Wacken-Festival versinkt im Schlamm: Der Woodstock-Effekt
Die Leitung des legendären Metal-Festivals schließt die Tore. Doch für die Happy Few, die es hingeschafft haben, soll Wacken trotzdem stattfinden.
Metalheads sind atheistische Trolle, aber einige beginnen gerade, an ihrer metaphysischen Enthaltsamkeit zu zweifeln. Kaum hatten die Verantwortlichen des Wacken Open Air nämlich den nächsten peinlichen PR-Vogel abgeschossen und angekündigt, im Zuge der „Lemmy Forever“-Feierlichkeiten die Asche der alten Wanderwarze von Motörhead einzufliegen, um den Holy Ground damit symbolisch zu düngen, da traf sie der Fluch der Metalgötter, und das Festival begann von jetzt auf nun zu kippen. Wer da noch an Zufälle glaubt!
Geregnet hatte es schon ein paar Tage zuvor, und zwar landesteiltypisch – für Nichtinformierte: Wacken liegt in Schleswig-Holstein – wie aus Eimern, aber als dann die ersten Gäste-Pkws im holsteinischen Sumpf bis zu den Rückspiegeln versanken, schlug die W.O.A.-Kommandozentrale Alarm. Man möge besser zu Hause bleiben. Das hört ein Fan natürlich nicht so gern, wenn er 300 Euro für ein Ticket abgelatzt und seinen Jahresurlaub auf die erste Augustwoche gelegt hat.
Aber Metalheads sind vernünftig, Argumenten aufgeschlossen, und wo gefeiert wird, ist ohnehin egal. Also trafen sich Hunderte Wackengänger am Parkplatz des Hamburger Volksparkstadions, warteten auf günstigere Winde und tranken die Bestände leer.
Doch die Schlangen wurden länger und länger, weil alle weiteren Gefährte, vor allem SUVs, Wohnmobile und Campinggespanne, nur noch mit dem Trecker aufs Gelände gezogen werden konnten. Die umliegenden Gehöfte schickten ihre Erstgeborenen, und mit Überstunden und vereinter Bauernpower gelang es, die Early Metalbirds auf die Weide zu schleppen.
Schicksalsgemeinschaft
Die Stimmung blieb erstaunlich gut, wie immer, wenn schwierige äußere Umstände ein Kollektiv zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammenschweißen, und das dann noch in der „Tagesschau“ zu sehen ist. Das ist der Woodstock-Effekt. Man weiß, dass es legendär wird und man hinterher eine grandiose Geschichte erzählen kann. Das macht viel Unbill wett.
Aber als die sich weiter verdichtenden Besucherströme den Verkehr auf den idyllischen Dorfstraßen zum Erliegen brachten, zogen die Veranstalter die erste Notbremse. Die Anreise mit dem Auto wurde bis Festivalende untersagt. Die Szene vermutete sofort regresstaktische Erwägungen. „Na klar“, erklärte mir ein befreundeter Metal-Hammer-Autor, „so können sie immer noch sagen, ihr hättet ja mit der Bahn kommen können, und müssen die Tickets nicht zurückzahlen.“
Aber die Maßnahme brachte nicht die gewünschte Entspannung, zumal man für die nächsten Tage weitere schwere Regenfälle erwartete. Sarkastische Memes fluteten die einschlägigen Kanäle, zum Beispiel das mit dem kleinen Racker, der den Stinkefinger zeigt: „Petrus, iss ein Snickers!“
Apokalyptica
Es half nichts, am frühen Mittwochmorgen erging ein genereller Einlassstopp, weil die Festival-Infrastruktur nach Meinung der Verantwortlichen sonst zum Erliegen gekommen wäre. Es sollen ja noch Bands spielen. Außerdem gilt weiterhin Paragraf 1 des Metal-Codex: „Die Versorgung der Metalheads mit kühlen Getränken muss gewährleistet bleiben!“
Befreundete Schreiber von der Spartenpresse sind Mittwochfrüh losgefahren und wurden ohne große Aufregung auf eine noch halbwegs leere, saftig grüne Wiese geleitet. Nur das Infield, da wo die Live-Action ist, mutete apokalyptisch an. Erinnerungen an alte Karl-May-Filme wurden wach.
Andererseits waren die Wettervorhersagen relativ eindeutig und solche Schlammfestspiele in den vergangenen Jahrzehnten auch keine Seltenheit. Hat so ein traditionsreiches Festival keinen Notfallplan? Und lernt man dort gar nichts aus überstandenen Katastrophen?
Ich kann mich noch erinnern, wie man einmal gewaltige Mengen Stroh, Holzschnitzel und Katzenstreu ausgefahren hat und keine 30 Gäste wegschicken musste – schon gar keine dreißig- bis vierzigtausend. Es sind ja nicht die Metalheads, die immer weicher werden, sondern die Festivalpatrone, die ihnen eine Woche Boot Camp nicht mehr zumuten mögen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“