■ Vorschlag: Gute Kinder in schlechten Zeiten: Marion Hänsels neuer Film „Li“
„Es war einmal ein einsamer Matrose, traurig und verloren“, so schlicht beginnt die Geschichte von Nikos, dem phlegmatischen Funker eines ruinösen Frachters. Er erzählt sie Li, einem chinesischen Mädchen, das auf einem der kleinen Boote in der Bucht von Hongkong lebt und sich dort bettelnd und putzend durchs Leben schlägt. Während die Besatzung des Frachters auf ihre Heuer wartet, entwickelt sich zwischen dem lebensklugen Kind und dem lebensmüden Seemann eine Freundschaft, die inmitten der brutalen und hoffnungslosen Verhältnisse ein Hort der Hoffnung wird.
Marion Hänsel, die schon mit dem Film „Verschwörung der Kinder“ (1991) auf kindliche Utopien setzte, hat nun aus einer Kurzgeschichte von Nikos Kavvadias eine filmische Parabel über Freundschaft und Tüchtigkeit gemacht.
Nicht zufällig ist der opiumsüchtige Nikos griechischer Herkunft. Nach Theo Angelopoulos' „Blick des Odysseus“ mit Harvey Keitel in der Hauptrolle ist Stephen Rea in Hänsels neuem Film eine weitere Variation des antiken Heros – noch verzweifelter und am Ende seiner Reise. Seine Penelope wartet in Antwerpen und erinnert ihn mit Briefen an ihre Liebe – zuletzt an das Kind, das sie erwartet. Doch um Nikos zur Rückkehr zu bewegen, bedarf es eines weiteren Kindes, Li eben. Jenseits aller kindlichen Naivität hat sie die Gesetze des chinesischen Kapitalismus längst durchschaut, kennt die Abgründe bis hin zur Kinderprostitution und sorgt dabei für alle Verwandten. Li ist noch besser als der gute Mensch von Sezuan – und sie kann es bleiben. Wenn nun Nikos am Schluß des Films tatsächlich neuen Lebenswillen zeigt und die Rückfahrt nach Antwerpen antritt ist zwar noch nicht alles gut, aber es könnte gut werden. Thorsten Pannen
Ab heute im fsk am Seegitzdamm 2 in Kreuzberg
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