: Vorstadtoase für Künstler
■ Günter Blendinger in der Galerie Bernau
Im Zentrum, in der Thälmannstraße 4, steht die Galerie Bernau, gegründet und betrieben von 17 Künstlern aus dem Umkreis, als Förderverein, um »ein bißchen Identität, die ja ganz zwangsläufig gewachsen ist über 40 Jahre, noch ein bißchen aufrechtzuerhalten«, wie Gunda Ihlow, die künstlerische Leiterin, berichtet.
Die Galerie ist eine Art Oase. Künstler, Kommunalpolitiker, Arbeiter treffen sich zur Eröffnung, stehen in kleinen Gruppen redend zusammen. Nie hört man das bei ähnlichen Anlässen im Westen so entnervende affektierte Gekicher, Gekiekse, das laut in den Raum gebrüllte Urteil, nie sieht man die als besonders wichtig posierenden Vernissagengäste blöd herumgucken, keine hungrigen Fernsehkameras stören die Stille. Eine Oase also: liebevolles Büffet, Schmalzstullen, Gurken, Wein. Eine handgeschriebene Preisliste liegt auf der alten Druckerpresse in der Mitte des Raumes. Jemand vom Deutschen Theater spielt auf der Renaissancegitarre, und ein Mann mit dem bezaubernden Namen Friedrich-Wilhelm Frettwurst hält die einleitende Rede: Nun, in der Marktwirtschaft, müsse sich der Künstler, der keine Aufträge mehr bekommt, als Arbeitnehmer und Arbeitgeber in einer Person verstehen, sagt er.
Günter Blendinger hat hier Graphiken ausgestellt; stille Zeichnungen, mehr oder weniger genau lokalisiert, wie der Olivenhain bei St. Remy. Ein Sportgelände hängt dort in kargen Strichen, die am Rande manchmal wie Tinte ein bißchen ausfransen. Zwischen Bank und Papierkorb im Vordergrund, der Zuschauertribüne und einer nackten Fahnenstange im Mittelteil macht sich ein bißchen Wehmut breit. Sie erinnern in ihrem Gestus allesamt an die bildende oder literarische Produktion der Gründerjahre der BRD. Der Künstler, ursprünglich in einem kleinen Ort bei Thüringen großgeworden, arbeitet vor Ort: »Wenn ich noch Wesentliches zu Hause dran machen muß, kann ich's gleich lassen.« Auf einem anderen Bild stehen ein paar Reihen kleiner Trabis vor dem Palast der Republik, weit entfernt im Blick des dürren schwarzen Mannes, dessen Rücken dem Betrachter zugekehrt ist. Die Bilder sind lebendig; das ist vielleicht das Beste, was man von Bildern sagen kann.
Günter Blendinger hat zunächst Maschinenbau studiert, später war er Berufskraftfahrer, »dann hab' ich an der Kunsthochschule studiert, und danach bin ich freischaffend geworden«. Lange Zeit war er Mitglied eines Zirkels für Volkskunst, später war er ihr Leiter im Kulturhaus. Oft ist er in die Betriebe gegangen. »Bei uns wird das jetzt oft ausgelegt als Liebedienerei gegenüber der alten Herrschaft«, sagt er.
Die Ausstellungseröffnungen in der Galerie Bernau sind immer auch Geschichten- und Informationsbörse. Man erfährt von einem Westberliner Projekt, das Ost- versus Westkünstlerinnen setzen will. Die sollen Installationen machen, auch wenn sie eigentlich Malerinnen sind. »Macht das bei euch jeder?« fragt eine Künstlerin. Sie ist sich nicht ganz sicher, ob das denn funktionieren könne. Vor einem halben Jahr hatte der ehemalige Bürgermeister Klein am gleichen Ort noch erzählt, daß er »ein der Stadt gehöriges sehr interessantes Gebiet am Liepnitzsee in eine weiterführende Qualität« bringen, also einen Vergnügungspark im Naturschutzgebiet errichten wolle. Nun berichtet jemand über einen gigantischen »Euro- Park«, der in den Nachbargemeinden, vor den Toren von Bernau zu entstehen droht. Auf Weiteres darf man gespannt sein. Detlef Kuhlbrodt
Günter Blendinger, Graphiken. Sa. von 10 bis 12 und 18 bis 20, So. von 14 bis 17 Uhr; Di. bis Do. von 13 bis 18, Fr. von 13 bis 20 Uhr. Bis 3. Oktober.
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