Vorstandswahl bei den Grünen: Die grüne Quadratur des Kreises
Die Doppelspitze der Berliner Grünen, in die nun Tanja Prinz strebt, ist ein fragiles Konstrukt. Es fußt darauf, das Unmögliche möglich zu machen.
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D ie parteiinternen und seit Wochen währenden Debatten um die mögliche künftige Berliner Grünen-Vorsitzende Tanja Prinz zeigen eines ganz deutlich: Die Doppelspitze des Landesverbands ist eigentlich der Versuch, den Kreis zu quadrieren.
Das liegt nicht an der Vorgabe, dass sie laut Satzung zur Hälfte weiblich sein muss, sondern an ihrer zweiten, inoffiziellen Quotierung. Die beiden, die den Landesverband führen, sollen zwar aus je einem der beiden Lager oder Flügel kommen, den Linken und den Realos. Andererseits sollen sie aber auch von der gesamten Partei anerkannt sein und für alle Parteimitglieder sprechen.
Eigentlich geht das nicht. Ein Hardcore-Kreuzberger, der sich vom CDU-affinen Zehlendorfer vertreten lässt? Eine Mitte-Reala, die sich für ihre enteignungsfreudige Parteifreundin aus Neukölln begeistert? Eigentlich unmöglich. Aber eben nur eigentlich. Denn seit 2011 hat dieses Modell bislang überraschend gut funktioniert.
Da kam ein beide Flügel abdeckendes Duo an die Spitze, das bei erster und nur an Etiketten orientierter Betrachtung überhaupt nicht zueinander zu passen schien: Bettina Jarasch und Daniel Wesener. Kirchentante – Jarasch war, ungewöhnlich bei den Grünen, Gemeinderatsvorsitzende der katholischen Gemeinde St. Marien/Liebfrauen – und Ströbele-Zögling – Wesener war langjähriger Mitarbeiter der Linken-Ikone –, wie sollte das gehen?
Harmonie ist eine Strategie
Es ging. Zwei Jahre später galten die beiden als „Traum-Duo“ und erzielten bei ihrer Wiederwahl 2013 mit jeweils rund 95 Prozent zuvor bei den Grünen nicht erlebte Rekordergebnisse. Ähnlich gut harmonierten ab 2016 ihre Nachfolger Nina Stahr und Werner Graf, zuvor in Steglitz-Zehlendorf und Kreuzberg führende Köpfe ihrer ungleichen Bezirksverbände, oder zumindest erweckten sie diesen Eindruck.
Beide Duos, die ihre Ämter jeweils nach fünf Jahren aufgaben, um Parlamentsmandate anzunehmen, die laut Satzung nicht mit dem Landesvorsitz vereinbar sind, waren nicht auf die Schnelle entstanden und wohl austariert. Und vor allem: In beiden Fällen kam das Duo gemeinsam ins Amt, musste und konnte sich gemeinsam in die neue Rolle eingewöhnen.
Das ist nun erstmals seit 2011 anders, wenn beim Parteitag am 9. Dezember erneut Vorstandswahlen anstehen. Egal ob Tanja Prinz gemäß dem Votum eines Realo-Treffens diesen Flügel vertreten wird oder ob sich noch eine andere Variante ergibt: Sie – es muss ja laut Satzung eine Frau sein – trifft auf einen bestens eingearbeiteten und schon in zwei Amtsjahren etablierten Co-Vorsitzenden, Philmon Ghirmai. Die 2021 mit ihm gewählte Susanne Mertens hat angekündigt, nach einer Vorabstimmungsniederlage gegen Prinz nicht mehr zu kandidieren.
Allein das sorgt in jedem Fall zumindest anfänglich für ein Ungleichgewicht. Bei Tanja Prinz kommt ein gewichtiger zweiter Punkt hinzu: Sie tritt mit dem Ziel an, die Partei bündnisfähiger in alle Richtungen zu machen, sie wieder in die Regierung zu bringen und das möglichst als stärkste Partei, um erstmals die Regierende Bürgermeisterin stellen zu können.
Schwierige Ausgangsbedingungen
Das schien schon zuletzt möglich. Genau vor einem Jahr waren die Grünen in einer Umfrage noch stärkste Partei in Berlin. Dass es danach anders kam, bergab ging und die Grünen bei der Abgeordnetenhauswahl im Februar nur auf dem dritten Platz landeten, lasten Realos wie Prinz einer von den Parteilinken durchgesetzten vorherigen Festlegung auf Rot-Grün-Rot an.
Ist auch unter solchen Bedingungen eine Doppelspitze möglich, die mit einer Stimme spricht und medial das Bild einer geschlossen auftretenden Partei abgibt? Vielleicht. Auch frühere Duos waren von Fragezeichen begleitet gestartet und setzten dann zusammen zunehmend Ausrufezeichen. Die grüne Quadratur des Kreis droht jedenfalls schwieriger denn je zu werden.
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