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Vorsicht auf brüchigem Eis

■ Zum Tode von Werner Nachmann, Vorsitzender des Zentralrats der Juden

Wenn Werner Nachmann jetzt in Nachrufen als ein Mensch gerühmt wird, der für die deutsch- jüdische Aussöhnung steht, dann zieht er, zumal für die Linke, leicht den Verdacht auf sich, er habe sich allzu unkritisch dem Nachkriegsdeutschland angepaßt. Gewiß war er loyal gegenüber den Regierenden, gewiß waren seine politischen Überzeugungen sehr konservativ, er postulierte das Verständnis für die Christen und Juden, plädierte dafür, die jüngere Generation „nicht mit den Taten der Väter“ zu belasten. Es war auch seine innerste Überzeugung, daß es für Deutsche und Juden möglich sei, „normal“ miteinander zu leben. Seine Warnungen blieben eher allgemein, Warnungen vor der Gefahr des Anti-Semitismus, insbesondere davor, daß die Kritik an Israel in Anti- Semitismus umschlagen könnte. Entsprechend lakonisch sind seine öffentlich bekannten Lebensdaten: geboren 1925, Emigration 1938 nach Frankreich, Überleben durch Hilfe der französischen Freunde. Seit 1965 Vorsitzender des Zentralrates der Juden und vor allem Vizepräsident der europäischen Sektion des jüdischen Weltkongresses.

Wie für viele Juden seiner Generation war Loyalität zur Bundesrepublik nichts anderes als die Vorsicht auf brüchigem Eis. Er wollte verhindern, daß Juden erneut in eine „Sonderstellung“ (Nachmann) geraten, wenn auch als anerkannte Opfer. Das Geschäft der moralischen Aufarbeitung des Nationalsozialismus überließ er den Deutschen. Der jüdische Beitrag der „Normalität“ – ein anderes Wort für Nicht-Mehr-Opfer-sein – war, in Deutschland weiterleben zu wollen.

1985 zum 40. Jahrestages des Kriegsendes, wurde diese Haltung brüchig. Mit ihm gingen die jüdischen Gemeinden auf eine kritische Distanz. Er solidarisierte sich mit der Frankfurter Gemeinde in ihrem Boykott des Fassbinder-Stückes. Anlaß war aber nicht nur die Fassbinder- Aufführung, sondern vor allem der Schock von Bitburg. Aus dieser Zeit stammt auch sein vehementer Appell an die Deutsche Bank, nach Übernahme des Flick-Pakets acht Million Mark Entschädigung für die Zwangsarbeiter zu zahlen. Wie sehr für Werner Nachmann die Zeit der Beschwörung deutsch-jüdischer Normalität vorbei war, zeigt sein Auftreten bei der Bundestagsanhörung der NS- Opfer am 24. Juli 1987. Die Grüne Abgeordnete Antje Vollmer hatte vor der Wiedergutmachung als „zweite Phase der Verfolgung“ gesprochen. Die FDP-Abgeordneten Lüder und Hirsch forderten Werner Nachmann aggressiv auf, die Formulierung zu korrigieren, gewissermaßen als Zeuge für die moralische Bewältigung des Nationalsozialismus durch die Bundesrepublik. Werner Nachmann tat das nicht: „Ich darf aber auch sagen, daß den Verfolgten zu danken ist, daß sie in den fünfziger Jahren diese Möglichkeit einer – ich will das Wort wirklich apostrophieren, weil mir das Wort „Wiedergutmachung“ in dem Zusammenhang mit dem, was geschehen ist, nicht gefällt, – Wiedergutmachung angenommen haben. Ich glaube, daß dies politisch gesehen auch heute wieder einmal in Erinnerung zu bringen ist, weil dadurch die Bundesrepublik ihren Zugang zur freien Welt leichter erhalten hat und auch leichter bekommen hat.“ Klaus Hartung

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