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WARUM DIE INTERNET-ÖKONOMIE NEUERDINGS ALTMODISCH WIRKTDie Ex und Pop Economy

Bei den heißen Szenebräuten hatten sie vor 25 Jahren in West-Berlin keine Chance: Die sogenannten B-B-B-B-Studenten: Bier, Bart, Brille- und Betriebswirtschaft. Wirtschaft! Igitt! Der Wirtschaftsstudent galt als langweilig, materialistisch, unromantisch und in höchstem Maße unsexy. Angesagte Jungs hingegen machten kritische Filme oder redeten zumindest davon, hoben eine Off-Off-Theatergruppe aus der Taufe oder machten sonstwas Politisch-Kulturelles. Bewusstheit! Stil! Kultur! Das zählte im Leben.

Es ist auch heute noch so. Nur anders als gedacht. Jetzt stellt sich heraus, dass die wahre (Pop)Kultur die Wirtschaft ist.

Das war allerdings selbst den Akteuren lange nicht klar: Mit dem Aufstieg der Neuen Ökonomie schien die Wirtschaft alles zu beherrschen. Die neuen Helden in diesem Jahr wirkten so ziemlich wie das Gegenteil der alten. Die neuen Helden trugen Anzug und beschäftigten sich mit Business-Plänen, waren Broker an der Börse oder bastelten Internet-Auftritte, was ja oftmals nichts anderes als Werbung ist, nur halt über das Netz verbreitet. Die neuen Helden erklärten, dass erst eine 70-Stunden-Woche high macht, weil man durch den Adrenalinstrom nicht mehr zu anderen Drogen greifen muss. Die neuen Helden besaßen als Start-Up-Gründer Aktienpakete, die plötzlich auf dem Papier Millionen wert waren. Ein technologieorientiertes Unternehmen in der Privatwirtschaft zu gründen, galt als Gipfel des Nonkonformismus. Die Wirtschaft schien die Gesellschaft endgültig zu durchdringen: Alltag, Netzwerk, Lebensstil.

Heute zeigt sich, dass alles ganz anders war: Die Informationswirtschaft und deren Börsendynamik sind vor allem eine Erwartungsökonomie, also ein kulturelles, weniger ein wirtschaftliches Phänomen. Diese Umkehrung war das eigentlich Bedeutsame. Das zeigt sich jetzt, wo die Börsenkurse abstürzen und die Internetfirmen plötzlich in Presse, Funk und Fernsehen kritisch beleuchtet werden. Die Medien funktionieren dabei wie die Börsenkurse: Geht es erst einmal abwärts, brettern alle hinterher.

„Is the New Economy Dead?“ fragte das Time-Magazine im Oktober. „What the Internet Cannot Do“ hatte der Economist schon im August gemahnt. Die neoliberale Wirtschaftswoche, sonst eine Art PR-Blatt für Startups, gibt sich heute altväterlich besorgt über die IT-Jungunternehmer: „Viel Geld verbrannt. Steiler Aufstieg- tiefer Fall“. Tja, wer hätte das gedacht. Der Spiegel, der monatelang die Jungunternehmer gefeiert hatte, hängt im üblichen Spiegel-Opportunismus das Fähnchen nach dem Wind: „Sehnsucht nach dem Festgehalt“ heißt ein Titel zum Katzenjammer in der New Economy. Da werden sich die Gewerkschaften freuen.

Dabei hatten neue Börsenmagazine noch im Frühjahr und Sommer für den Kleinanleger die passende Begleitmusik geliefert zu den Berichten über gelfrisierte Jungunternehmer. „Renner für Ihr Depot“, „Die neuen Hits“, „Jeder kann Millionär werden“ versprachen die bunten Geldblätter. Je mehr Kleinanleger an die Börse strömten, desto höher stiegen die Aktienkurse, auch wenn die Unternehmen der Neuen Technologien noch keine müde Mark Gewinn gemacht hatten. Doch im Herbst dieses Jahres war es mit der Euphorie vorbei. Die Titel am Neuen Markt verloren rapide an Wert, die Gewinnwarnungen oder gar ersten Pleiten von Internetfirmen sorgten für Ernüchterung. Mit der Erwartungsökonomie ist es fürs erste vorbei. Jungunternehmer haben Probleme, frisches Geld von Investoren zu bekommen. Die Heilslehre von der Neuen Ökonomie verschwindet möglicherweise bald im schwarzen Loch des gesellschaftlichen Bewußtseins.

Wohl gemerkt: Die Informationstechnik wird dabei weiter expandieren und der Anteil der Beschäftigten in der IT-Branche wird über die derzeit fünf Prozent aller Erwerbstätigen hinauswachsen. Doch die Hochstapelei, die so typisch war für die Popkultur der Neuen Ökonomie, hat mit diesen bescheidenen Zahlen wenig zu tun. Die Konstruktion der „Neuen Ökonomie“, die Erfindung dieses Begriffs war vielmehr immer auch ein Spiel, ein Gebilde im Hirn. Das Spiel sollte die Botschaft bringen: Wirtschaft ist nicht so ernst, eher lustig. Jeder kann mitmachen. Oder zumindest zusehen. Und darf jetzt angesichts der Abstürze und Pleiten ein bißchen schadenfroh sein. Auch das integriert.

BARBARA DRIBBUSCH

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