WARUM DER PROZESS IN MADRID KEINE IMMIGRATIONSDEBATTE AUSLÖST: Spanien hat Erfahrung mit dem Terror
Mit dem Gerichtsverfahren gegen die Drahtzieher der Bomben-Anschläge auf die Pendlerzüge vom 11. März 2004 arbeitet Spanien derzeit die schlimmste Tragödie seit dem Bürgerkrieg in den 30er-Jahren auf. Der Prozess wird live im Fernsehen übertragen, fast alle Tageszeitungen bringen täglich mehrere Seiten zum Thema. Doch während in Großbritannien nach den Bomben in der Londoner U-Bahn und in Holland nach dem Mord an dem Regisseur Theo van Gogh die Immigrationspolitik zum Thema wurde, bleibt dies in Spanien aus.
Dafür gibt es viele Gründe. Spanien, einst selbst Auswanderungsland, mag sensibler im Umgang mit Ausländern sein. Angesichts langer Erfahrungen mit dem ETA-Terror wissen die Menschen zudem sehr wohl zu unterscheiden zwischen Terroristen und normalen muslimischen Einwanderern. Deshalb kam es bisher zu keinen offenen Feindseligkeiten – auch wenn sich viele, vor allem marokkanische Immigranten beklagen, dass es seit dem 11. März schwieriger geworden sei, Arbeit und Wohnung zu finden.
Auf politischer Ebene sorgte das Thema ebenfalls nicht für Debatten. Spanien braucht wie kein anderes Land eine unregulierte Einwanderung: Denn ohne illegale Immigranten würden die Landwirtschaft und das Bauwesen, zwei Eckpfeiler der spanischen Wirtschaft, kaum funktionieren.
Dennoch haben die Bomben von Madrid der spanischen Demokratie einen irreparablen Schaden zugefügt. Drei Tage nach der Tragödie verlor die konservative Volkspartei überraschend die Wahlen. Seither ist das innenpolitische Klima vergiftet. Bis heute erkennen die Konservativen die neue, sozialistische Regierung deshalb nicht als legitim an. Regierung und Opposition reden nicht einmal mehr miteinander, von gemeinsamen Projekten ganz zu schweigen.
Dieses vergiftete Klima verhindert jede grundlegende Debatte, die Spanien sicher brauchen könnte. Denn so mancher derer, die jetzt auf der Anklagebank sitzen, lebte seit Jahren im Land. Somit haben die Anschläge auch etwas mit der Einwanderungspolitik zu tun. REINER WANDLER
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