WAHLEN IN RUMÄNIEN: EXKOMMUNIST GEWINNT GEGEN BALKANFASCHISTEN: Die Verantwortung des Westens
Rumänien ist ein gescheitertes Land am Rande Europas. In dem grobkörnigen Muster seiner westlichen Wahrnehmung, zusammengesetzt aus prickelnden Schauermärchen von Dracula und Ceaușescu, schrecklich wahren Bildern von Straßen- und Heimkindern, von Elend und Verwahrlosung, fehlte nur noch das: Ein obskurer Balkanfaschist erzielt eines der besten Wahlergebnisse, die es in Nachkriegseuropa für jemanden seiner Art je gegeben hat. Nur der Schulterschluss der Demokraten sorgte dafür, dass Corneliu Vadim Tudor von der Partei Groß-Rumänien bei den Stichwahlen vom vergangenen Sonntag nicht an die Macht gekommen ist. Ist diesem Land noch zu helfen?
Elf Jahre hat Rumänien nach dem Sturz des Diktators Ceaușescu Zeit gehabt. Ein Großteil der Bevölkerung lebt in bitterer Armut – weit jenseits dessen, was den Menschen im Rahmen eines Systemwandels zumutbar ist. Die postkommunistische politische Elite hat daran überhaupt nichts geändert. Stattdessen bietet sie ein trauriges Bild von Verantwortungslosigkeit und Zynismus. Korruption und organisierte Kriminalität haben sich ausgebreitet, der Staat ist in vielen Bereichen der Gesellschaft als Autorität nicht mehr präsent.
Zweifellos sind das die wesentlichen Ursachen für den Aufstieg der faschistoiden Nationalisten, die Rumänien irgendwann mit „eisernem Besen und Maschinengewehr“ regieren wollen und die vorerst über ein Viertel der Parlamentssitze verfügen. Doch an ihrem Wahlerfolg hat auch der Westen seinen Anteil – mindestens mit einigen Prozentpunkten. Denn die westeuropäische Politik gegenüber Rumänien hat dort eine große Enttäuschung hinterlassen.
Dass der deutsche Innenminister sich ausgerechnet jetzt gegen eine Abschaffung der Visapflicht für Rumänen ausspricht, ist nur ein weiterer Tropfen im vollen Fass der Demütigungen. Vor und in den Botschaften und Konsulaten westlicher Länder werden die Menschen, die um Visa ersuchen, wie Aussätzige behandelt. Gerade auch bei deutschen Visastellen herrschen entwürdigende Zustände, so entwürdigend, dass sie bisweilen in wüsten Rangeleien und Gewalttätigkeiten seitens der Bittsteller enden.
Viele westliche Politiker treten in Rumänien desinteressiert und arrogant auf, ihre Ahnungslosigkeit ist peinlich und beleidigend. Nach der Bergarbeiterrevolte vor zwei Jahren, die Rumänien an den Rand des Ausnahmezustandes brachte, versprachen westliche Politiker mehr Hilfe. Sie kam aber nicht. Im Kosovokrieg stellte sich Rumänien auf die Seite der Nato – und damit gegen die Bevölkerungsmehrheit im eigenen Land. Doch der Stabilitätspakt erschöpft sich bisher weit gehend in großzügigen Versprechungen.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank erheben für Kredite teils Bedingungen, die Rumänien zu erfüllen nicht in der Lage ist. Zugegeben: Vertreter westlicher Institutionen fühlen sich oft berechtigterweise an den Rand der Verzweiflung getrieben, weil es über die Maßen schwer ist, mit Rumänien zusammenzuarbeiten und im Staats-, Verwaltungs- und Behördenchaos etwas zu erreichen. Doch das darf kein Grund sein, Rumänien aufzugeben.
Dass die Rumänen am Sonntag in der Stichwahl um das Amt des Staatspräsidenten doch nicht den Faschisten Corneliu Vadim Tudor gewählt haben, ist ein Zeichen dafür, dass eine relative, aber entschlossene Mehrheit im Land weiterhin an Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und einer Integration in die europäischen Strukturen festhält. Die zukünftige rumänische Demokratie wird nicht frei von Makeln, wird, wie bisher, oft genug jämmerlich und voller schmutziger Flecken sein.
Eine Aufarbeitung der Vergangenheit wird es unter dem exkommunistischen Wahlsieger Ion Iliescu nicht geben – sie ist ohnehin in den letzten vier Jahren gescheitert und stößt kaum auf Interesse bei den Menschen. Korruption und organisierte Kriminalität werden vielleicht eingedämmt, nicht aber beseitigt werden. Und wenn die neuen Machthaber ihr Versprechen, die extreme Armut zu beseitigen, nur halb einhalten, ist schon viel geleistet. Rumänien dabei nun weiterhin mit falschen Versprechungen abzuspeisen, hieße, es mit Problemen allein zu lassen, die es nicht selbst bewältigen kann. Und letztlich: den rumänischen Faschisten den Weg in den kommenden Jahren noch mehr zu ebnen. KENO VERSECK
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