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■ Vorschlag„Durchgehend geöffnet“ – die Gruppe Lubricat in den Sophiensälen

Ein Stück über Pornokinos. Aber auf dem Monitor über dem Laufsteg sind keine Pornos zu sehen, sondern nur die Anzeige einer Stoppuhr. Nach ihrem Rhythmus verabreicht ein Krankenpfleger Essen und Getränke, führt aber auch seltsame Rituale mit Wachs und Bauchkraulen aus. Und er stellt Fragen: „Wie gelangen Sie normalerweise ins Pornokino? a) zu Fuß? b) mit dem Fahrrad? c) mit öffentlichen Verkehrsmitteln? d) mit dem Auto?“ Eine ganze Reihe solcher Fragen zum Sexualverhalten stellt der Krankenpfleger (Niels Bormann) zu Anfang, eine nach der anderen, sachlich, wissenschaftlich, bis hin zu unfreiwillig komischen: „Wie verhalten Sie sich, wenn Ihr Partner geht, bevor Sie gekommen sind?“

1993 stellte sich die in Bremen gegründete Gruppe Lubricat mit ihrer ersten Berlin-Produktion in der Volksbühne vor. „Red, Blue and Yellow“ war der Versuch, mit tänzerischen und schauspielerischen Mitteln den Aidstod eines Freundes zu verarbeiten. Der Freund, Jörg Mang, war ein Hamburger Künstler: Viele Jahre beschäftigte er sich mit einer soziologischen Studie zu den Besuchern schwuler Pornokinos. Aus dem Interviewmaterial hat Dirk Cieslak einen Monolog erarbeitet, der weit weg ist von psychologischem Realismus und Dokumentartheater. Armin Dallapiccola spielt eine ganz und gar abstrakte Gestalt: ein Konglomerat aus vielen Kinobesuchern, aus Floskeln und Redewendungen. Er spricht über Sexpartner aus dem Kino, die er „persönlich nicht kennt, nur schwanzmäßig“. Nichts läge näher, als eine Psychostudie des promiskuitiven, bindungsunfähigen und sexsüchtigen Schwulen. Doch weder Voyeure noch Zuschauer mit einer Vorliebe für Sozialkitsch werden auf ihre Kosten kommen. Armin Dallapiccolas Charakterstudie gründet nämlich zunächst auf einer kunstvollen, abstrakten Körpersprache. Mit weit ausholenden Schritten jagt er über den Laufsteg. Dann plaudert er weiter, monoton und sachlich. Jeder Satz ein neues Gefühl. Dallapiccola wertet nicht, klagt nicht, kennt weder Verachtung noch Mitleid, sondern seziert: Ein Objekt wie in einem Laborversuch. Zum Schluß fällt er aus seiner Rolle heraus, beginnt den Text noch einmal von vorn. Nun aber witzelnd. In diesem Ton hat der Interviewte vielleicht einmal geantwortet. Aber diesen Brocken Fast- Realität wirft Dallapiccola nur so kurz mal in den Raum, und schon ist er weg. Das wäre noch einmal ein ganz anderes Stück. Axel Schock

Sophiensäle, Sophienstraße 18, Mitte.

Nächste Vorstellungen: 21.-23. 2. und 26. 2.-1. 3., 21 Uhr

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