Vorwürfe gegen Gérard Depardieu: Der gefallene Nationalheld
Gérard Depardieu machte sexisische Witze über ein junges Mädchen. Viele wenden sich nun von ihm ab. Nur Präsident Macron will es nicht wahrhaben.
Depardieu „witzelte“ mit einem Begleiter vor der laufenden Kamera während einer Vorstellung von Schülerinnen in einer Reithalle in frauenfeindlicher und obszöner Weise – insbesondere auch über ein vermutlich erst zehnjähriges Mädchen, das offenbar seine Fantasie erregte. Auch der koreanischen Übersetzerin machte er plumpe Avancen. Medien sprachen danach fast einstimmig vom steilen „Absturz einer Ikone“.
Ausgerechnet Staatspräsident Emmanuel Macron fühlte sich jedoch bemüßigt, Frankreichs Filmikone gegen eine „Hetzjagd“ in Schutz zu nehmen. Macron bezeichnete sich als großen Bewunderer des heute 75-jährigen Depardieu, der als Darsteller in rund 200 Filmen nicht nur als Star, sondern als unantastbares Monument galt. Er sei ein „Genie seiner Kunst“, auf das Frankreich „stolz sein“ könne, sagte am 20. Dezember der Staatschef im Fernsehen und pochte auf die Unschuldsvermutung.
Ein politischer Fehler
Als Staatsoberhaupt habe Macron nicht so Stellung zu beziehen, protestierte prompt Anne-Cécile Meilfert, die Vorsitzende der Vereinigung Fondation des femmes, die Gewalt gegen Frauen bekämpft. Statt sich für die Opfer und den Kampf gegen den Sexismus zu engagieren, den er doch als eine seiner Prioritäten in seiner zweiten Amtszeit bezeichnet hatte, stelle er sich im Namen der Republik klar auf die falsche Seite: nicht auf die der Opfer, sondern auf die des Aggressors, der seine Macht gegen Schwächere ausnutzt. Das sei ein großer „politischer Fehler“, urteilt auch Le Monde.
Aber Macron blieb nicht der Einzige, der Depardieu in Schutz nehmen und wegen seiner ruhmvollen Leistungen für die französische Filmkunst um Nachsicht ersuchen wollte. In einem offenen Brief verwahrten sich am 25. Dezember in Le Figaro neben seiner Tochter Julie Depardieu und der Ex-Lebensgefährtin Carole Bouquet rund 50 weitere Prominente gegen eine Form der „Lynchjustiz“ und den Versuch, Depardieu zu ächten und sein Werk „auszulöschen“: „Gérard Depardieu anzugreifen bedeutet, die Kunst anzugreifen“, postulieren sie.
Soll das heißen, dass ein „Genie“ der Filmkunst über jede öffentliche Kritik und moralische Verurteilung erhaben wäre? Die Debatte erinnert an die frühere Polemik über Roman Polanski.
Öffentliche Fernsehanstalten in der Schweiz und in Belgien hatten bereits angekündigt, dass bis auf Weiteres keine Filme mit Depardieu als Hauptdarsteller mehr ausgestrahlt werden würden.
Aus dem Pariser Wachsfigurenkabinett Musée Grévin wurde seine Statue entfernt. Quebec und die Stadt Brüssel haben ihm einst verliehene Ehrenmedaillen entzogen. Und die französische Kulturministerin Rima Abdul Malak fordert, dass er aus der Ehrenlegion ausgeschlossen werden solle. Für Macron kommt das allerdings nicht infrage. Die Ehrenlegion sei schließlich „kein Orden der Moral“.
Ein rechtsextremer Unterstützer
Die Stellungnahme der bedingungslosen Depardieu-Freunde löste heftige Reaktionen aus. Eine Antwort, ebenfalls in Form eines offenen Briefs, unterschrieben rund 2.000 Personen aus der Filmbranche. In der Folge distanzierten sich (wie Carole Bouquet oder auch Pierre Richard) die meisten Unterzeichner des Pro-Depardieu-Manifests. Auch weil bekannt geworden war, dass es von einem Journalisten des rechtsextremen Magazins Causeur entworfen und lanciert wurde. Auf die Fassade der belgischen Villa des Schauspielers Benoît Poelvoorde, der seinen angeprangerten Kollegen verteidigen wollte, wurde gesprayt: „Depardieu ist ein großes Schwein.“
Das dachten in Frankreich freilich schon zuvor viele wegen der von ihm bekannten anzüglichen Bemerkungen am Rande von Dreharbeiten. Und weil er von 15 Frauen der sexuellen Belästigung, Aggression oder sogar – in mindestens einem Fall – der Vergewaltigung beschuldigt wird. Die aktuelle France-2-Reportage könnte nun zu einem gravierenden Belastungsmaterial im Depardieu-Dossier der Justiz werden. Denn diese ermittelt seit 2020 gegen ihn wegen der mutmaßlichen Vergewaltigung einer jungen Schauspielerin. Seither meldeten sich weitere Frauen zu Wort, die Zeuginnen oder Opfer seiner sexuellen Übergriffe gewesen sein sollen.
Depardieu war zudem wegen seiner Alkoholexzesse und seiner Freundschaft mit Putin und Lukaschenko nicht unumstritten. Vieles ließ man ihm durchgehen, er wurde als „Monstre sacré“ bewundert. Seit der Veröffentlichung der Dokumentation gilt er nur noch als Monster.
Wegen seiner internationalen Bekanntheit ist Depardieu zu einem prominenten #MeToo-Fall geworden. Und es stellt sich einmal mehr die Frage: Wie umgehen mit Sexismus und sexistischer Gewalt im Filmmilieu und in der medialen Berichterstattung darüber?
Ohne prominente Gäste und ohne seine engsten Angehörigen feierte er am 27. Dezember auf seinem Weinberg im Anjou Geburtstag. Depardieu ist nun 75 Jahre alt, es könnte der Schlusspunkt seiner Karriere sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
„Männer“-Aussage von Angela Merkel
Endlich eine Erklärung für das Scheitern der Ampel