WM-Quali gegen Russland: Raus aus dem tristen Grau
Beim entscheidenden WM-Qualifikationsspiel gegen Russland reicht schon ein Punkt. Doch die Deutschen um Führungsspieler Lahm wollen trotz Kunstrasen und miesem Wetter gewinnen.
MOSKAU taz | Es ist das Spiel des Jahres. Die Russlandreisenden des Deutschen Fußball-Bundes wollen trotzdem sehr, sehr viel Spaß haben am Samstag gegen die Russen im Moskauer Luschniki-Stadion, der Olympia-Arena von 1980, trotz der Tücken des dort verlegten Kunstrasens und hundsmiserablen Herbstwetters. Von ihrem Nobelhotel "Baltschug" aus konnten die Profis die bunten Zwiebeltürme und den Kreml lediglich durch Nebelschleier hindurch sehen. Ein paar Nationalspieler schlenderten hinüber zum Roten Platz, die Kapuzen tief in ihre Gesichter geschoben.
Bundestrainer Joachim Löw war nicht unter den Ausflüglern, er brütete im schönen Fin-de-Siècle-Bau über Taktikvarianten und bemerkte dabei, dass "der Countdown herunterläuft". Gewinnt die DFB-Elf am Samstag (ZDF, 17 Uhr), ist sie für die Weltmeisterschaft in Südafrika qualifiziert, geht die Partie jedoch anders aus, ist das Spiel nächsten Mittwoch gegen Finnland in Hamburg noch von Belang. Dann würde das Rennen mit Russland um die direkte Qualifikation für Südafrika in die letzte, entscheidende Runde gehen.
Löw gibt es "ein gutes Gefühl, dass wir nicht unbedingt gewinnen müssen. Ein Unentschieden reicht auch", sagte er. Etwas später relativierte er seine Aussage und wollte doch gegen die Russen gewinnen, auch Philipp Lahm will obsiegen: "Ich habe das Vertrauen, dass wir als Sieger vom Platz gehen."
Sie haben in Mainz extra mehrmals auf Kunstrasen trainiert, deswegen hätten sich die Spieler "an dieses Terrain gewöhnt", sagte Löw, auch den nötigen Gripp hätten sie mit der richtigen Schuhauswahl nun gefunden. Der Kunstrasen, beherrschendes Medienthema in den vergangenen Tagen, soll nicht mehr das Denken der Spieler bestimmen, sie sollen sich auf die taktischen Aufgaben konzentrieren. Es ist wahrscheinlich, dass die DFB-Elf in einer 4-5-1-Formation aufläuft, die eigentlich eine 4-2-3-1-Aufstellung ist, aber auch eine 4-4-2 wäre möglich. Löw wollte nicht zu viel verraten. Wichtig sei nicht das Schema, sondern die Einstellung.
"Wir brauchen Spieler, die den Ball präzise in den Fuß spielen, die schnell und wendig sind", sagte Löw. Solche wie Lahm, Spieler, die nicht die Nerven verlieren in wichtigen Spielen, die eine Mannschaft anführen können. Kapitän Michael Ballack ist so einer, auch Per Mertesacker oder Miroslav Klose. Sie bilden "den Kern der Mannschaft", wie Lahm verriet, es sind erfahrene Profis, die sich schon in zig Spielen bewiesen haben und die in so einem Entscheidungsspiel eine Herausforderung sehen. "Der Kern ist wichtig, er muss das Heft in die Hand nehmen", sagt Kernspieler Lahm. Er freue sich fast schon unbändig auf den Auftritt im Luschniki-Stadion, "einfach weil es ein Topspiel ist, da kann man zeigen, was man drauf hat."
Löw lobte Lahm für seine kernigen Worte. Er sei ein "absoluter Führungsspieler". Der Außenverteidiger, der sowohl auf links als auch auf rechts spielen kann, sei "sehr klar im Kopf". Löw braucht am Samstag den "Kern" des Teams, denn drum herum um den Kern gibts ein paar Probleme. In den Vereinen läuft es für einige nicht so gut. Das betrifft etwa Hitzlsperger, Friedrich oder Podolski. Diese Spieler müssten halt "den Alltag in der Bundesliga hinter sich lassen", riet Lahm. "Es tut doch gut, wenn man mal wegkommt vom Vereinsfußball", raus aus dem eher tristen Grau, das derzeit die Hertha und den VfB Stuttgart einfärbt.
Löw rechnet mit einem hochklassigen Match. Andrej Arschawin, der Profi des FC Arsenal, gilt der deutschen Defensive als größter Störenfried. Doch über Arschawins Ausflüge wollte Löw nicht groß nachdenken, wichtiger sei, "dass wir den schnellen russischen Kontern aus dem Weg gehen", dass die Defensive kompakt stehe und der Ball "schnell nach vorne" gebracht werde. Die Deutschen wollen sich also nicht den Rhythmus vom Gastgeber diktieren lassen. Warum auch? Die DFB-Elf hat in der Qualifikation 22 von möglichen 24 Punkten geholt, unter Löws Ägide hat das Team 30-mal gewonnen und nur 6-mal verloren. Etwas Unsicherheit bleibt dennoch. "Wenn einige von uns nur auf 90 Prozent ihrer Leistungsfähigkeit kommen", sagte Löw, "dann werden wir sehen, dass die Russen brandgefährlich sein werden."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!