Wachstumsbeschleunigungsgesetz: Bund treibt Städte in die Pleite
Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz sorgt bei den Kommunen für Einnahmeausfälle in Milliardenhöhe. Dabei sind die meisten jetzt schon klamm.
In den Städten und Gemeinden wächst die Sorge vor dem finanziellen Kollaps. Angesichts immer neuer auf Bundesebene beschlossener Steuerentlastungen warnt der Vorsitzende des Städtetags Nordrhein-Westfalen, Mönchengladbachs Oberbürgermeister Norbert Bude (SPD), vor "sich immer weiter auftürmenden Schulden" und "zerfallender öffentlicher Infrastruktur". Das Wachstumsbescheunigungsgesetz führe zu "Einnahmeausfällen", die schlicht "nicht verkraftbar" seien, mahnen auch der Deutsche Städtetag, der Deutsche Landkreistag und der Deutsche Städte- und Gemeindebund in einer gemeinsamen Stellungnahme.
CDU und FDP hatten das Wachstumsbeschleunigungsgesetz am Freitag im Bundestag beschlossen. "Bundesweit kostet das die Kommunen 1,8 Milliarden Euro", so die kommunalpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Britta Haßelmann. Hinzu kämen Steuerausfälle von 2,5 Milliarden Euro aus den noch von der vorigen Bundesregierung beschlossenen Konjunkturpaketen und 1,7 Milliarden Euro aus dem Bürgerentlastungsgesetz. Außerdem wolle im Jahr 2010 der Bund 1,8 Milliarden Euro an Wohngeldzuschüssen für Hartz-IV-Empfänger streichen, kritisiert Haßelmann: "Für die Städte und Gemeinden ist das nicht mehr tragbar."
Dabei sind viele Kommunen schon heute faktisch pleite. Beispiel Bochum: Der Stadtrat muss am 17. Dezember ein Haushaltssicherungskonzept beschließen, nachdem CDU-Regierungspräsident Helmut Diegel als Kommunalaufsicht eine Haushaltssperre verhängt hat. 360 Millionen Euro muss die viertgrößte Stadt des Ruhrgebiets bis 2015 sparen. Die Verwaltung von SPD-Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz hat deshalb eine "Tränenliste" vorgelegt, nach der 15 Schulen und 8 Lehrschwimmbecken geschlossen werden könnten. Gekürzt werden soll auch bei der Volkshochschule, der Musikschule; dem Stadtarchiv und den Stadtteilbüchereien droht die komplette Schließung.
An Werbung für die Europäische Kulturhauptstadt ist in Bochum nichts zu sehen - dabei wollte sich das Ruhrgebiet von Januar an mit dem Titel schmücken. Stattdessen verschwindet ein Kulturprojekt nach dem anderen. Verzweifelt schlägt die Stadtverwaltung bereits vor, Konzerte künftig in die Trauerhallen der Friedhöfe zu verlegen - die böten schließlich eine gute Akustik. "Die Diskussion macht vor nichts und niemandem halt", sagt Stadtsprecher Thomas Sprenger. Die zu erwartenden Ausfälle von 7 Millionen Euro allein aus dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz hat Stadtkämmerer Manfred Busch bei seinen Kürzungsvorschlägen noch gar nicht einrechnen können. Um Geld in die Kasse zu bekommen, will der Kassenwart jetzt nicht nur Raser verstärkt blitzen lassen. Die Gewerbesteuer soll um 20 Prozent erhöht werden - auch wenn die vom Weggang des Handyherstellers Nokia und der Opel-Krise gebeutelte Stadt damit für Neuinvestoren nicht gerade attraktiver wird.
Bochum steht damit stellvertretend für viele Kommunen in strukturschwachen Gebieten wie dem Ruhrgebiet. "Betroffen ist nicht nur das Revier", sagt etwa Oberhausens sozialdemokratischer Rathauschef Klaus Wehling. Er spricht von einem "Flächenbrand", der "nach und nach auch kleinere Städte in ländlichen Regionen" bedrohe.
In der Wirtschaftskrise drohten viele kommunale Haushalte "zwischen zwei Mühlsteinen zerrieben" zu werden, warnt Wehlings Kämmerer Bernhard Elsemann: zwischen sinkenden Steuereinnahmen und steigenden Sozialausgaben. In Oberhausen ist die Zahl der Haushalte, die von Hartz IV leben, in den vergangenen zwölf Monaten von 13.175 auf über 14.500 gestiegen. Ende 2010 dürften es über 16.000 sein, schätzt Elsemann.
In Dortmund musste SPD-Oberbürgermeister Ullrich Sierau am Donnerstag sogar den Weg für Neuwahlen freimachen, nachdem unmittelbar nach den Kommunalwahlen vom August angeblich völlig überraschend ein Haushaltsloch von über 155 Millionen Euro aufgetaucht war.
Hilfe vom Land aber können die klammen Kommunen zumindest in NRW nicht erwarten. Zwar wettert SPD-Landtagsfraktionschefin Hannelore Kraft gegen die "unverantwortliche Umverteilungspolitik von Schwarz-Gelb". Ein Eilantrag von Sozialdemokraten und Grünen, der ein Nein der NRW-Landesregierung zumindest zum Wachstumsbeschleunigungsgesetz forderte, wurde aber mit den Stimmen der schwarz-gelben Regierungskoalition von CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers abgeschmettert.
Während die CDU-geführten Landesregierungen von Schleswig-Holstein, Sachsen und dem Saarland weiter mit einer Blockade bei der entscheidenden Bundesratssitzung am 18. Dezember drohen, gibt sich Rüttgers koalitionstreu. Damit habe er nur seine anstehenden Landtagswahlen im Mai im Blick, kritisiert die grüne Landtagsfraktionschefin Sylvia Löhrmann: "Der Nichtangriffspakt von Rüttgers und Bundeskanzlerin Merkel" sei schlicht skandalös.
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