■ Vorschlag: Karl Wilhelm Fricke liest in Potsdam aus seinem Buch "Akten-Einsicht"
„,Reptil‘ und ,Tanker‘ unternahmen einen Stadtbummel zwischen Leipziger Straße, Friedrichsgracht, Unter den Linden, Spandauer Straße und Friedrichstraße.“ So steht es in einem Augenzeugenbericht vom April 1981. Reptilien und Tanker bummeln durch die Hauptstadt der DDR: Wer je Gelegenheit hatte, in eine Stasiakte zu schauen, wird den speziellen Humor der Tschekisten erkannt haben. „Reptil“ war der Ehrenname für Karl Wilhelm Fricke vom Deutschlandfunk, „Tanker“ meinte seinen SFB-Kollegen Jürgen Engert. Es war nicht das erste Mal, daß sich die Staatssicherheit mit Fricke beschäftigte. Ihr Interesse für die Arbeit des Journalisten geht zurück bis 1954. Fricke hat diese Geschichte in dem Buch „Akten-Einsicht“ (Ch. Links) rekonstruiert, aus dem er heute auf einer Veranstaltung des Literaturbüros in Potsdam lesen wird.
Daß schon der Abiturient Fricke kein gutes Verhältnis zu den Machthabern in der damaligen SBZ hatte, hängt u.a. mit dem Schicksal seines Vaters zusammen, der bei westalliierter Entnazifizierung vermutlich mit einem blauen Auge davongekommen wäre. Als NSDAP-Mitglied und Pressewart im anhaltinischen Hoym wurde er 1950 bei den berüchtigten Waldheimer Prozessen zu 12 Jahren Gefängnis verurteilt. Dort starb er zwei Jahre später. Der Sohn, der als Russischlehrer tätig war, wird 1949 ebenfalls verhaftet – eine Kollegin hatte ihn wegen SED-kritischer Äußerungen denunziert. Durch einen Glücksfall gelingt ihm die Flucht in den Westen. Doch als Fricke von der Verurteilung seines Vaters erfährt, steht für ihn die Berufsentscheidung fest. Im September 1950 veröffentlicht der 21jährige seinen ersten Artikel: „Die Waldheimprozesse“.
In den folgenden Jahren lenkt er die Aufmerksamkeit der Staatssicherheit durch zahlreiche Artikel über führende SED-Funktionäre und Stasimitarbeiter auf sich, so daß 1954 der Plan entsteht, Fricke aus dem Westteil Berlins nach Ost-Berlin zu entführen. Mit Hilfe eines Agentenehepaars und unter Einsatz von Schlafmitteln gelingt im April 1955 die Entführung, Fricke wacht auf und findet sich in der Stasi-Untersuchungshaft wieder. Sein Verfahren wegen angeblicher Spionage zieht sich hin. Als das sowjetische Tauwetter 1956 kurz auch die DDR streift, werden aus den beantragten 15 Jahren Gefängnis „nur“ vier Jahre, die er bis zum letzten Tag in Einzelhaft absitzen muß. Nach seiner Entlassung geht Fricke in den Westen zurück und ist über Jahrzehnte als Publizist tätig. Sein Spezialgebiet: Struktur und Geschichte der Staatssicherheit, Opposition in der DDR. Daß er trotz (oder wegen?) der analytischen Schärfe und Sachlichkeit seiner Beiträge nicht allein im Osten, sondern auch im Westen als „kalter Krieger“ beargwöhnt wurde, mag ihn gewurmt haben. Manches jedoch, was Fricke vor Jahren über die DDR schrieb, mutet heute wie eine Untertreibung an. Peter Walther
Heute, 19.30 Uhr, ehem. Stasi-Gefängnis, Lindenstr. 54, Potsdam
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