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Vox-Doku über DDR-FrauenknastDas Gesetz von Hoheneck

Der Privatsender Vox sendet die Dokumentation "Unter Verschluss - Die geheimen Schicksale der DDR-Frauen". Die Tochter einer ehemaligen Insassin blickt hinter die Kulissen.

Eingesperrt in Hoheneck. Bild: Allie Caulfield - Lizenz: CC-BY

Die Kerzen auf den Leipziger Montagsdemonstrationen, die Tänzer auf der Mauer, ein stammelnder Schabowski und immer wieder Genscher, vor Freude niedergebrüllt in Prag. Gibt es denn noch wirklich Neues zu berichten, aus diesem längst verschwundenen Land?

Auf diese Frage hat nun ausgerechnet Vox eine ziemlich überraschende Antwort gefunden. Diesen Samstag im ersten Teil der "Großen Samstagsdokumentation" von Spiegel TV laufen 90 Minuten über das DDR-Frauengefängnis Hoheneck, während die anderen "Spiderman", "Musikantenstadel" und "Supertalent" zeigen.

Es geht um einen Knast, den es offiziell gar nicht gab, weil Schwerkriminalität per se im realexistierenden Sozialismus nicht vorkam. In dem politische Häftlinge – darunter auch meine Mutter - aus "Erziehungsgründen" gezielt mit Mörderinnen oder auch auch KZ-Aufseherinnen in chronisch überbelegte Zellen gesperrt wurden. In dem Zwangsarbeit für den BRD-Export den Alltag bestimmte, und wo es bis in die 70er Jahre noch Wasserzellen gab – Isolations-Zellen, in denen Frauen im kalten Wasser stehen mussten.

Dörte Franke

geboren 1974 in Leipzig, ist Schriftstellerin und Filmemacherin ("Stolpersteine") in Berlin. Während der Haft ihrer Mutter in Hoheneck lebte sie bei ihren Großeltern. 1982 konnte sie mit ihrer Mutter in die BRD ausreisen. Über die Geschichte ihrer Familie hat sie den Roman "denkmalimkopf" (2002, dtv) geschrieben.

Was das für die Machart der Dokumentation bedeutet, ist klar. Die Quote immer fest im Blick, gilt es mit möglichst spektakulär ausgeschlachteten Schicksalen die Spannung über den nächsten Werbeblock zu halten. Wer sich also "Unter Verschluss – Die geheimen Schicksale der DDR-Frauen" ansieht, der sollte nicht zimperlich sein. Und trotzdem sollte man es tun. Denn hier wird tatsächlich etwas gezeigt, das nicht nur im Privatfernsehen – noch dazu um 20.15 Uhr – eine Ausnahme ist.

Auch wenn der Auftakt dieser Dokumentation über die Geschmackgrenze hinaus reißerisch ist: Man erfährt Geschichten, die noch lange haften bleiben. Zum Beispiel die der Kindsmörderinnen, die 1990 noch inhaftiert sind, während draußen die DDR gerade aufhört zu existieren. Archiv-Material zeigt grell geschminkte Frauen, die sich nach über zehn Jahren Haft versuchen, zu erinnern: ob der kleine Sohn damals im Suff aus der Hand geglitten ist oder eben doch nicht. Die von der Volkspolizei zurück nach Hause zum prügelnden Ehemann geschickt wurden, immer wieder, weil so etwas in der DDR Privatsache war.

Diverse Selbstmordversuche, das haben die meisten miteinander gemeinsam, bis "es dann passiert ist" und sie in Hoheneck weggesperrt werden. Hier nähten sie dann im Dreischicht-System Bettwäsche für Quelle oder Strumpfhosen für Aldi. Therapien gab es nicht für Fälle, die aus der Kriminalstatistik der DDR gelöscht wurden.

Eva-Maria Neumann, Manuela Polaszcyk, Angelika Kanitz und Ute Gesche haben während ihrer Haftzeit auf engstem Raum mit solchen "Langstraferinnen" gelebt. Die vier Frauen, die im Vordergrund der Dokumentation stehen, kommen aus anderen Lebensumständen: Sie wurden inhaftiert, weil ihre Fluchtversuche gescheitert waren oder sie Reisefreiheit auf einem Flugblatt gefordert hatten. Kriminelle also, die ja nunmal gegen das in der DDR gültige Gesetz verstoßen haben, wie es eine der Gefängniswärterinnen pragmatisch auf den Punkt bringt.

In Hoheneck wurden sie dann auch genau so behandelt und standen doch innerhalb der Zellen-Hierarchie auf der untersten Ebene. Wie schwer es war, sich in dieser völlig fremden Welt zu behaupten weiß ich von meiner Mutter. Sie war Ende der 1970er Jahre ebenfalls aus politischen Gründen für zwei Jahre in Hoheneck inhaftiert. Auch sie hat in einer Zelle mit Mörderinnen und KZ-Aufseherinnen gelebt. Manche waren seit zwanzig oder dreißig Jahren dort – und haben sie zum Teil vor den Wächterinnen beschützt, weil sie meine Mutter mochten, weil die ihnen zugehört hat.

Absurderweise waren diese Frauen ausgerechnet vor meiner Mutter gewarnt worden. Sie war wegen eines Flugblattes und dem Besitz einiger in der DDR verbotener Bücher in Hoheneck gelandet, weshalb man bis in die Zellen hinein Angst vor ihren "politischen Parolen" hatte.

Dass in diesem Frauenknast ganz eigene, mitunter wohl ziemlich harte, Gesetze galten konnte ich mir gerade noch vorstellen. Wie man gerade in einer solchen Situation einen neuen, ja milderen Blickwinkel auf diese "Langstrafer" entwickeln kann, das war mir bisher immer ein Rätsel. Für mich waren all diese mörderischen Frauen einfach nur das Gegenteil meiner Mutter, die schliesslich nicht einmal jemanden verletzt hatte. Meine Mutter sagt aber, dass Hoheneck ihre Einstellung zum Menschen an sich ganz grundsätzlich verändert hat.

Das sagen auch die vier Frauen in der Doku – und teilen ihr Leben heute in ein "vor" und ein "nach Hoheneck" ein. Sie alle haben dort offenbar einen anderen Blick gelernt, sogar auf die, die sie bewacht und oft gedemütigt haben – auf die Aufseherinnen. Die Aufseherinnen waren Frauen, die zum Teil aus Kinderheimen geholt und eigens für diese Aufgabe ideologisiert und verbogen wurden. Manchmal wurden sie auch direkt aus Familien rekrutiert, von denen schon jemand in Hoheneck arbeitete – dann waren gleich zwei Generationen in der alten Festung als Wärterinnen beschäftigt.

Dass in "Unter Verschluss" drei dieser "Erzieherinnen", wie sie in Hoheneck genannt werden mussten, zu Wort kommen, dass sie überhaupt etwas sagen und wie sie es dann tun, gehört zum Spannendsten des Films.

Denn man hört bis heute wenig von denen, die in der DDR einfach nur Befehlsempfänger waren – und noch seltener etwas Reflektiertes. Die meisten reklamieren vollständige Neutralität für sich und das, was sie damals zu tun gezwungen waren. Und die obersten Hierarchen – siehe die allgegenwärtigen Dokus zum Mauerfall – spielen sowieso heute eher die Rolle des sachverständigen Zeitzeugen. Hier jedoch reden drei dieser Befehlsempfänger offen über ihr Verständnis von der eigenen Verantwortung. Und finden dafür ganz unterschiedliche, ziemlich interessante Erklärungen.

Eine sagt, dass sie natürlich damals ihre Befehle nicht hinterfragt habe. Schliesslich sei man Teil einer militärischen Einheit gewesen. Man musste die Inhaftierten natürlich manchmal fixieren, da unten im Keller, in den Isolationszellen des verschärften Arrestes. Zu ihrem eigenen Schutz, weil die "so ein Theater" gemacht hätten. Aber man war dann auch froh, sagt eine Andere, dass sie noch lebten, wenn man zur Kontrolle kam. Worte, die gerade durch ihre noch heute zum Teil so selbstbewusste, sorglose Haltung sehr viel erzählen.

Und dann spricht eine Dritte, aufgenommen 1990, die noch ihre Uniform trägt, mit Schulterklappen. Der man jetzt alles zutraut. Nur nicht die nachdenkliche Offenheit, mit der sie zu bedenken gibt, dass all diese Kindsmörderinnen von einem Staat alleingelassen wurden, der gesellschaftliche Mißstände verdecken wollte. "Niemand wird als Mörder geboren" sagt die Frau. Und dass Hoheneck in der DDR genau deshalb offiziell nicht existieren durfte. In solchen Momenten wird klar, warum der Frauenknast damals eine Black Box war, in diesem Land mit seinem bis heute noch gepriesenen Sozialsystem.

Nicht ganz so klar ist, warum solch ein Thema bei den Sendern, die de facto einen Bildungsauftrag haben, bisher kaum oder gar nicht vorkam. Nun wurde es auf diese Weise von einem Privatsender entdeckt und ja, der hat es auf streckenweise ärgerlich unterfordernde Weise aufbereitet. Deshalb müssen hier alle Fluchtgeschichten natürlich nochmal nachgestellt und die ohnehin zum Teil erschütternden Berichte mit dramatisierender Musik zugekleistert werden. Das ist nicht schön, aber es lohnt sich eben doch.

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7 Kommentare

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  • S
    Statist

    Hatte erst heute Gelegenheit diese beeindruckende Doku zu sehen. Sie zeigt in Interviews das Schicksal von einfachen DDR-Bürgerinnen, welche in ihrer Heimat mit Schwerkriminellen behandelt wurden. Nur der Wunsch nach Freiheit war ihr Vergehen. Sie haben gelitten und sie sind heute noch tapfer. Sie sind die Heldeninnen, denen es gebührt hätte, wenn sie schon nicht, wie viele zu Unrecht, mit Orden bedacht werden, daß man ihr Schicksal als Mahnung betrachtet, nie wieder ein sozialistisches System in Deutschland zuzulassen, egal ob rot, braun oder rosa.

    In "Der Spiegel" dieser Woche wird ein Schicksal aus Hoheneck, noch einmal genauer betrachtet und wenn man genauer liesst, bemerkt man, das "Wir sind das Volk" auch wirklich aus dem Volk kam.

  • AL
    Alex Latotzky

    Liebe Frau Bohnstedt,

    ist Ihnen denn nicht aufgefallen, dass der Beitrag von Imm nichts anderes ist als eine Aufreihung von Plattitüden. Da ist kein einziges Argument zum Thema. Viel lieber wird Uwe Steimle zitiert, aber auch nicht zum Thema, dessen Eltern nicht nur Mitglied in der SED, sondern auch bei der Stasi waren. Da kann man doch schon von einer systemkonformen Erziehung ausgehen und Herr Steimle tut zudem auch alles, um das unter Beweis zu stellen.

    Ich bin inzwischen dazu übergegangen, Schreiber wie Imm zu ignorieren, weil es sinnlos ist. Sie sind jedem sachlichen Argument gegenüber resistent und wollen eigentlich nur provozieren.

     

    Nebenbei, als im Bautzener Knast geborener, und noch sächsischer kann man nun wirklich nicht sein, ist Stemle für mich eine Beleidigung für jeden wahren Sachsen, aber das ist schon wieder ein anderes Thema.

  • AB
    Astrid Bohnstedt

    der letzte Eintrag von "Imm" zeigt unmißverständlich, dass immernoch nicht genug über die Greultaten des SED-UNrecht-und Gewaltstaates berichtet wird. Ein paar Monate unschuldig eingekerkert auf Burg Hoheneck unter der "Erziehungsherrschaft" von Oberleutnant Suttinger hätten auch den letzten UNBELEHRBAREN das Fürchten gelernt. Das Unrecht kann nie wieder gut gemacht werden und die Tränen weden nie trocknen. Was glaubt dieser Mensch wer er ist, dass er sich erdreistet auf gequälte Seelen rumtrampeln zu können.

  • AL
    ALex Latotzky

    Ein beeindruckender Film. Ein Film der betroffen machte, selbst jene, die da glauben doch schon lange alles über die Diktatur der DDR zu wissen. Ob ihn Uwe Steimle auch gesehen hat?

     

    Es war die unspektakuläre und dabei so eindringliche Art, die den Zuschauer so betroffen machte, wie da Frauen über das Grauen ihres Erlebten berichteten. Frauen, die eingesperrt wurden, weil sie sich nichts anderes wünschten als das Land, in dem sie leben wollten, selbst zu bestimmen. Frauen, die es wagten, die politischen Verhältnisse der DDR zu kritisieren.

     

    Und doch es hätte ein noch besserer Film werden können. Er wäre es dann geworden, wenn man nicht eine ganze Generation von Frauen einfach ausgelassen hätte. Wo waren in dem Beitrag jene Frauen zu sehen, die als erste im Winter 1950 nach Hoheneck kamen? Die in den sowjetischen Lagern Bautzen und Sachsenhausen zuvor schon fünf Jahre Lagerleben hinter sich hatten und dabei tausende von Mitgefangenen verhungern sahen. Die bei ihrem Einzug in Hoheneck glaubten, dass es nun endlich besser werden wird, denn man kam ja zu den Deutschen, da verhungert keiner. Doch erst mit einem wochenlangen Hungerstreik gelang es ihnen 1953, sich wirklich bessere Haftbedingungen zu erkämpften. Wo waren die Frauen der 50er Jahre, die z. B. wegen ihres Eintretens für die SPD inhaftiert waren?

     

    Sie wurden alle abgehandelt in einem knappen Beitrag des Autors dieser Zeilen, dessen Mutter zu jenen Frauen gehörte und der über sie und sich kurz erzählen durfte. War da wirklich keine Zeit, eine Margot Jann berichten zu lassen, die als junge Schülerin unschuldig von einem SMT zunächst zum Tode verurteilt und dann wegen ihrer Jugend zu 25 Jahren „begnadigt“ wurde? Die jahrelang den Frauenkreis der Hoheneckerinnen leitete. Oder eine Elfriede L., die wegen „Propaganda gegen die kommunistische Partei Deutschlands“ in Hoheneck einsaß und deren Kind im November 1950 dort als Totgeburt auf die Welt kam? Gehören sie nicht auch zur Geschichte von Hoheneck und damit zur Geschichte der DDR?

     

    Hier wurde eine große Chance vertan, über die ganze Geschichte des berüchtigtsten Frauengefängnisses DDR zu berichten. Schade, es ist ein wichtiger und guter Film geworden, doch er hätte auch ein sehr guter werden können.

  • A
    aso

    "...Nicht ganz so klar ist, warum solch ein Thema bei den Sendern, die de facto einen Bildungsauftrag haben, bisher kaum oder gar nicht vorkam...":

     

    Ist doch mal wieder ein tolles Beispiel dafür, daß die mit "Rundfunkräten" aufgeblasenen GEZ-Sender (und damit die Abzocke für die "Bereithaltung eines Gerätes") völlig überflüssig sind.

  • G
    ganzeinfach

    "Nicht ganz so klar ist, warum solch ein Thema bei den Sendern, die de facto einen Bildungsauftrag haben, bisher kaum oder gar nicht vorkam."

     

    weil sich das von knopp einfach nicht quotentauglich verwursten lässt.

    da sind weder soignierte alte herren, die man sekundebruchteilweise reinschneiden kann, noch heroisch-bedeutsame verbrechen oder übermeschlich-schreckliche verbrecher dabei.

    nur ganz normale, kleinbürgerliche grausamkeit und bösartigkeit von leuten wie von nebenan -- kann sich jemand den geleckten knopp in so einem milieu vorstellen?

     

    ausserem ist es ohne hitler.

  • L
    lmm

    Immer wieder, die böse böse DDR. Wann werden Themen wie BND, Berufsverbotspraxis, Nato-Marschpläne etc. mal zum Thema gemacht?

    Aber so ist's ja viel einfacher und die schöne Bundesrepublik kann weiter auf die Zone schauen. Ach seid ihr im Westen alle gut gewesen, vor allem weil ihr nach dem 2. WK alles aus eigener! Kraft geschafft habt mit nur 40 DM in der Tasche... Aber Währungsreform, Marshalplan, Natobeitritt, Aufrüstungsbeschluß etc. ist ja alles schon vergessen, Naziskandale hat's natürlich in der großen Freiheit nie gegeben... Wann habt ihr endlich euren Minderwertigkeitskomplex überwunden in den schönen alten Bundesländern? Dieses Betroffenheitsgedudel nebst unerträglich einseitiger Journaille seit dem 9. Nevember 1989 über die EX-DDR ist eigentlich nicht mehr zu ertragen. Aber wie Uwe Steimle einmal treffend formuliert hat: die Einheit ist dann vollzogen, wenn der letzte Ossi aus den Grundbüchern verschwunden ist.