Vulkanausbruch auf Island: Wie es sich in der Evakuierung lebt
Vor sechs Wochen mussten die Menschen die Stadt Grindavík verlassen. Es hat sie überrascht. Nun schießt Lava aus einem Krater.

„Ich muss mich an den verrückten Verkehr in Reykjaví k gewöhnen. melde mich wenn ich geparkt habe“, sagt Sólny Pálsdóttir zu Beginn des Gesprächs. Die Fotografin und Mutter von fünf Söhnen gehört zu den rund 3.600 Einwohnern der isländischen Hafenstadt Grindavík [6642923] , unter der ein Vulkan rumort. In der Nacht vom 10. auf den 11. November muss sie ihre Häuser verlassen, weil die Gefahr, dass Lava in der Stadt an die Oberfläche kommt, zu groß war. Jetzt leben sie und ihre beiden jüngsten Söhne vorübergehend in der Hauptstadt. Sie weiß nicht, ob und wann sie nach Hause zurückkehren kann. Ein Protokoll
„Die Erde bewegte sich. Es klang, als käme da ein großes Tier. Am 10. November 2023 gegen 18 Uhr begann ich zu packen, mein Sohn mit Downsyndrom hatte große Angst. Die Hauptstraße in Grindavík war bereits beschädigt, wir mussten sie umfahren. Ich verließ die Stadt Stunden vor der offiziellen Evakuierung, die gegen 22.30 Uhr angekündigt wurde.
Zum Glück war es Freitag. Viele Menschen haben schon tagsüber die Stadt verlassen. Wir nennen das „Erdbebenferien“. Wenn man vier Jahre lang damit lebt, dass die Erde unter einem bebt, braucht man Pausen.
Als es damals im März 2021 zu einem Ausbruch in der Nähe des Fagradalsfjall kam, war ich froh, als die Lava etwa zehn Kilometer von Grindavík entfernt aus dem Boden sickerte. Ich konnte es von meinem Balkon aus sehen. Nachdem die Lava an die Oberfläche trat, gab es weniger Erdbeben. Ich fühlte mich erleichtert. Ist es nicht unglaublich, dass man erleichtert ist, weil man einen Vulkan vor der eigenen Haustür hat?
Überraschend evakuiert
Am Abend des 18. Dezember 2023 ist es so weit: „Warnung: Die Eruption hat nördlich von Grindavik bei Hagafell begonnen“, teilte das Meteorologische Amt des Landes auf seiner Website mit. Livestreams von Nachrichtenagenturen zeigten Lavamassen, die aus einer langen Erdspalte quellen. Der Riss in der Erdoberfläche sei etwa 3,5 Kilometer lang und vergrößere sich schnell, teilte das Amt mit. Der internationale Flughafen in Reykjavik blieb geöffnet.
Etwa 100 bis 200 Kubikmeter Lava strömten pro Sekunde aus, ein Vielfaches mehr als bei früheren Eruptionen in der Region, sagte die isländische Seismologin Kristin Jonsdottir. In den vergangenen zwei Monaten hatte es in der Region Tausende von Erdbeben gegeben. Aus Angst vor einem Ausbruch auf der Halbinsel Reykjanes hatten die Behörden bereits im vergangenen Monat die knapp 4.000 Einwohner des Fischerdorfes Grindavik evakuiert und auch das bei Touristen beliebte Geothermalbad Blue Lagoon geschlossen. (rtr)
Wir wussten, dass die Lava 2023 vielleicht nicht an einer so guten Stelle wie 2021 aufsteigen würde. Doch als die Wissenschaftler sagten, dass möglicherweise eine Evakuierung bevorsteht, war das überraschend.
Ich brachte Fotoalben in mein Sommerhaus, wo mein älterer Sohn vorübergehend mit seiner schwangeren Frau wohnt. Sie haben Grindavík schon früher verlassen. Eine Stadt, in der die Erde ständig bebt, ist keine sichere Umgebung für schwangere Frauen.
Dorthin fuhr ich also am Abend des 10. November und blieb eine Nacht. Dann meldete sich meine Schwägerin und bot mir eine Wohnung in Reykjavík für mich und meine jüngsten zwei Söhne an. Das Schöne an der ganzen Situation? Zu sehen, wie die Menschen in Island zusammenhalten, wenn etwas passiert.
Am Montag nach der Evakuierung durfte ich für 15 Minuten in mein Haus – mit drei Rettungskräften und einem Helm. Anfangs durfte nur eine Person pro Haushalt hinein. Mein Schwiegervater war Schriftsteller und schenkte allen meinen Söhnen zur Geburt und mir und meinem Mann zur Hochzeit handgeschriebene Gedichte. Die habe ich in Sicherheit gebracht. Die meisten Menschen haben nur Erinnerungen aus ihren Häusern mitgenommen.
Schutz der Blauen Lagune
Die Behörden begannen nach der Evakuierung mit dem Bau eines Schutzwalls, da die Blaue Lagune und das Kraftwerk in Svartsengi in unmittelbarer Nähe liegen.
Sólny Pálsdóttir, Bewohnerin von Grindavík
Die meisten verstehen nicht, dass Erdbeben ein Teil unseres Lebens sind. Für Menschen außerhalb von Grindavík ist „3,1“ nur eine Zahl in den Nachrichten. Für uns ist es das, was unser Haus schüttelt. Seit Anfang 2020 scheint es, als ob die Erde in der Reykjanes-Region lebendig geworden ist. Die Erde bebt ein paar Tage, dann hört es auf. Man ist immer in einem Kampf- oder Fluchtmodus.
In den zwei Wochen vor der Evakuierung bebte es nachts oft. Die Leute haben nicht geschlafen. Eine meiner Freundinnen hat ihr Haus zum Verkauf angeboten, weil sie es nicht mehr aushielt.
Vorübergehend bleibe ich in Reykjavík. Ich hoffe, dass wir in ein paar Monaten nach Hause können. Die meisten der Kinder, die in Grindavík zusammen zur Schule gegangen sind, besuchen nun gemeinsam eine Schule in Reykjavík. Damit wurden nach den Vulkanausbrüchen von 1973 auf den Westmännerinseln gute Erfahrungen gemacht. Es ist wichtig, die Kinder zusammenzuhalten. Denn niemand außer ihnen kann ihre Erlebnisse verstehen. Bleiben sie danach zusammen, können sie sich darüber austauschen.
Ich habe Glück, denn ich weiß, wo wir Weihnachten feiern werden. Ich habe eine große Familie und ein Freund hat uns sein Sommerhaus geliehen.
Das Schwierigste? Wir wissen nicht, was passieren wird. Wenn man wüsste, dass man nie wieder nach Hause kann, könnte man die Situation verarbeiten und akzeptieren. Wir sind hingegen noch mittendrin im Geschehen. Niemand kann die Natur kontrollieren.“
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!