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Vorschule nur noch für Reiche

■ Schulbehörde: Nur noch Kita oder Vorschule / Pädagogische Ansprüche werden fallengelassen / Kritik von Lehrern und Parteien Von Heike Haarhoff

Kinder aus Tageseinrichtungen sollen künftig nur noch einen Anspruch auf Bildung zweiter Klasse haben: Ab dem kommenden Schuljahr dürfen die ganztägig betreuten Fünfjährigen zusätzlich vormittags nicht mehr – wie bisher – die Vorschule besuchen. Es sei denn, sie verzichten auf ihren Kita-Platz. Beides zusammen soll nicht mehr drin sein. Das sieht eine Anweisung der Schulbehörde vor, die die Schulleitungen der Hamburger Grundschulen alarmiert. Bis zum morgigen Mittwoch, so der Brief, sollen die SchulleiterInnen der Behörde melden, wieviele Kinder zusätzlich einen Kindertagesheimplatz in Anspruch nehmen.

Grund für die plötzliche Eile: Die Behörde ist unter Druck geraten, weil der 1992 per Gesetz beschlossene Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für alle drei- bis sechsjährigen Kinder am 1. Januar 1996 in Kraft tritt. Wenig Zeit, um die in Hamburg rund 13.000 fehlenden Plätze zu schaffen. „Wir sind in einer Notsituation“, rechtfertigt die Vertreterin des Landesschulrats, Dagmar Uentzelmann, den geplanten „Ausschluß von ,Doppelnutzern'“. Als solche werden im Behördendeutsch Kinder bezeichnet, die in zwei Einrichtungen angemeldet sind: Morgens in der Vorschule, und nachmittags in einer Betreuungseinrichtung. Denn irgendwohin müssen sie schließlich, wenn die Eltern arbeiten. In Hamburg sind derzeit rund 900 Fünfjährige in dieser Situation.

Als „totale Bankrotterklärung“ wertete die jugendpolitische Sprecherin der GAL, Jutta Biallas, gestern den neuesten Behörden-Vorstoß. Es handele sich um eine reine Sparmaßnahme, bei der „jeder pädagogische Anspruch fallengelassen wird.“ Daß die Bildungsschere noch weiter auseinanderklaffen wird, wenn nur noch Kinder in den Genuß der Vorschule kommen, deren Eltern nicht berufstätig sind oder sich eine alternative – sprich private – Betreuung ihres Nachwuchses leisten können, fürchtet auch Trude Hafkus: „Das ist ein Angriff auf die sozial Schwachen“, kritisiert die Lehrerin der Altonaer Max-Brauer-Gesamtschule das Konzept. Im Klartext: Mütter und Väter, die berufstätig sind, müssen sich künftig entscheiden: Für den Job oder für die Ausbildung des Kindes. „Viele haben diese Wahl aber nicht“, so Trude Hafkus. Die Schulbehörde verfolge die Politik, Vorschulerziehung nur noch den Reichen zu ermöglichen, „was dazu führt, daß wir demnächst wohl nur noch Vorschulklassen in Blankenese und Klein-Flottbek haben werden.“ Gleichzeitig werde damit die Vorschule als reine Betreuungseinrichtung abqualifiziert.

Scharfe Kritik an Schulsenatorin Rosemarie Raab übte gestern auch die schulpolitische Sprecherin der CDU, Ingeborg Knipper: „Weil die Senatorin wegen jahrelanger Versäumnisse den Rechtsanspruch auf einen Kindertagesheimplatz nicht anders realisieren kann, sollen nun auch noch die ,Doppelnutzer' herausgerechnet werden.“

„Unsozial hoch drei“ findet GAL-Schulexperte Kurt Edler die Anweisung: „Frau Raab ist im Begriff, eine wertvolle pädagogische Brücke zu zerstören.“ Kita-Kinder hätten ohnehin häufig Startnachteile in der Grundschule. Wenn sie jetzt auch noch auf die Vorschule verzichten müßten, gerieten sie noch mehr ins Hintertreffen.

Schulbehörden-Sprecher Ulrich Vieluf meinte, es müsse eben vermieden werden, daß einige Kinder ohne Betreung blieben, „während andere parallel zwei Plätze in Anspruch nehmen“. Der Ausschluß der „Doppelnutzung kommt jene Kindern zugute, denen sonst kein Platz angeboten werden könnte“.

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