos miterlebt hat, wer gekommen war, entschlossen Widerstand zu leisten, kam sich an diesem Tag gänzlich verarscht vor. Hier wurde eine Spaltung vollzogen, wie mann/frau sie andernorts kennt, von Wackersdorf bislang aber nicht gewöhnt war.
Zuguterletzt finden sich einige versprengte Gruppen, als andernorts schon gefeiert wird, noch zu einer Antifa-Demo zusammen. 20 vorbeimarschierende Neo-Faschos boten dazu Anlaß. Was geschieht? Die Bullen schützen die Faschos, einer von uns wird verhaftet und die Friedensärsche schützen die Bullen.
Wenn dies noch der breite, vielbeschworene Widerstand in der Oberpfalz sein soll, dann gute Nacht. Die Friedensbewegung hat die Zügel wieder fest in der Hand, ganz im Sinne des Apparates. Gute Nacht Widerstand! So kippt ihr weder die WAA noch sonstwas. Laßt euch in Zukunft eure Demos doch von den Bullen anmelden, wenn sie Termine frei haben.
N aus F
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