WEGEN AKTENKLAU IM KANZLERAMT SOLL ERMITTELT WERDEN: Eine neue Protestform
Wilhelm Hennis, emeritierter Politikwissenschaftler, ein aufgeklärter Konservativer, hatte im Frühjahr dieses Jahres einen ebenso einfachen wie glänzenden Einfall. Er forderte in der Zeit dazu auf, beim Kölner Generalstaatsanwalt massenhaft Beschwerde einzulegen. Der Protest der BürgerInnen sollte sich erstens gegen die Einstellung des Strafverfahrens gegen Bundeskanzler a. D. Kohl wg. Untreue (Spendenaffäre) richten sowie zweitens die Absicht der gleichen Staatsanwaltschaft durchkreuzen, wg. Datenlöschung und Aktenschwunds anlässlich der Übergabe des Kanzleramts von Kohl an Schröder gar nicht erst zu ermitteln. Über 11.000 Bürger schlossen sich der Beschwerde des Professors an.
Dass diese durchaus neue Protestform gestern in ihrem zweiten Teil, die allzu gründliche Säuberung des Kanzleramts betreffend, Erfolg hatte, ist zwar nur ein Teilsieg, aber politisch bedeutsam und folgenreich. Die Kölner Generale bescheinigten den Bonner Kollegen, dass im Fall der verdächtigen leitenden Beamten des Kanzleramts „weitere Erhebungen angezeigt gewesen seien“. Eine Ohrfeige, verabreicht mit juristischen Samthandschuhen.
Hennis hatte klar gemacht, dass das im Grundgesetz befestigte Petitionsrecht für alle Behörden gilt – und nicht nur, wie oft angenommen, fürs Parlament. Damit hatte er die Schleusen einer Einmischung „von unten“ geöffnet. Von illegitimem Druck auf die dritte Gewalt kann keine Rede sein. Denn die Staatsanwaltschaft ist sowohl Bestandteil der Judikative wie der Exekutive. Als Justizorgan unterliegt sie „internen“ Weisungen der Generalstaatsanwaltschaft. Als Instrument der Exekutive denen des jeweiligen Justizministers, die freilich in der Verpflichtung der Staatsanwälte ihre Grenze findet, in gesetzlich vorgeschriebener Weise zu ermitteln – also in dem Legalitätsprinzip. Es unterliegt kaum einem Zweifel, dass Aktenklau und Datenvernichtung den Tatbestand der Urkundenvernichtung erfüllen. Hier hätte eine Ermittlungspflicht bestanden, die „interne“ Weisung hätte nach der Einstellung prompt erfolgen müssen. Tat sie aber nicht. Also haben die 11.000 Bürger die Sache in die Hand genommen.
Die Bonner Staatsanwälte hatten mit Kohl gedealt, statt gegen ihn zu ermitteln – eine Praxis, die Wilhelm Hennis nicht zu Unrecht als „ausbaldowern“ bezeichnet hat. Kohl ist jetzt bedauerlicherweise – vorläufig – aus dem Schneider. Aber gegen Kohls Spitzenbeamte aus dem Kanzleramt werden die Bonner jetzt tätig werden müssen. Es gibt sie doch: die Demokratie in Aktion. CHRISTIAN SEMLER
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