piwik no script img

WIR LASSEN LESENTraum vom fairen Kapitalismus

Jens Berger: „Der Kick des Geldes oder: Wie unser Fußball verkauft wird“. Frankfurt am Main 2015: Westend-Verlag, 256 Seiten, 17,90

Muss denn ein Buch, das sich einer – längst überfälligen und deswegen gern zur Lektüre vorgenommenen – politökonomischen Kritik des Fußballs widmet, gleich mit dem übelsten Kitsch beginnen? Der Autor Jens Berger jedenfalls tut es: „Welcher Fußballfan erinnert sich nicht mit Tränen in den Augen an den großen Moment, als er zum ersten Mal als kleiner Junge die Treppe zur Tribüne eines Bundesligastadions erklommen hatte und nun inmitten einer singenden und emotional aufgeheizten Menge von mehreren zehntausend Gleichgesinnten den Rasen erblickte, der für uns die Welt bedeutet?“ Und: Nein, dieser Kitsch tut dem Buch nicht gut.

Was Berger, der als Redakteur bei den Nachdenkseiten arbeitet und auch Kolumnist der taz ist, nämlich vorlegt, ist eine oft fulminante und faktenreiche Darstellung des Profifußballs. Es geht um Investitionsstrategien von Oligarchen, anderen Milliardären und vermeintlich seriös geführten Klubs. Es geht um die Gehälter und Ablösesummen. Berger argumentiert, dass die nur scheinbar zu hoch sind, bei genauerem Blick auf die Summen, mit denen jongliert wird, aber völlig okay. Berufsfußballer sind nicht per se ökonomische Gewinner. Ein Viertel der Profis landet später bei Hartz IV, keine andere Berufsgruppe verzeichnet derart viele Privatinsolvenzen.

Berger beschreibt die Bedeutung von Adidas, Nike und anderen Ausrüstern sowie die enorme Bedeutung, die Fernsehsendern und den von ihnen gezahlten Übertragungsrechten mittlerweile zukommt. Und es geht in „Der Kick des Geldes“ um die Rolle des Staates, der ob der gesellschaftlichen Bedeutung des Sports gern die Klubs subventioniert – etwa durch Sta­dion­bauten oder Bürgschaften.

Ertragreich zu lesen ist auch Bergers Darstellung der Verbände, namentlich des DFB. Er schildert die Machtverschiebung innerhalb des größten Fachverbandes der Welt von den gefürchteten und verspotteten Amateurfunktionären hin zu den effizient geführten Profiklubs – spätestens seit Gründung der DFL 2001. Deutlich wird auch, wie das DFB-Nationalteam in ökonomische Konkurrenz zu den Klubs tritt.

Nicht ganz so ertragreich sind Bergers Betrachtungen zu den sehr aktuellen Themen – der WM-Vergabe und der Fifa. Hier trägt Berger wohlfeile Argumente vor, dass Katar doch keine Fußballtradition habe und alle nur mit Geld überschüttet habe. Diese populistische Betrachtung wirkt sich – leider – auch auf das Schlusskapitel aus: die Überlegungen, wie Fans sich den Fußball zurückholen könnten. Da wird dann ein „fairer Ausgleich zwischen kommer­ziel­len und gesellschaftlichen Interessen, zwischen den Interessen der Investoren, Sponsoren und Ausrüster und den Interessen der Fans“ gefordert.

Schön wär’s ja, aber hat nicht der Autor, der dies fordert, im Hauptteil seines Buches nachgewiesen, warum es diesen fairen Ausgleich nicht gibt? Weil nämlich der Fußball eine Ware ist, die von Konzernen verwertet wird?

Diese bei allem Materialreichtum des Buches romantische Sicht auf den Fußball produziert noch eine andere Schwachstelle: Uneingestanden will Berger den Weltsport Fußball unbedingt in Europa halten. Wenn es etwa um die von den Profiklubs beabsichtigte Erschließung der asia­tischen Märkte geht, fällt ihm nur ein, wie gemein es wäre, wenn ein Bundesligaspiel schon um 12 Uhr mittags beginnen würde: „Sollen die Chinesen die Spiele doch zeitversetzt gucken“, notiert er im Stammtischjargon.

Unterm Strich: Endlich liegt eine materialreiche und lesenswerte Darstellung der aktuellen Fußballindustrie vor, die aber leider analytisch doch starke und ärgerliche Schwächen aufweist. Martin Krauss

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen