Vorvertrag zwischen Künstlern und Stadt: In die Gänge gekommen
Das besetzte Hamburger Gängeviertel wird durch die Stadt saniert. Außerdem sollen die Gebäude nach und nach in die Selbstverwaltung der KünstlerInnen übergehen.
HAMBURG taz | Schön, wenn es einen Anlass gibt, dass hart kämpfende Kontrahenten mal gemeinsam feiern. So geschehen am Donnerstagnachmittag im Hamburger Gängeviertel: Mit strahlenden Gesichtern saßen da sieben Leute an einem viel zu niedrigen Tisch in einem ebenso historischen wie sanierungsbedürftigen Gebäude in der Innenstadt. Jeder der sieben leistete seine Unterschrift unter einen Schriftsatz mit dem Namen "Kooperationsvereinbarung".
Kooperiert wird zwischen dem Gängeviertel-Kollektiv und dem Senat. Ein zum Teil erbittert geführter Verhandlungsmarathon kommt damit an ein vorläufiges Ende. Das Ziel ist aus Sicht des Gängeviertel-Vereins und der Gängeviertel-Genossenschaft zwar noch nicht erreicht, aber doch in Sichtweite gerückt.
Klar ist nun, dass der Senat das seit zwei Jahren besetzte Gängeviertel für rund 20 Millionen Euro saniert. Bei der Wahl des Architekten wird der Gängeviertel-Genossenschaft "eine Mitwirkung zugestanden". Vor allem aber sollen die fertig sanierten Häuser nach und nach der Genossenschaft zur Selbstverwaltung übergeben werden.
Die Stadt bleibt während der Sanierung Eigentümerin der Immobilien und hat sich grundsätzlich zu einer Übergabe der Gebäude in Selbstverwaltung bereit erklärt. Wie die Übergabe konkret gestaltet wird, ist noch unklar. Immerhin: Bis vor wenigen Wochen war die Idee der Selbstverwaltung für die Stadt noch undenkbar.
Überhaupt hätte im August 2009 kaum jemand für möglich gehalten, dass die Gängeviertel-Idee jemals so weit kommen könnte. Damals besetzten rund 200 KünstlerInnen das von Bürotürmen umschlossene Viertel, um die historischen Gebäude vor dem Abriss durch einen Investor zu retten. Die Künstler weckten große Sympathien für ihr Projekt bei Bevölkerung und Presse - die Kombination aus beidem veranlasste den damaligen Senat, das Quartier vom Investor zurückzukaufen.
Auch an anderen Orten Hamburgs ringen die Bewohner mit der Stadt und/oder einem Investor um die Zukunft ihres Quartiers.
Die Esso-Häuser an der Reeperbahn will der Investor Bayerische Hausbau abreißen und dort neue Wohnungen bauen.
Der Wagenplatz Zomia soll nach dem Willen des Bezirksamtschefs Markus Schreiber geräumt werden.
Im Bernhard-Nocht-Quartier will die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder Neubauten errichten.
Die alte Rindermarkthalle hat erst mal Edeka bis 2021 gemietet.
Seitdem wird verhandelt, wie es im Gängeviertel weitergehen soll. Im April 2010 überreichten die KünstlerInnen dem Senat ein Nutzungs- und Sanierungskonzept, das ein selbst verwaltetes Nebeneinander von Wohnen und Arbeiten in denkmalgerecht sanierten Häusern vorsieht. Nach Abschluss der Sanierung wollen die KünstlerInnen das Gängeviertel zwar nicht zu ihrem Eigentum machen, aber mit dem Senat eine Erbpacht an Grund und Boden aushandeln.
Die Sanierung soll im Frühjahr beginnen und rund acht Jahre dauern. Rund 15 der 20 Millionen Euro Investitionskosten soll durch Fördergeld der Integrierten Stadtteilentwicklung finanziert werden. Die Hoffnung ist, dass der Bund von den 15 Millionen Euro bis zu einem Drittel dazuschießt. Sanierungsträgerin soll die Stadtentwicklungsgesellschaft Steg werden, wobei die Gängeviertel-KünstlerInnen wollen, dass der Michel-Architekt Joachim Reinig die Sanierung betreut.
Interessant ist die Frage, wie sich das (Zusammen-)Leben realisieren lässt, das das Gängeviertel-Kollektiv in seinem Konzept beschreibt. Die Nähe von Wohnen und Arbeiten, die offensiv gewünschte soziale Durchmischung, die Mitspracherechte, die Existenz von kleinen Läden und nachbarschaftlicher Hilfe, alles das ist Kultur-, Wohn- und Soziokulturprojekt zugleich und damit für alle Beteiligten erklärungsbedürftig.
"Das schwerste Stück liegt immer noch vor uns", schreibt das Gängeviertel-Kollektiv nach der Einigung, "denn durch die vereinbarte Übernahme der Häuser stehen wir in der Verantwortung, einen kollektiven, offenen und selbst verwalteten Ort zu schaffen, der eine Beteiligung an der Gestaltung des Miteinanders ermöglicht".
Wenn man in diesen Tagen durch das Gängeviertel geht, am kollektiven Abendessen teilnimmt, an der Fahrradwerkstatt vorbei in die Bar schlendert, wo eine Gruppe aus behinderten und nicht-behinderten Menschen sich zum Zeichnen trifft, dann wirkt das Gängeviertel wie ein gallisches Dorf inmitten einer vom Geld bestimmten und vom Geld verdrehten Stadt.
Die parteilose Kultursenatorin Barbara Kisseler meint, die Stadt zeige mit der Unterzeichnung des Vertrags "neue Wege für die Gestaltung von Stadtentwicklung auf". Diese Wege sind nicht nur für das Gängeviertel-Kollektiv noch ganz schön weit.
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