piwik no script img

WOHNZIMMER Thomas Wübker hat erst jahrelang in Kneipen gearbeitet und dann ein Buch drüber geschrieben. Ein Interview über Stammtisch-Klischees, Treckerfahrer und Wirtinnen, die hinterm Tresen tot umfallen„Home drinking is killing the Gastwirt“

Herrengedeck und Würfelspiel: ein Dienstag im „Gasthof Neudorf“ Foto: Gesa Kahlcke

Interview Gareth Joswig

taz: Herr Wübker, kann man in Osnabrück noch in einer Eckkneipe ein Bier trinken?

Thomas Wübker: Ja, es gibt noch traditionelle Eckkneipen. Doch es werden immer weniger. Und an den Kneipen, die noch da sind, nagt der Zahn der Zeit.

Zwischen 2008 und 2014 haben laut Statistischem Bundesamt 7.000 von 39.000 Schankwirtschaften dichtgemacht. Woran liegt das?

Für die Neue Osnabrücker Zeitung habe ich eine Serie über traditionelle Eckkneipen geschrieben. Irgendwann habe ich einen alten Kumpel gefragt, mit dem ich in der E-Jugend Fußball gespielt habe. Sein Vater hatte in den Siebzigern im Arbeiterviertel Schinkel eine von drei Kneipen direkt vor dem Osnabrücker Stahlwerk. Diese Dichte war absolut normal in den Sechzigern und Siebzigern.

Und, was hat er gesagt?

Er behauptet: Es hat angefangen mit der Einführung des Girokontos. Davor haben die Arbeiter ihre Lohntüten in die Hand bekommen und sind damit direkt in die Kneipe marschiert. Außerdem sind viele dazu übergegangen, sich Bierkisten im Getränkemarkt zu kaufen und zu Hause zu trinken. Home drinking is killing the Gastwirt.

Aber Bierkisten kann man doch schon ewig kaufen.

Allerdings war Trinken in der Kneipe nicht immer teuer. Früher gab es für eine Mark ein Bier und einen Korn. Jetzt kann man sich einen Kasten Bier für über zehn Euro kaufen.

Vielleicht ist es auch besser, dass Kneipen aussterben: Saufen ist nicht sonderlich gesund.

Auch das ist ein Grund. Früher war Alkoholismus kein großes Thema. Ein Bier am Vormittag war wie Kaffee oder Wasser. Keiner hat sich drum geschert. Die Dunkelziffer der Alkoholiker muss aber unheimlich hoch gewesen sein. Ein Beispiel: Es gab damals eine französische Bier-Werbung. Auf der einen Seite ist eine Frau zu sehen, die während des Stillens ein Bier getrunken hat. Ihr Baby sah zufrieden und glücklich aus. Auf der anderen Seite war eine Frau mit schreiendem Kind und ohne Bier zu sehen.

Warum ist es trotzdem schade, dass die Eckkneipe ausstirbt?

Wenn man in eine fremde Eckkneipe kommt, gucken die meisten erst einmal schief. Aber das Eis ist schnell gebrochen. Man sitzt selten lang allein. Viele Frauen sagen, dass sie gerne in bestimmte Kneipen gehen, weil sie dort niemand blöd anmacht. Besonders Wirtinnen achten auf solche Dinge sehr genau. Der Spruch „Komm, wie du bist“ trifft auf viele Kneipen zu.

Was bedeutet die Eckkneipe für die Stammgäste?

Es hat etwas von Familienersatz. Wenn unter den Stammgästen die Rede von früher war, fiel immer der Spruch: Das war mein Wohnzimmer. Das galt für jede Kneipe. Die Gäste kannten sich jahrzehntelang und trafen sich mehrmals pro Woche.

Foto: Michael Gründel
Thomas Wübker

53, freier Journalist und Kneipen-Experte. Für die Neue Osnabrücker Zeitungschrieb er 2011 bis 2016 die Serie „Die kleine Kneipe...“, 2016 ist sein Buch „Herrengedeck und Herzenswärme“ über das Kneipensterben erschienen. Bei seinen Lesungen gibt es für BesucherInnen einen Korn und eine Umarmung.

Gibt es eine Zukunft für die klassische Eckkneipe?

Noch ist nicht alles verloren. Es gibt noch immer eine Menge Eckkneipen. Viele überleben, indem sie neue Wege gehen.

Wie zum Beispiel?

In Osnabrück gibt es seit sechzig Jahren das Gasthaus Neumann. Seit ein paar Jahren gibt es dort einen türkischen Wirt. Dessen Sohn hatte die Idee, in der Kneipe zusätzlich eine Shisha-Bar aufzumachen. Jetzt heißt der Laden Gasthaus Neumann/Keskin Shishabar. Auf einer Empore sitzen Shisha-Raucher und an der Theke sitzen Pils- und Korntrinker. Die Musik wechselt: eine halbe Stunde Andrea Berg und Helene Fischer, eine halbe Stunde Eminem und 50 Cent.

Und das funktioniert?

Ganz wunderbar. Die jüngeren Shisha-Raucher und die älteren Biertrinker können gut miteinander. Eine ältere Dame hat mir euphorisch erzählt, wie ein junger Mann sie spätabends sicher nach Hause gebracht hat, als sie alleine da war.

Das widerspricht dem Klischee vom Stammtisch-Pöbler.

Tatsächlich hat es dort ehemalige Stammgäste gegeben, die gesagt haben: „Beim Türken wollen wir unser Bier nicht trinken.“ Der Besitzer der Kneipe sagte: „Okay. Auf die können wir verzichten.“ Aber das war nur ein sehr kleiner Prozentsatz.

Gibt es denn überhaupt noch den reaktionären Stammtisch-Gänger?

Viele denken, dass in Eckkneipen nur asoziale Säufer sitzen. Aber das stimmt nicht: Einerseits ist das Leben in Kneipen moderner geworden, andererseits stirbt die Stammtisch-Generation aus. In einer Kneipe in Osnabrück gibt es ein Totenbuch mit allen ehemaligen Gästen. Das ist mittlerweile ein dicker Aktenordner. Die noch lebenden Gäste sagen: Auf diese Weise sind sie noch bei uns. Aber den Klischee-Stammtisch-Trinker trifft man immer seltener. Und den dicken Opa mit richtig reaktionärer Meinung, der Zigarre pafft und Korn trinkt, gibt es höchstens noch vereinzelt in Dorfkneipen.

Sie kennen beide Seiten einer Kneipe, weil Sie auch schon hinter dem Tresen standen. Was haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen?

Ich arbeite seit 2001 als freier Journalist. Durch meine Arbeit in den Kneipen Osnabrücks von Mitte der Achtziger bis Ende der Neunziger habe ich unheimlich viele Leute kennengelernt. Später hatte ich für jede Geschichte oder Recherche sofort einen Ansprechpartner.

Reden wir über wichtige Details: Bier oder Korn?

Bier.

Gezapft oder Flasche?

Flasche.

Salzstangen oder Erdnussflips?

Salzstangen.

Darts oder Billard?

Kicker.

Skat oder Kniffel?

Skat, aber das gibt es auch immer seltener. Sehr schade.

Haben Sie je größere Summen am Daddelautomaten gewonnen?

Nein, allerdings habe ich Unmengen an Geld im Flipper versenkt.

Was sollte man auf keinen Fall in einer Kneipe machen?

Protzen. Es gibt nichts schlimmeres als Leute, die erzählen, was für geile Typen sie sind oder was für tolle Autos sie doch haben.

Was sollte man in einer Kneipe auf jeden Fall machen?

Lokalrunden schmeißen (lacht). Im Ernst: offen und nett sein. Dann kommt man gut zurecht.

Wie würde Ihre Kneipe heißen: Wübkers oder Wübker’ s?

Wübkers ist richtig, aber das ist nicht wichtig. Kneipengänger sind tolerant, ein falsches Apostroph stört keine Sau.

Was sind die skurrilsten Devotionalien, die Sie je in Kneipen gesehen haben?

In der Nähe des Bahnhofs gibt es in Osnabrück die Frühgaststätte. Ich bin da mal um acht Uhr morgens zu Recherchezwecken hingefahren und habe mit dem Wirt und einem Gast gesprochen. Als das Gespräch zu Ende war, habe ich kurz nach oben geguckt. Erst da habe ich entdeckt, das über der Theke eine Art Baldachin war, an dem Hunderte vergilbte Fotos hingen. Alle zeigten nackte englische Soldaten, die dort mit Prostituierten hart feierten. Der Wirt sagte, in den Neunziger- und Achtzigerjahren war in dem Laden die Hölle los.

Kneipen leben von ihren Geschichten: Was war die schönste?

Ich war mal in einem Wirtshaus auf dem Land. Während ich mit dem Wirt sprach, kam ein Typ auf einem Trecker angefahren. Er hat vor der Kneipe geparkt, ein Bier bestellt, ausgetrunken und ist weitergefahren.

Was die traurigste Geschichte?

Es gab eine Wirtin in der Fürstenbergklause. Die hat mit 66 Jahren noch von morgens bis nachts ziemlich harte Schichten durchgezogen. Ich habe sie gefragt, warum sie sich das noch antut. Sie war total empört und hat gesagt: „Ich mach das so lange, bis sie mich hier tot raustragen.“ Ein Jahr später ist sie tatsächlich hinter dem Tresen gestorben. Es war sehr tragisch, sie war eine herzensgute Frau, die den Job geliebt hat.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen