Vorwurf an katholische Kirche: Missbrauch zu schlecht aufgearbeitet
Im US-Bundesstaat Pennsylvania werden über 300 Priester des Kindesmissbrauchs bezichtigt. Das sind keine Einzelfälle. Der Vatikan spricht von „Scham“.
Auch an der katholischen Kirche in Deutschland übte er Kritik. „Es sind nicht nur Einzelfälle oder Einzeltäter – es sind immer auch strukturelle Probleme, die sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen ermöglichen“, sagte Rörig. „Diesen Strukturproblemen muss sich die katholische Kirche auch in Deutschland stellen“, fügte er hinzu. „Es darf nicht mehr nur um den Schutz und das Ansehen der Kirche gehen.“ Diese Haltung mache deutlich, wie sehr Institutionen- und Täterschutz noch immer vor Opferschutz stehe.
Der Vatikan reagierte mit Bestürzung auf die Enthüllungen in den USA. Es gebe lediglich zwei Worte zu dem US-Bericht: „Scham und Bedauern“, erklärte der Vatikan am Donnerstagabend. Laut dem am Dienstag veröffentlichten Bericht der Staatsanwaltschaft von Pennsylvania haben sich in den vergangenen 70 Jahren mehr als 300 namentlich genannte Priester in Tausenden Fällen an Kindern vergangen. Es sei die umfassendste Sammlung von Missbrauchsvorwürfen in der katholischen Kirche der USA.
Die in dem Bericht angeführten Missbrauchsfälle seien „kriminell und moralisch verwerflich“, erklärte Vatikan-Sprecher Greg Burke. Den Opfern sei ihr Stolz und ihr Glauben geraubt worden. Die Kirche müsse „harte Lektionen“ aus ihrer Vergangenheit ziehen. Sowohl die Verantwortlichen als auch diejenigen, die diesen Missbrauch ermöglicht hätten, sollten zur Rechenschaft gezogen werden.
Der Papst stehe an der Seite der Opfer, sie seien „seine Priorität“. Die Kirche wolle die Opfer anhören, um den „tragischen Horror, der das Leben der Unschuldigen zerstört“, auszumerzen.
„Es gab keine Vertuschung“
Nach der Erklärung von Pennsylvanias Generalstaatsanwalt Josh Shapiro geht es um sexuellen Missbrauch bis hin zu Vergewaltigung und gezielte Vertuschung. Die Vorwürfe erstrecken sich auf sechs der acht Diözesen in Pennsylvania. Etwa 1.000 Opfer seien bisher identifiziert worden.
Der Bischof von Pittsburgh (Pennsylvania), David Zubik, bestritt am Donnerstag eine systematische Vertuschung. „Es gab keine Vertuschung“, sagte er. Jedoch entschuldigte er sich für die Geschehnisse.
Von einer „moralischen Katastrophe“ sprach der Präsident der Katholischen Bischofskonferenz in den USA, Kardinal Daniel DiNardo. Außerdem forderte er am Donnerstag den Vatikan auf, die Missbrauchsvorwürfe gegen den früheren Erzbischof von Washington, Theodore McCarrick, zu prüfen. DiNardo drückte seine „Traurigkeit, Wut und Scham“ über die Enthüllungen aus.
Erst vor wenigen Wochen hatte Papst Franziskus den Rücktritt von McCarrick angenommen und ihm zudem Hausarrest verordnet. McCarrick muss sich in seiner Heimat gegen Vorwürfe sexueller Belästigung Minderjähriger und Priesteranwärter verteidigen. Er musste auch den ehrenvollen Kardinalstitel abgeben.
Auch hochrangige Kirchenverteter sind dabei
Zu dem aktuellen Bericht haben auch eine halbe Million Dokumente beigetragen, die bislang in den Geheimarchiven der Bistümer unter Verschluss gehalten worden waren. Die Ermittler in Pennsylvania hatten sich mit juristischem Druck Zugang verschafft.
Mehrere der identifizierten Geistlichen hatten sich gegen die Veröffentlichung ihres Namens gewehrt, was die Publikation des Berichts verzögert hat. Insgesamt stehen mehr als 400 Priester unter Verdacht. Darunter sind nach Angaben von Shapiro auch hochrangige Kirchenvertreter.
Für eine entsprechende Studie der Deutschen Bischofskonferenz hätten leider nicht alle Bistümer ihre Archive geöffnet, bedauerte Rörig mit Blick auf Deutschland. Um Missbrauchsfälle hierzulande aufzuarbeiten, hatte die Deutsche Bischofskonferenz 2014 das Forschungsprojekt „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse sollen dem Bericht zufolge am 25. September im Rahmen der Herbstvollversammlung der deutschen Bischöfe in Fulda vorgestellt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Scholz bezeichnet russischen Raketeneinsatz als „furchtbare Eskalation“