Vorwurf der sexuellen Nötigung: Weißer Ring in Erklärungsnot
Dem ehemaligen Leiter der Lübecker Außenstelle des Weißen Rings wird vorgeworfen, Frauen sexuell genötigt zu haben. Wie lange wusste der Landesvorstand davon?
Der Weiße Ring, ein gemeinnütziger Verein zur Unterstützung von Kriminalitätsopfern, zählt nach eigenen Angaben 50.000 Mitglieder bundesweit – und ist die größte Hilfsorganisation für die Opfer von Kriminalität in Deutschland. Dem ehemaligen Leiter der Lübecker Außenstelle, Detlef Hardt, wird nun vorgeworfen, hilfesuchende Frauen sexuell belästigt zu haben.
Hardt selbst leugnet das. Aber die Vorwürfe sind so belastend, dass am Samstag der Landesvorstand des Weißen Rings Schleswig-Holstein, der ehemalige Justizminister Uwe Döring, zurückgetreten ist. Sein Stellvertreter Uwe Rath tat es ihm gleich.
Bei der Staatsanwaltschaft Lübeck liegen drei Anzeigen gegen Hardt vor, davon kommt eine von seinem ehemaligen Arbeitgeber selbst. Nachdem der Spiegel und die Lübecker Nachrichten über die Missbrauchsvorwürfe berichteten, erstattete der Bundesvorstand des Weißen Rings Strafanzeige.
Hardt soll die Frauen bedrängt und ihnen nahegelegt haben, als Prostituierte zu arbeiten. Eine der beiden Frauen hat laut Spiegel ausgesagt, Hardt habe vor ihr die Hose herunter gelassen und ihre Brüste berühren wollen. Die Frau sei weinend zusammengebrochen. Eine andere sagte aus, Hardt habe versucht, sie zu erpressen, indem er seine Hilfe in einem Gerichtsverfahren im Gegenzug an sexuelle Dienstleistungen koppeln wollte.
Die Tragweite des Falls wird noch größer mit der Frage, wer alles von den Vorwürfen gewusst hat, und wie lange schon. Die Staatsanwaltschaft Lübeck bestätigt, bereits 2006 Hinweise gegen Hardt geprüft zu haben. 2016 und 2017 sei sie erneut Hinweisen nachgegangen. In dem ersten Fall von 2006 allerdings wollte die betroffene Frau nicht mit den Ermittlungsbehörden sprechen. Auch in den beiden späteren Fällen waren die Frauen nicht bereit oder in der Lage, Strafanträge zu stellen. So kam es nicht zum Verfahren.
Die Bundesvorsitzende des Weißen Rings, Roswitha Müller-Piepenkötter, sagt, man habe von den beiden „gravierenden Fällen“ erst durch die Presse erfahren. Vorher seien dem Landesvorstand Schleswig-Holstein lediglich zwei weniger schwere Fälle aus den Jahren 2016 und 2017 bekannt gewesen.
In dem einen Fall soll Hardt eine Frau in einem Café sehr eindringlich und laut über ihr Sexualleben ausgefragt haben. In dem anderen Fall habe Hardt, der selber mal Polizist war, einer Mitarbeiterin des Lübecker Polizeikommissariats gegenüber ihre Brüste kommentiert und versucht, sie zu küssen. Der Lübecker Polizeichef meldete den Vorfall der Staatsanwaltschaft. Laut der Nachrichtenagentur DPA werfen insgesamt zwölf Frauen Hardt Übergriffe vor.
Folgenloses Gespräch im Jahr 2012
Dass der Landeschef Döring erst 2016 von den Verdachtsfällen erfahren haben soll, ist nicht besonders glaubwürdig. Der Lübecker Polizeidirektor Norbert Trabs bestätigt, dass es schon 2012 ein Gespräch zwischen dem damaligen Polizeichef und Döring gab. Das Gespräch blieb folgenlos. Als Trabs 2016 Polizeichef wurde, kündigte er dem Weißen Ring die Zusammenarbeit auf und wies seine Mitarbeiter*innen an, Opfer sexualisierter Gewalt nicht mehr an die Beratungsstelle zu verweisen.
Auch bei der telefonischen Beratungsstelle Frauennotruf hatten sich mehrere Frauen gemeldet und von sexualisierten Übergriffen durch Hardt berichtet. Deshalb habe man 2012 den Ortsverein und Hardt mit den Vorwürfen konfrontiert, sagte der Frauennotruf dem Spiegel.
Obwohl Döring also seit mindestens 2012 von den Vorwürfen gegen seinen Mitarbeiter wusste, wurde er erst tätig, als die Polizistin 2017 von dem Übergriff berichtete. Aber anstatt Hardt zu kündigen, gab er ihm ein halbes Jahr Zeit, seinen Posten zu räumen. Für solche Fälle will der Weiße Ring jetzt eine Handhabe schaffen: Zukünftig soll auch der Bundesvorstand den Landesvorstand zwingen können, Mitarbeiter zu entlassen. Das sei bisher nicht möglich gewesen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei